Wedel. 1000 Autos täglich auf Schleichwegen unterwegs. Viele Fahrer finden das ganz komfortabel, die Anlieger allerdings nicht.

Das Rauschen schwillt schnell an, schlägt ganz kurz um in ein scharfes Zischen und ebbt dann in etwas tieferer Tonlage als zuvor langsam ab. „Wieder einer“, sagt Jost Jantzen. Für einen kurzen Moment erweckt der 61-Jährige den Eindruck, als führe er eine imaginäre Strichliste. Den Klang, den schnell rotierende Autoreifen auf Asphalt hinterlassen, den mag er nicht mehr hören. „Eigentlich ist das hier eine ruhige Gegend“, sagt sein Nachbar Thomas Buchholz.

Wedel, Gnäterkuhlenweg, die letzte Straße der Stadt, an die sich im Nordosten Felder anschließen. Hier stehen 30 Einfamilienhäuser. Deren Bewohner haben zusammengezählt etwa 50 Autos, schätzen Jantzen und Buchholz. Durch die 4,75 Meter schmale Anliegerstraße aber fahren täglich etwa 1000 Wagen. Diese Zahl jedenfalls hat die Stadtverwaltung im August vergangenen Jahres mittels Messgerät ermittelt. Und: 89 Prozent der Fahrer überschreiten die hier zulässige Höchstgeschwindigkeit. Außerdem passieren viele Lastwagen, obwohl das verboten ist. Buchholz: „Das Ganze ist irgendwie schleichend passiert.“

Wer sich die Lage der Straße auf einem Stadtplan anschaut, der ahnt: Wedels nördliche Umgehungsstraße, in den Haushaltsberatungen 2016 von SPD, WSI, Grünen und Linken politisch auf Eis gelegt, existiert hier längst im Stillen und funktioniert vorzüglich. Die Beobachtung der Nachbarn Jantzen und Buchholz ist eine ähnliche. „Morgens ist auf der Bundesstraße 431 Stau. Viele Pendler, insbesondere aus der Marsch, weichen dann aus“, meint Jost Jantzen und zeichnet eine der am Morgen oft genutzten Routen nach: über Holmer Straße, Aschhoopstwiete, Voßhörntwiete, Steinberg, Pinneberger Straße, Gnäterkuhlenweg, Moorweg, Wespenstieg und Sandmoorweg direkt nach Hamburg-Rissen. „Manche fahren offenbar auch ab Holm über den Kreisverkehr und biegen dann von Norden in unsere Straße ein“, ergänzt Thomas Buchholz und berichtet: Auffällig viele Autos hätten ein Itzehoer Kennzeichen. „Die Fahrer verlassen die Autobahn 23 wohl schon sehr früh, um über Wedels Schleichwege schneller in den Westen Hamburgs zu gelangen.“

Nordumgehung

SPD, WSI, Grüne und Linke haben Ende 2015 das Geld für die Planung der Nordumgehung aus dem Etat gestrichen. Seitdem ruht das Projekt.

Im Bundesverkehrswegeplan taucht die Umgehung auf, aber nicht mit höchster Priorität.

Die Planung des Baugebiets Wedel-Nord dürfte die Diskussion über eine wie auch immer geartete Umgehung wieder beleben.

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Die Gnäterkuhlenweg-Anlieger – 22 haben sich per Unterschriftenliste zu einer Initiative zusammengefunden – unternehmen viel, um die Situation in ihrem Sinne zu verbessern. Herausgekommen ist dabei allerdings noch nichts. Ihre Idee: Die Straße soll eine sogenannte unechte Einbahnstraße werden. Das bedeutet, dass von der Pinneberger Straße aus am Ortsschild ein Durchfahrtsverbot verhängt wird, sich aber sonst nichts ändert. Ein entsprechender Antrag der Anwohnerschaft an den Planungsausschuss ist im Mai an einen runden Tisch delegiert worden, der am 8. Juni mit Vertretern der Stadtverwaltung, der Politik, der Polizei und der Anwohner im Rathaus zusammengekommen ist. In dem vom Fachbereichsleiter Bürgerservice, Ralf Waßmann, unterschriebenen Protokoll taucht unter anderem das Durchfahrtsverbot als „Ergebnis/Vorschlag“ auf.

Umgesetzt wird es trotzdem bis auf Weiteres nicht, obwohl die Abteilung für Verkehrsaufsicht im Rathaus die Kompetenz dafür hat. Die Verwaltung möchte allerdings erst ein Meinungsbild aus der Politik einholen. Das ist auf der jüngsten Sitzung des Planungsausschusses nicht gelungen. Deshalb werde das Thema nach der Sommerpause erneut in dem Gremium behandelt, sagt Rathaussprecherin Stefanie Volkmann auf Anfrage.

Klare Kante hat bislang lediglich der SPD-Politiker Manfred Eichhorn gezeigt, der offensichtlich ein Anhänger der heimlichen Nordumgehung ist. Seine Worte im Planungsausschuss: „Wir müssen glücklich sein, dass wir Schleichwege haben.“ Eine Schließung des Gnäterkuhlenwegs würde seinen Worten zufolge zu einer Maximierung des Verkehrs in anderen Straßen führen, etwa in der Pinneberger Straße. „Und dort wohnen wesentlich mehr Leute.“

Jost Jantzen, Thomas Buchholz und alle Nachbarn, die hinter ihnen stehen, haben unterdessen noch einen Trumpf im Ärmel. Im Jahr 2008 ist ihre Straße innerorts als Anliegerstraße ausgebaut worden, das Stück jenseits des Ortsschildes bis zur Pinneberger Straße nicht. In einer Beschlussvorlage für den Planungsausschuss am 1. Dezember 2009 (BV/2009/127) heißt es dazu: „Wenn die desolaten Teilstücke des Gnäterkuhlen- und Osterkampwegs nicht umgehend verkehrsgerecht ausgebaut werden, muss eine Nutzung dauerhaft untersagt werden.“ Geschehen ist bis heute weder das eine noch das andere.