Elvira Nickmann . Storchenpaar verbringt den Sommer bei den Thomsens im Garten. Die haben extra einen hohen Mast mit Nest gebaut.
Robert ist ein bisschen schüchtern und hält zu Unbekannten großen Abstand. Doch wo er auftaucht, zieht er unweigerlich alle Blicke auf sich: Robert ist ein stattlicher Storch. Seit er den Mast im Garten der Haselauer Familie Thomsen erobert hat, ist ihm jede Menge Aufmerksamkeit sicher. Inzwischen beherbergen Gabriele und Rolf Thomsen auf ihrem Grundstück sogar eine ganze Storchenfamilie – und sind ein bisschen stolz darauf, dass die Vögel sich offensichtlich so wohl bei ihnen fühlen.
So stört die Thomsens der Rummel um die kleine Schar mitnichten, ganz im Gegenteil. So mancher Bekannte, der Interesse an den Vögeln zeigt, darf sich in ihrer Abwesenheit einfach auf die Holzbank im Garten setzen, um die Vögel zu beobachten. Wie gastfreundlich das Ehepaar ist, zeigt sich auch daran, dass es seit Errichten des elf Meter hohen Masts direkt an einem Naturteich jedes Jahr ein Storchenfest veranstalten. „2014 haben wir noch in kleinem Kreis geplant, da waren 30 Gäste hier. Beim letzten Fest waren es schon 86.“ Vom kleinen Steppke bis zur Oma - alle hätten sie mitgefeiert.
Die Idee, Weißstörchen eine Nist- und Brutstätte anzubieten, kam Rolf Thomsen, als er einen der großen, weiß-schwarz gefiederten Vögel beobachtete, wie der sich auf dem Dach seines Hauses niederließ. Als er kurze Zeit später gefragt wurde, ob er Verwendung für einen alten Telegrafenmast hätte, kam eines zum anderen. Durch den jahrelangen Umbau seines historischen Bauernhauses hatte das Ehepaar viel Erfahrung im Umgang mit Baumaterialien gesammelt, Wissen in Sachen Nestbau eignete sich Rolf Thomsen im Austausch mit Storchenexperten an.
Er konstruierte den Horst mit so wenig Metall wie möglich auf einer kreisrunden Grundplatte, Durchmesser 1,20 Meter, mit Holz und Reisig als Werkstoff und montierte ihn auf den Mast. Der Standort wählte er sorgfältig aus: „Um im Nest landen zu können, muss der Storch freien Anflug haben“, weiß Thomsen, die Vögel landeten immer gegen den Wind. Eine Buche beschnitt er deshalb. „Mit einem Frontlader haben wir den Mast im Frühjahr dann aufgerichtet“, sagt der Tüftler. Keine Frage, das gelungene Vorhaben musste gefeiert werden - „mit Freunden und Nachbarn draußen im Schnee mit Glühwein und Gulaschkanone“, erinnert sich Thomsen.
Das Männchen trifft immer vor dem Weibchen ein
Danach hieß es warten und hoffen. Der ein oder andere Storch zog übers Nest, keiner blieb. Ein Jahr später, im April 2015, war es so weit. Eine Tafel neben dem Gartentor, über dem ein Schild mit dem Schriftzug „Willkommen“ hängt, dokumentiert die Eckdaten: Akribisch sind Ankunft und Abflug festgehalten und auch, ob und wie viele Junge aufgezogen wurden. Demnach kehrt das Männchen immer früher als das Weibchen aus dem Winterquartier zurück. Die ersten Tage bessert es eifrig die inzwischen entstandenen Schäden am Nest aus, später sind beide mit Nestbau beschäftigt, tragen Gras und Holzstückchen im Schnabel in den Horst.
Ob die beiden Störche das Nest im Vorjahr in Augenschein genommen und sich seinen Standort gemerkt hatten, wissen Thomsens nicht. Zwar zogen sie keine Küken auf, aber blieben den ganzen Sommer. Auch 2016 nahm ein Paar den Horst in Besitz – und bekam Nachwuchs. Da hatten die Elternvögel sich längst in die Herzen ihrer Gastgeber geschnäbelt und Namen erhalten: Robert und Rosalie.
Von zwei Küken überlebte eines. Als Ursache vermuten Thomsens Futtermangel. Inzwischen waren sie nicht nur Storchenfans, sondern auch Experten. „Die Jungen bekommen Insekten, Würmer, Schnecken, auch Entenküken und Mäuse“, sagt Gabriele Thomsen. „Störche sind Räuber“, ergänzt ihr Mann. Er habe gesehen, wie ein Vogel sogar einen Maulwurf ins Nest gebracht habe. 600 bis 1200 Gramm Nahrung benötige ein Junges pro Tag. Wasser transportierten die Eltern, indem sie es schluckten und wieder hochwürgten. Vogelkot fliegt mühelos schon mal die 20 Meter Luftlinie Nest–Terrasse. Storchensaison ist Terrassentür-Putzzeit.
Um das Geschehen im Nest besser im Blick zu haben, montierte Rolf Thomsen im Februar 2017 mittels Hubsteiger eine Webcam am Nest. Zu dumm, dass sie nach drei Tagen ausfiel, genau zu dem Zeitpunkt, als Robert einen Monat früher als erwartet zurückkam. Die Freude war groß bei Thomsens, als sie vier Küken im Nest zählen konnten, immer bewacht von einem wachsamen Elternteil. Doch dann lag wieder ein totes Küken unter dem Nest. Thomsens begannen ein bisschen zuzufüttern - seitdem steht Robert auf frisches Zanderfilet. An den Kois im Teich vergreifen sich die Vögel nicht, er ist zu tief. Auch an die Spatzen, die im unteren Teil des Horsts eingezogen sind, kommen sie nicht heran.
Inzwischen sind die drei Jungen flügge. Futter suchen sie im Umkreis von 20 Kilometern. Seiner Information nach sei ihr Nest das einzige von elf Storchennestern in der Haseldorfer Marsch mit Jungvögeln, sagt Rolf Thomsen. Robert steht derweil auf der Wiese und hält Ausschau nach Nahrung. Ein ganzes Stück dahinter Rosalie. Sie nimmt nie Futter und kommt Menschen nicht nah. Robert dagegen treffen Thomsens schon mal auf ihrer Terrasse.
Es dauert nun nicht mehr lange bis zum Abflug nach Süden. Thomsens werden das Datum dann auf der Tafel vermerken und auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr hoffen – mit Rosalie und Robert, die sie inzwischen hundertprozentig wiedererkennen würden.