Pinneberg. Wohnen am Gleis: Pinnebergs Grüne vermuten, dass nachgebessert werden muss. Die Stadt könnte sogar die Nutzung untersagen.

Sonntagmorgen im Pinneberger Stadtteil Thesdorf. Auf einem Hof vor 2014 gebauten Wohnhäusern ist fröhliches Kinderlachen zu hören. Ein Lachen, das kurz darauf vom Donnern eines vorbeirasenden Zugs verschluckt wird. Alltag am Düpenau Eck. Hier, wo Familien ohne Lärmschutz leben, weil die Bahn sich weigerte, eine Lücke in der schallabweisenden Wand zu schließen. Nachdem der Protest der Anwohner Mitte 2015 in Resignation versandete, sorgen Kommunalpolitiker nun dafür, dass die Pinneberger Lärmschutz-Posse wieder auf die Agenda kommt.

Manfred Stache und Peter Thomsen von den Grünen & Unabhängigen, fordern Konsequenzen. Sie fürchten, dass im Neubaugebiet Düpenau Eck nicht einmal die rechtlich bindenden Vorgaben des Bebauungsplans eingehalten wurden. „Hier hat es keine Bauabnahme der Stadt gegeben“, so Thomsen. „Pinneberg ist moralisch in der Pflicht, die Anwohner zu unterstützen“, sagt Stache. Lärmbelastung sei schließlich gesundheitsschädlich.

Ein Blick zurück: Im Februar 2015 sorgt der Protest der genervten Bahnanrainer am Düpenau Eck erstmals für Schlagzeilen. Betroffene gehen in die Öffentlichkeit. Nicht nur wegen des Lärms von der Schiene, sondern auch weil sie um ihre Sicherheit fürchten. So würden regelmäßig Gegenstände aus dem Gleisbett in Richtung ihrer kleinen Vorgärten geschleudert. Ein Nagel habe sich in einen Schuppen gebohrt, nachdem ein Zug vorbeigerast sei.

Die Posse um mangelnden Schallschutz sorgt überregional für Aufsehen, doch die Bahn bleibt hart. Eine Lärmschutzwand wird zwar gebaut. Nicht jedoch für die Familien am Düpenau Eck. Vor deren Häusern klafft eine Lücke.

Schon 2011, als das Baugebiet politisch auf die Agenda kam, hatten Anwohner der benachbarten Halstenbeker Straße darauf hingewiesen, dass es ihnen absurd erscheine, Wohnhäuser direkt an den Gleisen zu bauen. Joachim Dreher, Fraktionschef der Grünen, hatte dergleichen als zynisch bezeichnet. Er hatte dazu aufgefordert, den fraglichen Bebauungsplan 69 noch zu kippen. Dreher war auf taube Ohren gestoßen. Der Standort eigne sich dank optimaler Anbindung an den Nahverkehr optimal für Wohnbebauung. In der Tat: Näher an der Bahn geht es kaum.

Stache und Thomsen liegen nun allerdings neue Messergebnisse aus den Wohnungen vor. Anwohner hätten besagte Expertise eingeholt. Nach erstem Einblick dränge sich der Eindruck auf, dass die Werte von Vorgaben des Bebauungsplans 69 abweichen. Die Grünen haben einen umfangreichen Fragenkatalog vorgelegt, den die Stadtverwaltung zum Teil bereits beantwortet hat. Bauamtschef Klaus Stieghorst will dem Fall offenkundig nachgehen. Dank der Grünen lägen der Bauaufsicht nun Hinweise darauf vor, dass die Bauausführung womöglich nicht den Festsetzungen des B-Plans entsprächen, so Stieghorst in einem Antwortschreiben.

Was der Bauamtsleiter sonst noch vernehmen lässt, dürfte den Menschen am Düpenau Eck Schweißperlen auf die Stirn treiben. Denn für den Fall, dass an den Reihenhäusern oder an einer die Gebäude verbindenden Holzwand baulich nachgebessert werden muss, um Schallschutz zu gewährleisten, sieht die Stadt die Bewohner, die 2014 gekauft hatten, selbst in der Pflicht. „Verantwortlich für die Beseitigung möglicher Baumängel sind die heutigen Eigentümer“, heiß es. Denen stehe der Versuch offen, sich das Geld beim Bauträger wieder zu holen. Auch ein dramatisches Szenario findet Erwähnung: Sollten „gesunde Wohnverhältnisse dauerhaft nicht zu gewährleisten sein“, könne das „im schlimmsten Fall zu einer Nutzungsuntersagung führen“, so Stieghorst.

Die Bahn hat den Verzicht auf eine Schutzwand mit gesetzlichen Vorgaben begründet. Gebäude, die nach 1974 errichtet wurden, fänden keine Aufnahme in das Lärmschutzprogramm des Bundes, mit dem seit 2007 jährlich 100 Millionen Euro bereit gestellt werden. Die Grünen wollen weitere Nachfragen stellen – und das Thema auf die Tagesordnung der Gremien bringen.