Schenefeld . Massimo Altarelli hat das Vorhaben XFEL geprägt, jetzt geht er in den Ruhestand. Im Interview spricht er über die Zukunft des Projekts.

Er ließ das mediterrane Klima und die italienische Sonne hinter sich, um in Hamburg an einem Projekt mit Strahlkraft mitzuwirken: Seit zehn Jahren begleitet Massimo Altarelli das Projekt XFEL. Er glaubte schon an den Superlaser, als viele andere noch davon überzeugt werden mussten. Seit 2009 ist er Chef der eigens gegründeten European XFEL GmbH. In dieser Funktion war er in den vergangenen Jahren derjenige, der das Budget plante, den Personalstamm aufbaute und die Weichen stellte. Im kommenden Jahr startet der Superlaser – allerdings nicht mehr unter der Führung von Altarelli. Das Abendblatt hat mit dem XFEL-Erbauer über das Projekt der Superlative, über schwierige Zeiten und knifflige Entscheidungen, den Standort Schenefeld sowie die Aufgaben für die Zukunft unterhalten.

Herr Altarelli, erzählen Sie uns etwas über Ihren Werdegang. Wie hat es Sie zu XFEL verschlagen?

Massimo Altarelli: Wollen Sie die lange oder die kurze Version hören?

Etwas dazwischen wäre gut.

Ich habe mich die vergangenen 30 Jahre meines Lebens mit Röntgenstrahlung beschäftigt. Mein wissenschaftliches Interesse richtet sich auf Beschleuniger als Lichtquellen. Das Beste, was es derzeit gibt, ist der European XFEL. Das erste Mal in Kontakt kam ich 2004 mit dem Projekt. Ich war am Internationalen Zentrum für Theoretische Physik in Triest tätig und habe Italien in einem wissenschaftlichen Gremium für den künftigen European XFEL vertreten. Die Idee hat mich fasziniert. Als am DESY dann eine Stelle dafür ausgeschrieben wurde, habe ich mich beworben. Ich habe sozusagen eine Wette auf den Erfolg gemacht. Denn damals war nicht klar, dass der European XFEL überhaupt realisiert wird. Ich habe Italien verlassen und bin im September 2005 nach Hamburg gekommen. 2006 folgte meine Familie. 2009 wurde dann die European XFEL GmbH gegründet. Ich wurde Geschäftsführer und habe die Wette gewonnen.

Das ist der XFEL

Mit dem European XFEL entsteht eine einzigartige Forschungsanlage. Ab 2017 werden hier extrem intensive Röntgenlaserblitze erzeugt, die Forscher aus der ganzen Welt nutzen werden.

Erzeugt werden die Röntgenblitze in einer 3,4 Kilometer langen Anlage. Drei Betriebsgelände ermöglichen den Zugang zu den Tunneln und Messplätzen, eines davon befindet sich in Schenefeld, die beiden anderen auf Hamburger Gebiet.

Ein Teilchenbeschleuniger soll Elektronen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit bringen. Danach werden die Teilchen auf einen engen Slalomkurs gezwungen und senden dabei die Röntgenblitze aus.

Mit dem XFEL (steht übersetzt für Röntgenlicht-Freie-Elektronen-Laser) sollen sich atomare Details von Viren erkennen, chemische Reaktionen filmen und die Vorgänge im Inneren von Planeten untersuchen lassen.

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Sie haben in den vergangenen Jahren in vielerlei Hinsicht eine Großbaustelle gemanagt. Kurz vor dem Start, also der Verwirklichung des Projekts, gehen Sie nun von Bord: Bedauern Sie das nicht?

Nein, damit musste ich rechnen, als ich die Stelle angetreten habe. Denn ich bin jetzt 68 Jahre alt. 1987 wurde ich wissenschaftlicher Direktor der damals in Planung befindlichen Synchrotron­-Strahlungs­-Quelle ESRF in Grenoble. Ich habe damals den Aufbau begleitet. Als ich anfing, waren wir zu dritt. Am Ende waren es 160 Mitarbeiter. Das war eine wundervolle Erfahrung, zu sehen, wie aus einer Idee eine solche Anlage erwächst. Eine solche Vorstellung zu verwirklichen, ist eine sehr erfüllende Aufgabe. Die Gelegenheit, mit European XFEL so etwas noch einmal tun zu dürfen, habe ich natürlich sofort ergriffen und die Entscheidung nicht bereut.

Auch nicht, wenn etwas schiefging? Bei einem eine Milliarde-Euro-Bauprojekt kann doch gar nicht alles rundlaufen, oder?

Nein, es gab auch schwierige Momente. Wir hatten vor allem große Probleme mit der Herstellung einiger Komponenten für die Beschleunigermodule. Der Technologietransfer in die Industrie war eine große Herausforderung. Die Produktion mit internationalen Partnern aufzubauen, hat sehr viel mehr Zeit und Geld gekostet als erwartet.

Hat Ihnen das schlaflose Nächte bereitet?

Ich schlafe eigentlich sehr gut. Aber ja, das hat uns viel Mühe gekostet. Auf diese Erfahrung hätte ich gern verzichtet. Aber wenn man ein Ziel vor Augen hat, muss man den Weg gehen und schwer dafür arbeiten. Diesen Preis bezahlt man.

Wie würden Sie Ihren Anteil an European XFEL beschreiben? Was geht sozusagen auf Ihre „Kappe“?

© HA | Reimo Schaaf

Eine Entscheidung, an der ich maßgeblich beteiligt war, ist beispielsweise die Frage der Tunnelausstattung gewesen. So werden zwar erst einmal nur drei der fünf möglichen Strahlungsquellen gebaut, aber die Tunnel sind für die Erweiterung vorbereitet. Außerdem kann die Anlage bei Bedarf um eine zusätzliche Experimentierhalle erweitert werden. Es gab die Möglichkeit, einiges gleich umzusetzen. Ich habe mich dafür eingesetzt, eine gewisse Menge des Geldes lieber in die Zukunft zu investieren und später zu erweitern.

Wie wird die XFEL-Welt 2026 aussehen? Wird es Nobelpreisträger geben oder die Anlage weiter ausgebaut?

Wenn man sich anschaut, wie viele Nobelpreise für die Forschung mit Synchrotron-Röntgenstrahlungsquellen vergeben worden sind, sind die Voraussetzungen für einen Nobelpreis für die hier geleistete Forschung gut. Aber der Erfolg einer Forschungsanlage wie European XFEL hängt immer von den Menschen ab, die hier arbeiten und forschen. Man muss außerdem weiter bereit sein, in die Technologie und Idee zu investieren. Die Wissenschaft bleibt nicht stehen. Wenn man stehenbleibt, fällt man zurück. Um mit dieser Forschungsanlage an der Weltspitze zu bleiben, ist es wichtig, dass in die Erweiterung der Anlage und vor allem in die Qualität der Röntgenstrahlung weiter investiert wird. Das wird die Aufgabe meines Nachfolgers sein.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass das geplante Besucherzentrum am Standort Schenefeld in den kommenden Jahren wirklich entsteht?

Ich wünsche mir das sehr. Europa hat viel in diese Anlage investiert. Es wäre wichtig, dass möglichst viele Besucher erfahren, was hier passiert. Unsere Zukunft hängt stark von unserer technologischen Vitalität ab. Deshalb ist es umso wichtiger, junge Leute für die Naturwissenschaften zu begeistern. Unser Beitrag sollte es sein, Jugendlichen und vielleicht auch ihren Eltern zu zeigen, dass wissenschaftliche Berufe sehr interessant sein können. Die Kosten für ein Besucherzentrum machen einen Bruchteil von dem aus, was die Forschungsanlage gekostet hat. Wir haben von dem Zentrum aber einen hohen Lern- und Bildungsgewinn. Das ist eine gute Investition in die Zukunft.

Für den Jahreswechsel war ein weiterer Meilenstein mit dem ersten abgeschossenen Laserstrahl geplant: Werden Sie dabei sein?

Derzeit sind unsere Partner bei DESY dabei, die Beschleunigerelemente mithilfe von flüssigem Helium auf minus 271 Grad Celsius herunterzukühlen. Das wird bis Januar dauern. Der erste Elektronenstrahl könnte voraussichtlich im Februar oder März den Tunnel passieren, und etwas später der erste Laserstrahl in der Experimentierhalle ankommen. Im Spätsommer sollte dann der reguläre Nutzerbetrieb beginnen. Ob ich dazu eingeladen werde, weiß ich nicht. Aber ich bin mit dem neuen Geschäftsführer gut befreundet und denke, meine Chancen stehen gut.

Ihr Nachfolger ist Robert K. Feidenhans’l. Zum Jahresbeginn übergeben Sie das Projekt in seine Hände. Werden Sie nun nach Italien zurückkehren?

Erst einmal bleibe ich in Hamburg, wo ich am Max-Planck-Institut über Freie-Elektronen-Laser arbeiten werde. Meine Aufgabe wird es sein, herauszufinden, welche Möglichkeiten der European XFEL dem Max-Planck-Institut bietet und umgekehrt.