Wedel. Um Ressentiments gegen Flüchtlinge entgegen zu wirken: Bürgermeister Niels Schmidt präsentiert eine geflüchtete Vorzeigefamilie.
Ein Wedeler Mietshaus, etwas östlich des Zentrums. Gelber Klinker, vier Stockwerke, zwölf Wohnungen. Drei hat die Stadt gemietet. Ganz oben wohnen zwei afghanische Familien, im ersten Stock rechts, in drei Zimmern auf 78 Quadratmeter, die Atanhlys aus Syrien: Vater Ahmad Adnan (36), Mutter Nisreen (30) und die fünf Töchter im Alter von 15, 14, zehn, fünf und zwei. Bürgermeister Niels Schmidt hat sich gewünscht, dass die Wedeler einen Einblick ins Leben der siebenköpfigen Flüchtlingsfamilie erhalten. Weil die Atanhlys so nette Leute sind, das perfekte Beispiel für gelingende Integration. Weil sie zugleich aber so total durchschnittlich seien im Kreis der 447 Asylbewerber, die derzeit in der Rolandstadt eine neue Heimat gefunden haben.
Schmidt, und das treibt ihn an, beobachtet in seinem Wedel, das so weltoffen und geprägt von sozialem Frieden sei, Tendenzen: „Einige wenige haben den Flüchtlingen gegenüber eine ablehnende Haltung“, sagt er, „einige mehr vielleicht ein grundsätzlich ungutes Gefühl.“ Anja Rose, die kommissarisch den Fachdienst Soziales im Rathaus leitet, kann das mit Fakten untermauern. „Seit einigen Wochen erreichen uns Äußerungen von Bürgern, die von Ressentiments geprägt sind“, sagt sie. Dass die Flüchtlinge den ganzen Tag faul in ihren Unterkünften säßen, zum Beispiel. Dass sie in zu teuren Wohnungen lebten. Dass sie keine Gartenarbeit machten. Dass sich die Nachbarn beeinträchtigt fühlten.
Ihren Höhepunkt hat die Welle der Vorurteile erreicht, seitdem ein städtischer Mitarbeiter in einer Unterkunft am Ansgariusweg mit einer Dachlatte niedergeschlagen worden ist. Der Vorfall liegt etwa drei Wochen zurück, die Stadtverwaltung hat ihn bewusst nicht publik gemacht. Trotzdem hat die Geschichte die Runde gemacht, brodelt die Gerüchteküche. „Dabei hatte das Ganze gar nichts mit Flüchtlingen zu tun, der Täter ist psychisch krank“, sagt Bürgermeister Schmidt heute.
So kommt es, dass die Atanhlys nun in ihrer mit Möbelspenden zweckmäßig eingerichteten Dreizimmerwohnung stehen und den Besucher anstrahlen. Und das, obwohl furchtbare Zeiten noch gar nicht weit hinter ihnen liegen. „Ich wünsche mir, dass meine Kinder hier das Gefühl haben können, in Sicherheit zu sein“, lässt Ahmad Adnan Atanhly übersetzen. Er hat gerade einen Aufenthaltstitel bekommen, darf erst jetzt einen Integrationskursus beginnen.
Wenn er von seiner Vergangenheit in Damaskus erzählen lässt, dann ist das die Geschichte eines reichen Mannes: Eigener Sanitärhandel, zwei Häuser, vier Autos. Dann kommt „die Miliz“, nimmt ihn vorübergehend fest, fordert dann Geld. Mehr will er nicht erzählen. Aber da ist noch mehr. Im Endeffekt verliert die Familie alles und muss um ihr Leben bangen. Ahmad Adnan Atanhly flieht über die Türkei und den gefährlichen Seeweg nach Griechenland. Frau und fünf Kinder folgen wenig später auf derselben Route. Nach einer Stunde bricht der Whatsapp-Kontakt ab. Fünf Stunden bange Ungewissheit. Dann die Nachricht: Das Boot hat die griechische Küste trotz Motorschadens erreicht.
Nun Kreis Pinneberg. Ahmad Adnan Atanhly hilft ehrenamtlich, wo er kann, die drei ältesten Töchter sind fleißig in der Schule. Im ersten Stock rechts lebt eine Wedeler Vorzeigefamilie.