Wedel. Weil er an dem Fahrzeug nicht vorbei kam, griff der Rentner zunächst einen Sanitäter an und demolierte dann den Krankenwagen.

Ihr Job war es, Leben zu retten. Stattdessen wurde einer der Rettungssanitäter tätlich angegriffen, im Anschluss auch noch der Krankenwagen demoliert. Angreifer war ein 86 Jahre alter Autofahrer. Sein Motiv: Er sah es nicht ein, dass der Rettungswagen am Fahrbahnrand parkte und damit kurzzeitig die Straße versperrte.

Der unfassbare Vorfall ereignete sich an der Pestalozzistraße in Wedel – und ist bereits eine Woche her. Am Dienstag machte ihn die geschädigte Rettungsdienstkooperation in Schleswig-Holstein (RKiSH) öffentlich. „So etwas passiert zum Glück nur ganz ganz selten“, sagt RKiSH-Sprecher Christian Mandel. Allerdings komme es immer häufiger vor, dass Autofahrer sich über Blaulichtfahrzeuge aufregen, die für einen Einsatz den Weg versperren müssen. Ein solches Verhalten ist laut der Straßenverkehrsordnung im Einsatzfall erlaubt.

Parkplatzsuche ist im Notfall für Rettungskräfte keine Option

„Einfacher Hintergrund ist, dass im Notfall einfach keine Zeit vorhanden ist, einen ordnungsgemäßen Parkplatz aufzusuchen. Das versteht im Normalfall jeder“, so Mandel weiter. Am Mittwochabend gegen 22 Uhr stand der Krankenwagen mit eingeschaltetem Warnblinklicht am Fahrbahnrand der Pestalozzistraße vor einem Mehrfamilienhaus, in dem sich der medizinische Notfall abspielte. Weil auf der anderen Fahrbahnseite ebenfalls Autos parkten, war eine Durchfahrt zu diesem Zeitpunkt nicht möglich.

Als einer der Rettungssanitäter zum Fahrzeug kam, um eine Trage zu holen, bemerkte er den Wagen des 86-Jährigen, der vor dem Krankenwagen wartete. Nachdem der Sanitäter auf das mehrfache Hupen des Mannes nicht reagierte, stieg der Mann aus und forderte den Kontrahenten lautstark schimpfend auf, sofort für ihn die Straße freizumachen. Als der RKiSH-Mitarbeiter dies ablehnte, schlug ihm der wütende Senior die Trage aus der Hand, kehrte zu seinem Wagen zurück und gab Gas, um sich zwischen dem Krankenwagen und dem auf der anderen Seite parkenden Pkw durchzuquetschen. Dem Rettungssanitäter gelang es laut RKiSH in letzter Sekunde, sich durch einen Sprung zur Seite zu retten.

Strafe für Rentner

Rentner Heinz B. hatte am 13. März 2015 am Hamburger Flughafen einen Rettungswagen zugeparkt, als er seine Tochter zum Flieger brachte.

Trotz eingeschaltetem Blaulicht, Martins- und Pressluft-Horn blieb der Rentner stur und hielt an seinem Parkplatz fest, während im Rettungswagen ein Herz-Patient behandelt wurde.

Der 72-jährige Heinz B., der dem Fahrer des Rettungswagens noch zweimal den Vogel gezeigt haben soll, wurde im April 2017 in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe von 1200 Euro verurteilt.

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Beim ersten Versuch, die viel zu kleine Lücke zu passieren, fuhr sich der 86-Jährige im Bereich seines Seitenspiegels fest. Er setzte daraufhin zurück und startete einen zweiten, diesmal erfolgreicheren Versuch. Dabei wurde allerdings der Rettungswagen schwer beschädigt, die offen stehende Tür eines Seitenfachs abgerissen. „Das Fahrzeug ist eine Spezialanfertigung, der Schaden beträgt mehrere Tausend Euro“, bilanziert Mandel.

Was noch schwerer wiegt: Der notwendige Transport des Patienten ins Krankenhaus konnte zunächst nicht erfolgen. Weil die Rettungswache in Wedel zu diesem Zeitpunkt nicht über ein Alternativfahrzeug verfügte, musste die Hamburger Berufsfeuerwehr für den Transport einspringen.

Der 86-Jährige war zu diesem Zeitpunkt über alle Berge. Weil sich der betroffene Rettungssanitäter aber geistesgegenwärtig das Kennzeichen des Fahrzeugs gemerkt hatte, erhielt der Senior nur wenig später Besuch von der Polizei.

„Es kommt inzwischen leider regelmäßig vor, dass Autofahrer uns wütend anhupen, wenn im Einsatz befindliche Rettungsfahrzeuge den Weg versperren“, sagt RKiSH-Sprecher Mandel. Auch über verbale Beleidigungen oder abfällige Gesten rege sich inzwischen kaum noch ein Kollege auf, so Mandel weiter. „Ein Fall in diesen Ausmaßen stellt aber eine absolute Seltenheit da“, so Mandel weiter. Nach seinen Angaben wird die Reparatur des betroffenen Fahrzeugs eine ganze Zeit in Anspruch nehmen. Mandel: „Wir verfügen aber über einen Pool von Ersatzfahrzeugen, sodass die Einsatzfähigkeit der Rettungswache in Wedel gewährleistet ist.“

Polizei sieht kein öffentliches Interesse an dem Vorfall

Nicht mehr über einen Führerschein verfügt inzwischen der 86 Jahre alte Unfallfahrer, dessen Wohnort nicht genannt werden soll. „Seine Fahrerlaubnis wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt“, bestätigt Polizeisprecherin Seyma Stephan auf Abendblatt-Anfrage. Gegen den Senior werde wegen gleich fünf Vergehen ermittelt – wegen Unfallflucht, versuchter Körperverletzung, Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Nötigung. Weitere Informationen dazu könne sie nicht geben.

Nach Abendblatt-Informationen hatte die Pressestelle der Polizei am Tag nach dem Vorfall überlegt, die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Trotz der Diskussion über zunehmende Gewaltbereitschaft gegen Einsatzkräfte und damit verbundene Gesetzesverschärfungen sowie der Debatte über die Fahrtüchtigkeit von Senioren wurde dies unterlassen – aus Sicht der Polizei bestand kein öffentliches Interesse an dem Fall.