Pinneberg. Stadtwerke stoppen Versorgung. Die Frau hat nach Krankheit und Schicksalsschlägen vergessen, die Rechnungen zu bezahlen.
Wegen einer plötzlichen psychischen Erkrankung, falscher Medikation und zweier Unfällen ist eine Pinneberger Mutter dreier Kindern in eine schwere persönliche Krise geraten. Dabei wuchsen ihr die Probleme so sehr über den Kopf, dass sie vergaß, ihre Stromrechnung zu bezahlen.
Nun sitzt sie seit gut einem Monat ohne Strom und warmes Wasser in ihrer Wohnung in Pinneberg, muss sich bei Freunden und Nachbarn duschen, dort Wäsche waschen, kochen und Handy aufladen. In ihrer Not hat sich Susanne Fischer (Name geändert) an die Schuldnerberatung der Awo gewandt. Doch auch der gelang es nicht, die Stadtwerke Pinneberg dazu zu bewegen, den Strom für die 40 Jahre alte Mutter dreier minderjähriger Kinder wieder anzuschalten.
„Die Kinder können nichts dafür. Sie sollten nicht darunter leiden müssen“, beklagt Mechthild Kuiter-Pletzer von der Schuldnerberatung die harte Haltung des kommunalen Energieversorgers. „Die Stadtwerke haben doch einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen.“
Ihre Klientin Susanne Fischer wäre durchaus in der Lage, durch Mehrarbeit bei ihrem Arbeitgeber die offene, seit Oktober aufgelaufene Rechnung von rund 2100 Euro bis zum Jahresende abzuzahlen. Die ersten 300 Euro habe sie bereits überwiesen, sagt sie. „Die habe ich mir praktisch vom Mund abgespart.“
"Mama, wann kann ich wieder nach Hause kommen?"
Ihr jüngster Sohn, den sie wegen der Stromabschaltung vorübergehend bei einer befreundeten Familie untergebracht hat, rufe sie jeden Tag an und frage: „Mama, wann kann ich wieder nach Hause kommen?“ Sie vertröste ihn dann auf bald, sagt sie und ist dabei den Tränen nahe. „Der versteht das nicht.“
Der soziale Abstieg der Alleinerziehenden beginnt vor etwas mehr als einem Jahr. Wegen Stress und beruflicher Überanstrengung bekommt sie plötzlich Angstzustände und Panikattacken. Ein Arzt verschreibt ihr daraufhin Diazepam, ein Psychopharmaka, das schnell abhängig machen kann.
Fischer wird in der Psychiatrie in Elmshorn behandelt
Auch Susanne Fischer wird abhängig. Sie nimmt bald 120 Tropfen am Tag und wagt sich kaum noch aus dem Haus. Ihr Gemütszustand verschlechtert sich zusehends, im April wird sie vier Wochen lang stationär in der Psychiatrie in Elmshorn behandelt. „Ich hatte sehr starke Entzugserscheinungen.“ In dieser Zeit kümmert sich ihr Ex-Mann, von dem sie getrennt lebt, um die Kinder.
Als Susanne Fischer praktisch wieder gesund und medikamentenfrei ist, erleidet sie den nächsten Schicksalsschlag. Im Kreisverkehr im Pinneberger Quellental wird sie von einem Auto angefahren. Die Fahrerin hat sie, die sie mit dem Rad unterwegs ist, übersehen. Sie stürzt vom Rad und kugelt sich das Schultergelenk aus, muss mehrfach operiert werden und ist wochenlang krankgeschrieben.
Anschließend ist sie acht Wochen lang mit ihrem Jüngsten in der Mutter-Kind-Reha in Mecklenburg, wo sie weder Geld abheben noch Überweisungen tätigen kann. Auch in dieser Zeit versorgt ihr Ex-Mann die Kinder.
Die Awo hilft
Das führt zum bitteren Erwachen, als sie aus der Reha zurück nach Pinneberg kommt. Der Strom ist das erste Mal abgeschaltet, 2559 Euro sind an offenen Rechnungen aufgelaufen. Doch ein Freund hilft ihr aus der Patsche und leiht ihr das Geld, erzählt Fischer. Somit scheint alles wieder geregelt. Sie habe dann am Konto-Terminal ihrer Bank einen Dauerauftrag für die monatliche Stromabschlagszahlung eingerichtet. Doch das sollte ein Trugschluss sein, wie sie Monate später feststellt, als es bereits zu spät ist.
Der Vater der Kinder erleidet einen schweren Unfall
Nun ereilen sie und ihre Kinder der nächste harte Schicksalsschlag. Ihr Ex-Mann erleidet im Januar einen so schweren Unfall, dass er einen Hirnschaden davonträgt, nicht mehr lesen und schreiben kann und wohl noch mindestens zwei Jahre stationär in einer Klinik verbringen muss. Jetzt fällt ihr ohnehin brüchiges Konzept, dass ihr Ex-Mann sich um die Kinder kümmert, während sie bei der Arbeit ist, in sich zusammen. Sonst gebe es keinen in der Familie, der ihr helfe, sagt sie. Der Kontakt zu den Großeltern ihrer Kinder sei abgebrochen.
All das wächst ihr über den Kopf. Die Stromrechnung ist offenbar nicht bezahlt, und Anfang Mai drehen die Stadtwerke ihr den Strom erneut ab. Jetzt weiß Susanne Fischer weder ein noch aus und wendet sich an die Schuldnerberatung. Doch leider zu spät. „Ich konnte bei den Stadtwerken nichts für sie erreichen“, bedauert Kuiter-Pletzer. Letzte Hoffnung sei jetzt noch das Jobcenter. Susanne Fischer verdiene so wenig Geld, dass sie Anspruch zumindest auf Wohngeldunterstützung haben müsste.
Stadtwerke zeigen ein Einsehen
„Den Antrag haben wir zusammen ausgefüllt“, erklärt die Schuldnerberaterin. Sobald der bewilligt sei, könnte das Jobcenter ihr ein Darlehen gewähren, um die aufgelaufene Stromrechnung zu begleichen.
Kommt nun plötzlich die Wende zum Guten für die Pinnebergerin? Die Stadtwerke zeigten gestern Nachmittag ein Einsehen, als das Abendblatt sie erstmals über die Hintergründe informierte. „Von diesen persönlichen Verhältnissen und Schicksalsschlägen unserer Kundin wussten wir nichts“, sagt Wolfgang Kirchhoff vom Forderungsmanagement. „Dann hätten wir natürlich mehr Fingerspitzengefühl gezeigt.“
Die Kundin werde wieder Strom erhalten, sobald sie eine Ratenzahlungsvereinbarung unterzeichnet habe, dass sie die noch ausstehenden 1800 Euro bis Ende des Jahres zurückzahle.
Das hatte Fischer selbst über die Schuldnerberatung der Awo den Stadtwerken angeboten, weil sie jetzt in Vollzeit arbeite und so 300 Euro netto mehr Gehalt im Monat habe und dies Geld dafür aufwenden könnte.
Stadtwerke-Mitarbeiter Kirchhoff sagt aber auch: „Das darf jetzt kein Freibrief für säumige Kunden sein, sich hinter ihren Kindern zu verstecken.“ Ungefähr 100 Kunden werde jeden Monat der Strom abgestellt. „Das erhöht die Zahlungsmoral“, sagt Kirchhoff. Die meisten von ihnen hätten nach ein bis zwei Wochen wieder Strom.