Quickborn/Hamburg. Der 22-jährige Tunahan K. wurde seit dem 23. Juni vermisst – jetzt entdeckte ein Lkw-Fahrer seine Leiche in einem Waldstück an der A7.
Der rätselhafte Kriminalfall beginnt vor gut einem Monat in Wedel: In der Nacht zum 23. Juni wird der frühere Box-Europameister Khoren Gevor (37), der inzwischen als Trainer tätig ist, angeschossen. Gevor hat gerade sein Auto verlassen, als sich ein Maskierter nähert und ihm wortlos ins rechte Knie schießt. Gevor soll angeblich noch versucht haben, den Täter zu verfolgen, bevor er ins Krankenhaus fährt, um sich behandeln zu lassen.
Am Nachmittag desselben Tages verschwindet der 22 Jahre alte Tunahan K., ein Schenefelder Nachwuchsboxer, der von Gevor trainiert wird. Zum letzten Mal gesehen wird K. am Nachmittag des 23. Juni an seinem Arbeitsplatz, einem Autohändler an der Kollaustraße in Niendorf. Anfang Juli veröffentlicht die Polizei eine Vermisstenmeldung, mit der K. gefunden werden soll. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist er zu dem Zeitpunkt bereits tot. Am vergangenen Freitag entdeckt ein Lkw-Fahrer in einem Waldstück an einem Rastplatz der Autobahn 7 einen Toten. „Der Leichnam hat dort mehrere Wochen gelegen, Genaueres ließ sich nicht mehr feststellen“, so Merle Neufeld, Sprecherin der Mordkommission Itzehoe. Weil es länger zurückliegende „polizeiliche Vorerkenntnisse“ zu Tunahan K. gibt, liegen dessen Fingerabdrücke vor, ein Vergleich ergibt, dass es sich um K. handelt. Auch die Tätowierungen ließen den zweifelsfreien Rückschluss darauf zu, dass der Tote tatsächlich der 22-jährige Boxer sei. Letzte Zweifel ausräumen soll ein DNA-Test, dessen Ergebnis am Dienstag erwartet wird.
Eine heiße Spur zum Täter fehlt bislang
Fest steht aber bereits, dass der Mann erschossen wurde. Ob der Fundort am Rastplatz Holmmoor auch der Tatort war, ist dagegen noch unklar. Neufeld: „Wir werten derzeit noch die Spuren aus, die wir vor Ort gesichert haben.“ Eine Tatwaffe wurde bisher nicht gefunden, auch eine heiße Spur zum Täter fehlt bislang.
Gevor ist trotzdem sicher, den Schuldigen zu kennen: Er sagt, für beide Taten, den Angriff auf ihn selbst und den mutmaßlichen Mord an K., sei dieselbe Person verantwortlich. Es soll ein anderer Boxer sein, und er soll K. genau wie ihm ins Knie geschossen haben, bevor er ihn aus unbekannten Gründen tötete. Zwar will die Polizei die genaue Anzahl der Schussverletzungen an der Leiche aus ermittlungstaktischen Gründen nicht preisgeben. Aber dass der Tote einen Schuss ins rechte Knie erhielt, dementiert Neufeld: „Das stimmt definitiv nicht.“
Einen Zusammenhang zwischen dem Angriff auf Gevor und dem Mord an K. will die Mordkommission nicht ausschließen, hat deshalb auch die Ermittlungen im Fall Gevor an sich gezogen. So werde man überprüfen, ob die Schüsse auf beide Männer aus derselben Waffe abgefeuert wurden. Sie ermittelt jedoch in verschiedene Richtungen. Derzeit würden Personen aus dem Umfeld des Toten befragt. Es wäre zwar denkbar, dass der Täter aus der Boxszene stammt. „Genauso prüfen wir, ob Motive im privaten oder beruflichen Bereich existieren“, sagt Neufeld.
Olympisches Boxen floriert, Profis rutschen ins Milieu
In Hamburg hat sich die Boxszene in den vergangenen Jahren zwiegespalten entwickelt. Das olympische Boxen hat sportlich den Erfolgsweg eingeschlagen. Artem Harutyunyan holte 2016 in Rio de Janeiro mit Bronze im Halbweltergewicht die einzige Medaille für Deutschland. Zur Saison 2016/17 ging erstmals seit den 90er-Jahren mit den Hamburg Giants wieder ein Team in der Bundesliga an den Start. Und mit der Ausrichtung der Amateur-WM Ende August will sich der olympische Boxsport in Hamburg nachhaltig zurückmelden.
Die Profiszene hat dagegen schwer unter dem Aus des 1984 gegründeten Universum-Stalls gelitten. 2011 hatte Unternehmensgründer Klaus-Peter Kohl die Weltmeisterschmiede, in der Superstars wie die Klitschko-Brüder Vitali und Wladimir, Dariusz Michalczewski, Jürgen Brähmer, Felix Sturm oder Regina Halmich zu Champions wurden, an den Geschäftsmann Waldemar Kluch verkauft, unter dem der Stall ein gutes Jahr später in die Insolvenz ging.
Seit dem Ende von Universum ist die Szene zersplittert. Zwar zog kürzlich der größte deutsche Platzhirsch Sauerland Event mit seinem Hauptsitz von Berlin nach Hamburg, ist aber in der Stadt zu wenig präsent, um die Szene zu prägen. Diese hat sich in eine Reihe von Kleinveranstaltern aufgespalten, die zwar umtriebig sind, jedoch sportlich meist nur dritt- bis viertklassige Unterhaltung anbieten. Da keiner der Hamburger Kleinringpromoter über eine Fernsehpräsenz verfügt, ist kein Geld für große Kämpfe vorhanden. Das Publikum hat sich deutlich in Richtung Rotlicht- und Rockermilieu verschoben. Gekaufte Gegner und fragwürdige Punktrichterurteile sind wieder öfter zu beobachten.