Elmshorn. Das Stadtarchiv Elmshorn sichtet vor Rathausumzug Verwaltungsakten und erhält historische Zeugnisse für die Nachwelt.
Sozialistisches Verhalten als Verbrechen? Zu Zeiten des Deutschen Kaiserreichs war das Grund genug, ins Visier der Polizei zu geraten. Davon zeugt eine Akte, die im Stadtarchiv Elmshorn verwahrt wird. Das historische Zeugnis dokumentiert von 1874 bis 1887 das „sozialistische Verhalten des Sekretärs Carstens“. Sie ist die älteste Akte im Besitz des Elmshorner Stadtarchivs. Der damalige Amtsgerichtssekretär wurde wegen seiner linken Gesinnung entlassen. Später gründete er die Keramikfabrik Carstens.
Welche Verwaltungsakten und Schriftstücke von heute geben Forschern in 200 Jahren aufschlussreiche Einblicke in unsere heutige Zeit? Diese Frage stellen sich die Archivare auch in Elmshorn. Sie müssen derzeit verstärkt Altakten, deren Sperrfristen abgelaufen sind, im Keller des Rathauses sichten. Aktenbestand reduzieren: So lautet der Auftrag, denn in den kommenden Jahren steht der Umzug in den Rathaus-Neubau an.
Allein aus dem Sozialamt stammen 10.000 Akten
Eine Mammutaufgabe. Zigtausende wurden in den letzten drei Jahren bereits gesichtet, 2000 ins Archiv übernommen. Allein aus dem Sozialamt stammen 10.000 Akten. Doch nur etwa fünf Prozent der Unterlagen werden aufgehoben. Denn auch das Stadtarchiv hat nur begrenzt Platz. Doch was kommt in den Schredder, und was wird für die Nachwelt aufbewahrt?
„Die Kunst des Archivars ist zu erkennen, was in 200 Jahren für die Menschen noch interessant sein könnte“, sagt Archivleiter Peter Köhnke. Behalten werde ein Querschnitt durch das Handeln von Verwaltung und Politik. Zwischen all dem Wust aus Papier finden sich auch kleine Schätze wie die Sportlerehrungen von Tennisprofi Michael Stich und Vielseitigkeitsreiter Herbert Blöcker. Den fachlichen Hintergrund eignen sich die Mitarbeiter bei Weiterbildungen in der Archivschule in Marburg an, denn ein gelernter Archivar ist nicht unter ihnen.
Einige bislang ausgelagerte Verwaltungsbereiche sollen im Jahr 2024 in den Rathausneubau am Buttermarkt umziehen. Das Stadtarchiv selbst bleibt im Keller der Weißen Villa. „Wir werden uns vergrößern und auch die erste Etage beziehen, wenn einige Kollegen in den Neubau umziehen“, sagt Peter Köhnke.
In den Kellerräumen der Villa befinden sich historische Adressbücher oder gebundene Fleckenprotokolle ab 1850, Urkunden, Karten, Tonaufnahmen, Werke des Heimatforschers Konrad Struve, Geburts-, Heirats- und Sterbebüchern des Standesamtes ab 1874, Ortsrechte-Sammlungen und etwa 1,5 Millionen Fotos. Der Bestand lokaler Zeitungen ab 1885 soll dank Geld vom Land nun nach und nach digitalisiert werden. Der Nachlass der früheren Elmshorner Margarinefirma Wagner und eines aufgelösten Gesangsvereins sind ebenso Teil des Fundus’ wie handgeschriebene Meldekarteien für Ariernachweise aus der Nazizeit. Originale Quellen ermöglichen einen unverstellten Zugang zur Vergangenheit.
Auch spannende Fundstücke wie das Logbuch des Kapitäns Johann Oldegus des Elmshorner Walfängers „Brick Magdalena“ aus dem Jahr 1859, der in Grönland auf den Walfänger „Flora“ stieß. Die älteste Archivalie ist eine Reichspost Reuter von 1761, in der königlich-privilegierten Buchdruckerei Altona wurden nur vier Exemplare gedruckt, mit Berichten des Verwalters der Grafschaft Rantzau. „Nicht jedes Schätzchen wird einem zugetragen“, sagt Archiv-Mitarbeiter Udo Holtz. Dieses hat er bei Ebay gefunden.
Wer mit Bezug auf Elmshorn recherchieren will, ist im Stadtarchiv genau richtig. Im vergangenen Jahr haben das etwa 500 Menschen getan. Die häufigsten Anfragen kommen von Erbermittlern und Ahnenforschern. Holtz freut sich über steigende Besucherzahlen. „Wir haben gern Besucher“, sagt er. Damit die Mitarbeiter bei der Recherche helfen können, empfiehlt er, vorher einen Termin auszumachen.
Archiv gefordert
1980 gegründet aus dem Verwaltungsarchiv, wurde das Stadtarchiv Elmshorn viele Jahre ehrenamtlich geführt. Das änderte sich 2010. Damals wurde das Archiv an das Amt für Kultur und Weiterbildung angebunden und unter hauptamtliche Leitung gestellt. Heute arbeiten zwei hauptamtliche und sechs ehrenamtliche Mitarbeiter dort. Geringfügig Beschäftigte helfen bei wiederkehrenden Arbeiten wie Scannen.
Ein Archiv kostet Geld. Ohne die Unterstützung des Fördervereins wäre die Arbeit des Stadtarchivs Elmshorn kaum zu realisieren. Er wurde vor elf Jahren ins Leben gerufen. So konnten unter anderem Rollregale angeschafft und die EDV aufgerüstet werden.
Die Finanzierung schreckt viele Kommunen ab, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Während die Archivarbeit in Elmshorn vorbildlich ist, haben andere Kommunen wie Uetersen diese Aufgaben bislang stiefmütterlich behandelt. Die Einrichtung eines Stadtarchives für die Stadt Uetersen rückt nach jahrzehntelanger Nichtbeachtung des Schleswig-Holsteinischen Landesarchivgesetzes näher.
Wer im Stadtarchiv Elmshorn recherchieren will, ist montags von 8 bis 12 Uhr oder nach Absprache (Tel. 04121/231-271) willkommen.