Kreis Pinneberg. Nicht unbedingt, sagt Thomas Krüger, der an der Hafencity Universität Stadtplanung lehrt. Aber es bestehe Bedarf an neuen Wohnungen.

Einige Politiker in Wedel waren gelinde gesagt ernüchtert, als sie in der Septembersitzung des Planungsausschusses über das Ergebnis einer sogenannten fiskalischen Wirkungsanalyse diskutierten. Das 125-seitige Werk, von dem es hieß, es sei schwer zu durchdringen, zeigt die finanziellen Folgen des geplanten Neubauprojekts Wedel-Nord für die Stadt auf. In der dann geforderten Kurzfassung für jedermann, die nun vorliegt und während der nächsten Sitzung vorgestellt wird, heißt es: „Die fiskalische Gesamtbilanz (...) liegt in den meisten betrachteten Berechnungsvarianten im negativen Bereich, das heißt, in der Gesamtsumme über 25 Jahre übersteigen die Ausgaben voraussichtlich die Einnahmen. (...) Wedel Nord wird in jedem Fall kein fiskalisch hochrentables Projekt (...).“

Das Thema Wachstum steht nicht nur in Wedel auf der Agenda. Im Abendblatt-Interview spricht der Stadtplanungs-Professor Thomas Krüger von der Hafencity Universität über die generellen Chancen und Risiken kommunaler Expansion.

Viele Kommunen rund um Hamburg wollen Neubaugebiete ausweisen, wollen wachsen. Wie viel Wachstum brauchen, wie viel vertragen sie noch?

Thomas Krüger: Ich beobachte, dass die Einschätzung von Ort zu Ort doch recht unterschiedlich ist. In einigen herrscht die Meinung vor: Wir sind groß genug, unsere Landschaftsräume sind sehr empfindlich, wir wollen zumindest nicht mehr in die Fläche wachsen. In anderen wird lebhaft diskutiert. Und das aus gutem Grund. Zum einen ist heute eine große Sensibilität vorhanden, wenn es um Eingriffe in Natur und Landschaft geht. Zum anderen geht es auch um die Frage, welche mittel- und langfristigen Folgen neue Baugebiete für eine Kommune haben. Früher hielt man es für selbstverständlich, dass neue Baugebiete immer gut sind. Heute wissen wir, dass das sehr differenziert betrachtet werden muss.

Ein Argument für Wachstum lautet oft:
Anderenfalls überaltert unser Ort, stirbt
irgendwann aus.

Na ja, im näheren Hamburger Umland – und damit meine ich alle angrenzenden Kreise bis nahezu an ihre Außengrenze – haben wir derzeit eine sehr starke Nachfrage aus Hamburg heraus, weil viele Haushalte aus Kostengründen aufs Umland ausweichen. Und auch wenn die Generation derer, die in den 60er- und 70er-Jahren Häuser gebaut haben, diese nach und nach verlässt, so ziehen gleichzeitig doch viele Haushalte, gerade junge Familien mit Kindern zu. Insofern kommt es zu einem Ausgleich der Bevölkerungsstruktur. Ein Aussterben von Orten ist sicherlich nicht zu befürchten, zumindest im Hamburger Umland ist das derzeit kein Thema.

Auch Erfahrungen bei der LEG gesammelt

Prof. Thomas Krüger, gebürtiger Hamburger, ist im Stadtteil Rahlstedt aufgewachsen.

Nach dem Abitur studierte er ab 1988 an der TU Dortmund Raumplanung und an der TU Hamburg-Harburg Städtebau/Stadtplanung.

Ein Referendariat Städtebau beim Kölner Regierungspräsidenten schloss sich an.

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsgebiet Stadt- und Regionalökonomie kehrte Krüger 1996 an die TU Hamburg-Harburg zurück.

Für die Landesentwicklungsgesellschaft Schleswig-Holstein war er von 1996 bis 2000 Leiter des Fachbereichs Konzeptentwicklung.

Professor ist der 59-Jährige seit 2000 – zunächst in Harburg, seit 2009 an der Hafencity Universität.

1/6

Wie lange wird die starke Nachfrage nach Wohnraum im Umland noch anhalten?

Hamburg hat – wie viele Metropolen – einen starken Zuspruch als Arbeits- und Lebensort. Von daher: Wenn nicht eine größere ökonomische Katastrophe passiert, würde ich davon ausgehen, dass es die nächsten zehn oder 15 Jahre so bleibt.

Klingt so, als lohne es sich für Kommunen grundsätzlich noch, zu wachsen.

Nicht unbedingt. Wenn eine Kommune möglicherweise wegen eines neuen Baugebietes eine neue Kindertagesstätte errichten muss, kann sich das Ganze sozusagen nicht rechnen, weil diese Kindertagesstätte in zehn Jahren nicht mehr gebraucht wird. Zumindest nicht an dieser Stelle. Kommunen, die aber in kleinen Schritten vorgehen und dabei möglichst auch noch einen differenzierten Wohnungsmix schaffen, sind gut beraten. Die Projektentwickler wollen natürlich gern große Baugebiete am Stück realisieren. Ebenso die Landwirte, die Grundstücke verkaufen. Das ist ja privatwirtschaftlich gerechnet auch sehr vorteilhaft. Eben nur nicht für eine Kommune. Die sollte an einer stabilen, ruhigen Entwicklung der Bevölkerungsstruktur interessiert sein, die die Infrastruktur nachfragt, und nicht ein Nachfragestrohfeuer erzeugt. Also: Aus Sicht einer Kommune ist eine sukzessive Entwicklung sicherlich klüger als ein großes Baugebiet am Stück.

Gibt es eine Formel, wie viel prozentuales Wachstum eine Kommune auf einen Schlag verkraftet?

Ich kenne keine. Neue Baugebiete ziehen ja vor allem junge Familien mit Kindern an. Also kommt es darauf an, wie die Auslastung der Kindertagesstätten und Schulen vor Ort ist. Das ist die entscheidende Größe: ob Infrastruktur aufgebaut werden muss oder nicht. Es gibt auch noch andere Sprungkosten, also Kosten, die sich schlagartig erhöhen. Zum Beispiel wenn Sie plötzlich das Klärwerk erweitern müssen. Oder wenn Sie eine Kreuzung umbauen müssen. Infrastruktur hat eine bestimmte Grenzbelastung. Und wenn die ausgebaut
werden muss, dann wird es gleich richtig teuer.

Also: Je mehr Investitionen in Infrastruktur erforderlich sind, desto weniger lohnt es sich für die Kommune.

Logisch. Eine weitere wichtige Frage ist: Wem gehören die Grundstücke? Kann eine Kommune von der Vergoldung von Ackerland selbst profitieren und dadurch wichtige Einnahmen generieren, oder fließt das Geld in private Kassen? Die Grundstückskosten können je nach Projekt zwischen 15 und 30 Prozent betragen. Und wenn Sie davon 50 Prozent abschöpfen, wird das schon richtig interessant.

Ausschuss

Der Planungsausschuss in Wedel tritt am Dienstag, 29. November, um 18 Uhr im Ratssaal (Rathausplatz 3–5) zusammen.

Ein entscheidendes Thema ist die Kurzfassung der fiskalischen Wirkungsanalyse fürs geplante Neubaugebiet Wedel-Nord.

Ein weiterer: das Wohnungsmarktkonzept der Stadt.

1/3

Welche Art von Wohnraum wird im Hamburger Umland gebraucht?

Vielerorts gibt es zu wenig Wohnungen für die zunehmende Zahl von Singles oder Kleinfamilien. Das klassische Einfamilienhaus auf 400 Quadratmeter Grundstück ist nicht mehr die alleinige Lösung. Es wird zwar nach wie vor auch nachgefragt. Gebraucht wird aber ein Mix von Wohnraum. Und das kann sich bei neuen Baugebieten als problematisch erweisen: Sie liegen meist am Siedlungsrand, und dort Geschosswohnungsbau statt Einfamilienhäusern zu realisieren ist städtebaulich auch nicht sinnvoll. Geschosswohnungen sollten besser in den Ortszentren entstehen.

Sie sprachen eingangs von mittel- und langfristigen Folgen. Wie definiert ein Stadtplaner kurz-, mittel- und langfristig?

Kurzfristig: fünf, zehn, vielleicht auch 15 Jahre. Das ist auch ungefähr die Zeit, in der normalerweise Baugebiete abgeschlossen werden. Mittelfristig sind bis zu 30 Jahre, ungefähr eine Generation. Und langfristig ist alles darüber hinaus.

Das ist ein sehr langer Zeitraum.

Ja, so müssen wir aber auch denken, weil die Stadtstrukturen, die wir bauen, neuentwickeln oder umstrukturieren, sehr, sehr lange Lebenszyklen haben. Auch wenn wir nicht in die Zukunft schauen können: Wir sollten gut überlegen, dass die Projekte, die wir in die Welt setzen, auch noch in 20, 30 und 50 Jahren vernünftig sind und nicht nur einer kurzfristigen Nachfrage folgen, wie es bei diesen großzügigen Einzelhausgebieten der 60er- und 70er-Jahre mit riesigen Grundstücken der Fall war. Die sind am Markt inzwischen schwer zu platzieren. Im Kern stellt sich die Frage, wie nachhaltig diese Wohn- und Siedlungsformen sind.

Was wird mit diesen Gebieten passieren?

Es wird spannend sein, das zu beobachten. In der Form, in der sie heute bestehen, oft mit wenigen Bewohnern, werden sie keine Zukunft haben. Sie werden auf jeden Fall einer höheren Nutzungsdichte zugeführt werden müssen. Und sie werden ja auch von der Nachfolgegeneration angenommen, umgebaut und modernisiert. Wir werden zumindest im näheren Hamburger Umland keine Sorge haben müssen, dass solche Gebiete irgendwann leer fallen.

Ein anderes Thema: Wie schafft ein schlauer Projektentwickler in der Bevölkerung Akzeptanz für sein Bauvorhaben? Wie sieht das perfekte Neubaugebiet aus, das allen gefällt?

Das gibt es nicht. Viele Menschen begrüßen Veränderung ja nicht unbedingt. Deshalb gilt: Qualität produzieren und das auch kommunizieren. Und: Wenn die bisherige Bevölkerung von einem neuen Projekt auch Vorteile hat, ist die Akzeptanz natürlich ungleich größer: Wenn sich beispielsweise die Versorgungssituation verbessert. Oder die Parkplatzsituation. Oder wenn ein richtig guter neuer Spielplatz entsteht. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass es auch in so einem Fall überhaupt keine Widerstände gäbe. Das ist einfach so.