Hetlingen. In der Serie Steinalt stellen wir die ältesten Gebäude der Kommunen im Kreis Pinneberg vor. Heute: eine Hetlinger Kate von 1782.

Erika Seifert sitzt in ihrem Sessel und kann gar nicht aufhören zu erzählen. Das Haus mit der Nummer 7 an der Straße Cranz war nicht nur bis vor einigen Jahren das Zuhause der 90-Jährigen, jetzt wohnt sie nebenan in ihrem Altenteil, sondern es ist auch das älteste Gebäude in Hetlingen. 1782 ist es erbaut worden.

Vieles kann die hellwache Rentnerin aus ihrer Erinnerung berichten, manches über die Geschichte des Hauses hat ihr Mann Gerhard herausgefunden und die Einordnung in die Dorfgeschichte lieferte Jonn-Heinz Bernhardt. Der Fachmann in Hetlinger Geschichte ist Vorsitzender des örtlichen Kulturvereins und veröffentlichte 2014 eine Dorfchronik.

Der heutige Hetlinger Gemeindeteil Cranz wurde von dem Schmied Hans Soltau aus Heist mit dem Bau der Kate begründet. Vermutet wird, dass er sich neben seinem heimischen Betrieb auf der Geest ein zweites Standbein in der Marsch schaffen wollte. Der weiche Marschboden machte damals nur in wenigen Bereichen den Bau eines Hauses möglich. Der Standort musste also mit bedacht gewählt werden.

Ein undatiertes Foto aus alten Zeiten. Hier hat das Haus noch seine Rotklinkerfassade
Ein undatiertes Foto aus alten Zeiten. Hier hat das Haus noch seine Rotklinkerfassade © HA | Thomas Pöhlsen

Soltau hatte die Fläche von der Gutsherrschaft in Haseldorf erworben. Erika Seifert kann sich noch daran erinnern, dass sich in ihrer Kindheit eiserne Ringe in der Außenwand befanden, an denen die Pferde zum Beschlagen angebunden worden waren. Damals schrieb sich der Bereich übrigens noch Kranz, wie aus ersten urkundlichen Erwähnungen hervorgeht. Warum daraus Cranz wurde, konnte bisher niemand klären.

Am Ende des 18. Jahrhunderts war die Marsch bewaldet und nur ein Pfad führte von Hetlingen nach Haseldorf. Der Schmied hatte sich den Flecken ausgesucht, weil er hoffte, Bauern aus dem südöstlich gelegenen Idenburg — heute ein Gemeindeteil von Hetlingen — und dem nordwestlich gelegenen Haseldorf würden ihre Pferde bei ihm beschlagen lassen.

Nach und nach verkaufte die Gutsherrschaft Haseldorf weitere Flächen, es siedelten sich mehr Menschen in der Nähe des Schmiedes an. Der Ort Kranz entstand. Über die Geschichte dieses Hetlinger Gebietes gibt übrigens eine Tafel im Rahmen des Geschichtslehrpfades der Gemeinde Auskunft, die gegenüber der Einfahrt zum ältesten Haus der Gemeinde aufgestellt wurde.

Der Schmied Soltau verkaufte das Haus schließlich an den Hetlinger Bandreißer Tumforde. Der Besitzerwechsel erfolgte irgendwann im 19. Jahrhundert. Dokumente zum Verkauf existieren nicht mehr. In Hetlingen war damals und bis weit ins 20. Jahrhundert das Handwerk der Bandreißerei weit verbreitet. Die Binsen wuchsen im Watt der Elbe. Für die erste Bearbeitung gab die Dorfschule den Kindern sogar „Stöckebast-Ferien“.

Die Serie

Bauernhäuser, Kirchen oder auch ein Schloss, das eigentlich keines ist. Unsere Serie „Steinalt“, in der wir das jeweils älteste Gebäude einer Kommune vorstellen, bringt immer wieder spannende Details aus der Geschichte der Region zutage.

Bereits erschienen sind 47 Folgen der Serie. So haben wir über Appen, Barmstedt, Bevern, Bilsen, Bönningstedt, Bokel, Bokholt-Hanredder, Borstel-Hohenraden, Brande-Hörnerkirchen, Bullenkuhlen, Ellerbek, Ellerhoop, Elmshorn, Groß Nordende, Groß Offenseth-Aspern, Halstenbek, Haselau, Haseldorf, Hasloh, Heede, Heidgraben, Heist, Helgoland, Hemdingen, Holm, Klein Nordende, Klein Offenseth-Sparrieshoop, Kölln-Reisiek, Kummerfeld, Lutzhorn, Moorrege, Neuendeich, Osterhorn, Pinneberg, Prisdorf, Quickborn, Raa-Besenbek, Rellingen, Schenefeld, Seester, Seestermühe, Seeth-Ekholt, Tangstedt, Tornesch, Uetersen, Wedel und Westerhorn berichtet.

In unserer heutigen Ausgabe kommt als Nummer 48 noch die Gemeinde Hetlingen dazu. Letzter Teil: Am Montag, 31. Juli, Langeln.

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Die Binsen wurden von den Handwerkern zu Fassreifen verarbeitet. Diese Behälter wurden für Waren verwendet, bei denen Fässer mit Eisenspangen nicht eingesetzt werden konnten, etwa für den Transport und die Lagerung von Butter. Außerdem betrieb die Familie Tumforde in dem Haus einen kleinen Kolonialwarenladen.

Um 1900 wurde das Gebäude von den Großeltern von Erika Seifert erworben und dann an ihre Eltern weitergegeben. Ihr Vater Otto Karp war Maurer. „Er hat immer was umgebaut“, erinnert sich die Rentnerin. Die kleinen Fenster wurden durch größere ersetzt. Wände riss Otto Karp ein, damit aus den vielen kleinen mehrere größere Zimmer entstanden.

Gemälde des Hauses, angefertigt nach historischen Fotos zur Silbernen Hochzeit von Erika und Gerhard Seifert
Gemälde des Hauses, angefertigt nach historischen Fotos zur Silbernen Hochzeit von Erika und Gerhard Seifert © HA | Thomas Pöhlsen

In dieser Zeit verschwanden auch die Rotklinkeraußenwände und die heutige weiße Fassade entstand. Ein noch aus der Zeit des Schmiedes stammender Stall wurde abgerissen und durch einen Anbau ersetzt. Das Reetdach hatte schon der Bandreißer Tumforde runtergenommen.

1946 heirateten Erika Seifert, geborene Karp, und Gerhard Seifert. Zueinander gefunden hatten die beiden Hetlinger beim Tanzen in Dunckers Gasthof in Holm. Die Dorfjugend aus der Marsch machte sich damals zu Fuß auf den Weg, um in der Geestgemeinde zu schwofen. Nach der Heirat fand das Paar im ältesten Hetlinger Haus ein Zuhause. Anfangs arbeitet Gerhard Seifert noch als Feinmechaniker bei J. D. Möller Optische Werke in Wedel. Dann machte er sich als Bandreißer selbstständig. Der Hetlinger war ein Tüftler und machte sich seine Ausbildung zunutze, indem er Maschinen für die einstmals rein auf Handarbeit basierende Tätigkeit entwickelte.

Und es wurde weiter gebaut. Gegenüber dem Cranz 7 entstand mit Trümmersteinen aus Hamburg eine Werkstatt. Doch dann ging es mit der Bandreißerei zu Ende. Plastikbehälter hatten die alten Holzfässer mit Binsenreifen verdrängt. Das Ehepaar wechselte auf den Apfelanbau. Als die Apfelpreise einbrachen, wurde auf eine Schafzucht umgesattelt. Später sind in der Werkstatt Ferkel aufgezogen worden. Das Heu kam von den Wiesen rund um den Cranz.

Ihre Kinder bauten in der Nähe Häuser, der Alterssitz von Erika Seifert entstand. Heute hat die Firma Seifert Schaltanlagen von Sohn Jens und Schwiegertochter Bettina sowie Seifert Autoteile ihres Enkel Juls auf dem Areal ihren Sitz. Das älteste Haus in Hetlingen ging an Jens und Bettina Seifert, die es vermietet haben. „Unsere Mieter fühlen sich dort sehr wohl“, sagt Bettina Seifert.