Wedel . Anwohner klagen erneut über Partikel-Regen aus der Wedeler Anlage. Vattenfall will Prüfflächen einrichten. Laut BI schon sechs Fälle.
„Vor drei Wochen wurde dieses Dach aufwendig gereinigt“, erklärt Anja Goral und zeigt auf die dreckigen Scheiben ihres Wintergartens. Drei Wochen? Gründliche Reinigung? Danach sieht das Dach nun wahrlich nicht aus. Überall finden sich kleine dunkle Flecken. „Als hätte man es drei Jahre lang nicht geputzt, oder?“, sagt Goral. Sie ist sauer. Nach dem ganzen Aufwand, den sie betrieb, um die Spuren des letzten Ascheregens zu beseitigen, ist schon wieder alles dahin. Denn laut den betroffenen Anwohnern ging am Montag ein erneuter Partikel-Regen vom Wedeler Kraftwerk auf die Siedlung nieder.
Empörung über Hinweis auf grillende Nachbarn
Seit 1998 wohnen die Gorals am Hellgrund in unmittelbarer Nachbarschaft zum Steinkohlekraftwerk. Das spuckte immer mal Partikel aus. Das kennen die Anwohner. Doch das Kraftwerk ist zum Dauerspucker mutiert. Laut Kerstin Lueckow, Sprecherin der Bürgerinitiative (BI) „Stopp. Kein Megakraftwerk Wedel“, ist der Partikel-Ausstoß noch nie so häufig vorgekommen wie in den vergangenen Wochen. Sechs Vorfälle zählte die BI, die die Ausstöße mit Proben dokumentiert hat. 2015 waren es laut BI insgesamt vier. Die Partikel sollen zudem deutlich größer, teilweise grünlich gewesen sein und hätten laut Lueckow erstmals eine ätzende Wirkung entfaltet. Was sich auch an manchem Auto der Nachbarn ablesen lässt. So haben die Partikel auf dem Wagen von Anja Gorals Tochter helle Flecken im Lack hinterlassen.
Dass es in den vergangenen Wochen zu Problemen kam, streitet das Unternehmen Vattenfall als Betreiber des in die Jahre gekommen Steinkohlemeilers auch nicht ab. Nur mit der Behebung tut sich das Energieunternehmen anscheinend schwer. „Nach der jährlichen Revision des Heizkraftwerkes Wedel ist es zeitweise zum Auswurf von Gips- und Flugaschepartikeln gekommen“, erklärt Pressesprecherin Karen Kristina Hillmer. Auf wie viele Male legt sie sich nicht fest. Auch auf die Frage nach der Ursache für das ständige Partikel-Problem hat sie keine richtige Antwort. „Eine mögliche Ursache für den Auswurf können Anhaftungen im Rauchgaskanal zwischen Rauchgasentschwefelung und Schornstein sein.“ Die wurden möglicherweise beim Wiederanfahren der Kraftwerksblöcke aufgewirbelt. Doch nun ist bereits September und das Wiederanfahren im Juli einige Monate her.
Vielleicht ist das der Grund, warum Vattenfall auch mit dem letzten von den Anwohnern beklagten Partikel-Ausstoß nichts zu tun haben will. „Wir haben keine Indikation dafür, dass es sich hierbei um einen Niederschlag aus dem Kraftwerk Wedel handelt“, so Hillmer. Laut Lueckow wurde Anwohnern, die sich bei Vattenfall beschwerten, mitgeteilt, dass die Partikel auch von grillenden Nachbarn stammen könnten. „Das ist doch unverschämt“, sagt Lueckow und Goral ergänzt: „Wie viele Nachbarn sollen denn hier gleichzeitig den Holzgrill anschmeißen, um ein ganzes Viertel mit Partikeln zu überziehen?“
Dabei ist die Familie Goral noch dabei, die Spuren der letzten Aschewolke zu beseitigen. Die Rechnung für die Reinigung des Wintergartendaches vor drei Wochen übernahm Vattenfall, nachdem ein Sachverständiger vor Ort war. Aber es müssen noch die kaputte Markise und verätzte Fenster ersetzt werden. Zudem sicherte man Goral zu, dass die Lackschäden am Auto der Tochter wegpoliert werden. Bisher ist das nicht geschehen. Und nun muss Goral zusätzlich wohl um die nächste Reinigung des Wintergartens kämpfen.
Von dem Partikel-Rückstand auf Gorals Dach machte sich auch der SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Hölck am Donnerstag einen Eindruck. „Wenn Vattenfall das nicht in den Griff bekommt, muss die Anlage heruntergefahren oder das Kraftwerk abgestellt werden, bis das Problem behoben ist“, so Hölck, der Aufklärung verlangt und das Thema in den Kieler Ausschuss für Umwelt- und Agrar im Oktober einbringen will.
Bei Vattenfall wurde derweil eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Ziel sei es, die Ursache zu klären und Abhilfe durch eine Optimierung der Rauchgasreinigungs- und der Betriebsprozesse zu schaffen. Gleichzeitig geht Vattenfall wohl von weiteren Problemen aus. Denn das Unternehmen will drei Prüfflächen einrichten, die täglich kontrolliert werden sollen, um laut Hillmer „künftig detailliertere Aussagen zum Partikelausstoß treffen zu können.“