Pinneberg. Bei einer öffentlichen Testung des Gebäcks in einem Buchladen in Pinneberg probiert Sachverständiger Michael Isensee 26 Stollen.

Für die meisten Deutschen bedeutet ein Weihnachtsstollen Genuss. Für Michael Isensee bedeutet er vor allem eines: Arbeit. Der Sachverständige ist Tester des Instituts für Qualitätssicherung von Backwaren, das in Weinheim an der Bergstraße angesiedelt ist. Von Ende Oktober bis Anfang Dezember testet er allerdings weder Brot noch Brötchen wie sonst das restliche Jahr über, sondern nur Stollen, Stollen, Stollen – fünf Tage pro Woche.

Der freundliche Herr mit den ratzekurzen grauen Haaren testet an diesem Freitagmorgen im Pinneberger Buchladen Bücherwurm an einem langen Tisch, darauf diverse Stollen, Schneidbrett, Messer und natürlich Laptop.

Christina Steffensen (v. l.), Eda Gülcan und Alina Ahmad, Azubis als Bäckereifachverkäuferinnen im 3. Lehrjahr der Beruflichen Schule Elmshorn, verkaufen Stollen
Christina Steffensen (v. l.), Eda Gülcan und Alina Ahmad, Azubis als Bäckereifachverkäuferinnen im 3. Lehrjahr der Beruflichen Schule Elmshorn, verkaufen Stollen © HA | Elvira Nickmann

Bereits am Eingang des Geschäfts stoßen Kunden auf einen Stand, an dem freundliche junge Verkäuferinnen verschiedene Stollensorten verkaufen. Sie sind angehende Bäckereifachverkäuferinnen im dritten Lehrjahr, die an der Beruflichen Schule Elmshorn in einem zweiwöchigen Projekt ein Stollenkonzept entwickelt haben, inklusive selbst gebackenem Stollen am Stiel, Verpackung, Präsentation mittels Flyern und Plakaten und natürlich Verkauf. „Hundert Gramm kosten zwei Euro“, sagt Azubi Eda Gülcan. Der Erlös jedes Gramms verkaufter Stollen kommt dem Verein Pinneberger Kinder zugute.

Mohn, Nuss, Marzipan, Cranberry, Rosinen und weitere Sorten sind im Angebot. Die Pinnebergerin Gerda Krause hat gerade zwei Stollen am Stiel für ihre Enkelinnen gekauft. Zuvor hat sie von den Probehäppchen gekostet: „Kann ich nur empfehlen, die sind lecker“, sagt sie.

Eine Kundenempfehlung ist gut, eine Urkunde noch besser. Die stellt Michael Isensee nur dann aus, wenn er die Backwaren mit „sehr gut“ oder „gut“ bewerten kann. Höchstens 30 Stollen kann er an einem solchen Arbeitstag testen, dann ist Schluss. Um halb zwölf hat der Experte bereits 17 Stollen hinter sich gebracht, neun Exemplare liegen noch vor ihm. Er hat sie beschaut und befühlt, an ihnen geschnuppert. Und schließlich beherzt hineingebissen.

Ein Becher Tee ist immer dabei

Immer dabei: ein Becher mit dünnem schwarzem Tee. „Er muss nur warm sein. Kaffee ginge schon allein wegen der Röststoffe nicht“, sagt Isensee. Nach jedem Bissen neutralisiert er damit den Geschmack und säubert seinen Mund für den nächsten Bissen.

Michael Isensees Eltern waren Inhaber einer kleinen Bäckerei, auch er lernte das Handwerk und legte die Meisterprüfung ab. Nachdem eine Umgehungsstraße des Ortes dafür sorgte, dass die Kundschaft immer weniger wurde, orientierte er sich um. Eigentlich wollte er seinerseits Meisterschüler ausbilden, da stieß er durch Zufall auf das Stellenangebot des Instituts. Er stellte sich vor und bekam den Job, an dem er bis heute Gefallen findet, obwohl „drei Viertel der Einsätze nicht zu Hause“ sind. Am Tag zuvor hat er in Berlin getestet.

Nach der Testung folgt die Auswertung, dazu hat er sein Laptop immer dabei. Die Urkunden werden noch vor Ort ausgedruckt, die guten und sehr guten Ergebnisse finden sich bereits wenig später auf der Homepage des Instituts. Den idealen Stollen gibt es nicht, da für jede Sorte andere Vorgaben gelten. „Sie sollten hell gebacken sein und ein gutes Verhältnis zwischen Früchten und Teig aufweisen“, sagt Isensee. Ebenfalls wichtig: Verteilung der Früchte. Knete man sie zu lange unter, gebe es Matsch. Der Geruch und das Aroma spielen eine Rolle, Früchte dürfen herausschmecken, Gewürze nicht: „Die sollen den Geschmack nur unterstreichen.“ Ob das Gebäck saftig oder trocken sei, könne er erfühlen und sehe es auch daran, ob eine Scheibe sich biegen lasse oder gleich breche. Die Form müsse typisch für die Sorte sein, bei Stollen aus Ostdeutschland sei sie beispielsweise häufig flacher. Vorgaben zu Mengen müssten ebenfalls erfüllt sein: „Ein Butterstollen muss auf ein Kilogramm Mehl mindestens 400 Gramm Butter enthalten“, erklärt Isensee. Jedes Jahr testet er neue Kreationen: Diesmal sind außer den Klassikern auch Pistazien- und Orangenstollen dabei. Sein persönliches Highlight ist jedoch die Sorte Cranberry.

Gefettet und mit Puderzucker bestreut sind sie alle. Das dient der Haltbarkeit. „Viele ältere Kunden schneiden tatsächlich erst an Ostern ihren Stollen an“, erzählt er. Isenberg macht das nicht. Privat kommt ihm kein Stollen ins Haus, da backt er lieber Kekse.