Kreis Pinneberg. Professor Michael Schreckenberg rät Autofahrern von hektischen Fahrbahnwechseln ab. Zudem sollten die Planer keine Spuren wegnehmen.
Stoßstange reiht sich an Stoßstange. Meter für Meter geht es voran. Eine zähe Angelegenheit, der Alltag auf den beiden Autobahnen im Kreis Pinneberg. Ferien-Reiseverkehr, Arbeiten am Hamburger A-7-Deckel, neuer Flüsterasphalt für die A 23 – vor allem bei Pendlern sind starke Nerven gefragt. Professor Michael Schreckenberg kennt das Phänomen Stillstand. Er ist Deutschlands einziger Stauforscher, lehrt an der Universität Duisburg-Essen.
Vor Beginn der Bauarbeiten im Bereich der Autobahn 7 hat Schreckenberg die für das Großprojekt verantwortlichen Politiker beraten. Im Gespräch mit dem Abendblatt hat er jetzt manch Tipp für Autofahrer parat. Denn: Etwa 20 Prozent der Staus seien zu vermeiden, wenn sich der Einzelne richtig verhalte. Vor allem hektische Fahrbahnwechsel sind dem Professor ein Dorn im Auge. Auch den Baustellen-Koordinatoren schreibt er für die Zukunft etwas ins Stammbuch. „Ich rate dringend davon ab, den Autofahrern Spuren wegzunehmen“, so der Stauforscher. Auf der A 23 hatte eine frühzeitige Verengung vorm Autobahnkreuz Nordwest kürzlich kilometerlange Staus zur Folge gehabt.
Für Schreckenberg, der an der Universität zu Köln 1985 in statistischer Physik promovierte, bevor er an der Uni Duisburg-Essen 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt, ist der deutsche Autofahrer fraglos eine ganz besondere Spezies. „In unserem Land ist der Wagen ein Statussymbol, im Verkehr fühlt sich der Deutsche sehr leicht übervorteilt, das führt zu einem Konkurrenzveralten auf der Straße,“ so der Staupapst aus dem Ruhrpott.
Dieser „Platzkampf“ mache sich in dichtem Verkehr ganz besonders bemerkbar. Etwa dann, wenn es darum gehe, das Prinzip des Reißverschlussverkehrs vernünftig anzuwenden, wie in den vergangenen Wochen auf der A 23 erforderlich. „Wir erleben häufig, das Verkehrsteilnehmer versuchen, in Lücken reinzustechen, um so früher ans Ziel zu gelangen.“ Trichterphänomen nennt Schreckenberg dergleichen. Zum Ziel führe das spontane Einfädeln selten. „Es bringt meist nichts, früh auf die verbleibende Spur zu wechseln.“
Sperrungen: In Rellingen wird’s noch enger
Verständnis hat der Stauforscher für das Verhalten von Autofahrern, die auf dem Weg in Richtung Süden eine Option verschmähen. Zwar sind kurz hinter der Landesgrenze auf der A 7 drei Spuren verfügbar, die linke davon wurde jedoch verschwenkt – und wird seither weit weniger genutzt als die beiden rechten Fahrstreifen. „Dafür gibt es eine psychologische Erklärung“, so Schreckenberg. Autofahrer treibe grundsätzlich die Angst um, gefangen zu sein. „Wenn in der abgezweigten Spur jemand liegenbleibt, gibt es keine Chance, dem Stau zu entrinnen.“Und wie verhalte ich mich in einer auf zwei Fahrbahnen verengten Baustelle richtig? „Keine hektischen Spurwechsel“, antwortet Schreckenberg.
Wie schon der Hamburger Verkehrskoordinator Gerhard Fuchs rät er davon ab, A 7 und A 23 zu verlassen, um sich den Weg über Land zu bahnen. „Die Kapazitäten im Umland sind geringer, zudem gibt es Kreuzungen, auf der Autobahn geht es selbst im Stau in der Regel noch schneller voran.“ Zumal moderne Navigationsgeräte, die dichteren Verkehr erkennen und alternative Routen berechnen, die Situation auf den Landstraßen noch verschärften. „Da fahren dann alle ab“, so der Professor.
Schreckenberg, der sich seit vielen Jahren mit der Optimierung von Transportsystemen befasst, appelliert an Verkehrsteilnehmer, das Prinzip der Kooperation auf den Straßen hochzuhalten. Ständiges Beschleunigen und Abbremsen seien Gift für den Verkehrsfluss. „Es reicht, wenn auf der Autobahn einer bremst, um einen erheblichen Rückstau zu verursachen.“ Es gelte, „harmonisch zu fahren“.
Rät er der Polizei zu verstärkten Geschwindigkeitskontrollen im Baustellenbereich? „Das bringt nur dann etwas, wenn auf die Blitzer auch deutlich sichtbar hingewiesen wird“, antwortet Schreckenberg. Versteckte Kontrollen, wie sie in Deutschland üblich sind, führten lediglich bei den Ertappten zur Einsicht. Ziel müsse es jedoch sein, alle Autofahrer zum gemäßigten Fahren in Baustellen zu bewegen. In anderen europäischen Ländern ist das übrigens längst Praxis. In Frankreich etwa werden Kontrollen schon weit vor den Blitzkästen auf großen Tafeln angekündigt.