Seestermühe. Nach über 20 Jahren Diskussion wird abgesackter Schutzwall auf 8,20 Meter aufgestockt. Planer gehen von zwei Jahren Bauzeit aus.
Auf diese Nachricht haben die Menschen in der Seestermüher Marsch mehr als 20 Jahre gewartet: „Die Verstärkung des Elbdeichs wird im Frühjahr 2017 beginnen“, sagt Thomas Langmaack vom Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz. 8,20 Meter ist die Sollhöhe des Erdwalls, doch in Seestermühe ist er in Teilen bis auf 7,20 Meter abgesackt. „Das hat uns unruhig gemacht“, sagt Oberdeichgraf Thies Kleinwort. Mit Blick auf eine mögliche schwere Sturmflut befürchtet er: „Anderenorts halten die Deiche, bei uns läuft es über.“
Ursprünglich hatte der Deich auf ganzer Länge die normale Höhe. Dann sackte er allerdings in einigen Bereichen ab. Ursache seien Priele und Gräben, die dort früher Richtung Elbe verliefen, erklärt Kleinwort. Der Untergrund sei in diesen Bereichen somit sehr weich. Der neue Deich wird sogar noch ein wenig höher als auf den Sollwert von 8,20 Meter anwachsen. Die Experten gehen davon aus, dass sich das Bauwerk mit der Zeit setzen und somit später wieder an Höhe verlieren wird.
Der Deich wird zwischen dem Bauerndamm in Seestermühe und dem Krückausperrwerk auch verbreitert. Sechs Meter gewinnt der Erdwall hinzu. Das Material für die Verstärkung hat einen kurzen Transportweg. Es kommt aus einer Klei-Entnahmestelle, die nur 500 Meter von der Baustelle am Bauerndamm entfernt liegt.
Gebaut wird nicht nur am, sondern auch vor und hinter dem Deich. Der Deichverteidigungsweg auf der Landseite sowie der Treibselräumweg Richtung Elbe sind sanierungsbedürftig. Für die Arbeiten an dem drei Kilometer langen Abschnitt werden zwei Jahre veranschlagt. Gebaut wird 2017 und 2018 jeweils von April bis zum Oktober. Im Herbst des kommenden Jahres, zur Sturmflutsaison 2017/18, wird der Erdwall zwischenzeitig so hergestellt, dass er sicher ist.
Während der Bauarbeiten muss der Deichbereich gesperrt werden. Radfahrer und Spaziergänger werden einen Umweg in Kauf nehmen müssen. Das Pinnausperrwerk kann nicht mehr überquert werden. Eine Umleitung über die Klevendeicher Drehbrücke wird ausgeschildert.
Die Deichverstärkung ist seit den 1950er Jahren in Seestermühe Thema. Nach der großen „Hollandflut“ von 1953 machten sich die Experten erstmals über eine Erhöhung der Elbdeiche Gedanken. Damals wurde auf die Deichkrone Klei geschüttet. Das aufgetragene Erdreich verband sich jedoch nicht überall mit dem Deichkörper. Es wurde teilweise von Regenwasser runtergewaschen. Folge: In einigen Bereichen blieb es bei der alten Deichhöhe. Aus den damaligen Problemen haben die Deichbauer gelernt. Bei der jetzigen Verstärkung werde der Deich „angekratzt“, so Kleinwort, damit sich der aufgetragene Klei mit dem Baukörper verbinden kann.
Nach der Sturmflut von 1962, bei der in Hamburg-Wilhelmsburg die Deiche brachen und 340 Menschen den Tod fanden, wurde nicht der alte Deich ertüchtigt. Aus Kostengründen gab es einen neuen Elbdeich nah am Fluss. Der alte Wall, der heute als zweite Deichlinie dient, war 19 Kilometer lang.
Auf die auftretenden Absackungen hatte schon der damalige Bürgermeister Otto Schinkel (SPD) in seiner Amtszeit von 1976 bis 1998 reagiert – und von Kiel eine Aufstockung verlangt. Doch das Land sah keine Notwendigkeit. Vor acht Jahren wurde von Politikern und Deichschützern aus der Seestermüher Marsch ein neuer Anlauf gewagt. So sprach eine Delegation in der Landeshauptstadt vor. „Ganz allmählich“ sei bei den Behörden die Erkenntnis gewachsen, dass etwas getan werden müsse, sagt Kleinwort. Während einer Deichschau, zu der die Landesbediensteten eingeladen worden waren, konnten diese letztlich überzeugt werden.
„Einen Klimaschutzdeich hat man uns nicht gegönnt“, moniert Kleinwort. In Seestermühe gehe es nur um eine Ertüchtigung. Der Klimaschutzdeich wurde als Reaktion auf die globale Erderwärmung und die zu erwartenden steigenden Meeresspiegel entwickelt. Neben einem geänderten Profil weist er mit fünf Metern eine deutlich breitere Krone als der Seestermüher Wall aus, der drei Meter misst. Das neue Modell kann einfacher erhöht und damit auf steigende Wasserstände eingestellt werden. Im Frühjahr 2015 hatten in Nordstrand die Bauarbeiten für Schleswig-Holsteins ersten Klimaschutzdeich begonnen. Diese Variante wäre deutlich teurer geworden als die jetzige Aufstockung.
Noch ist nicht klar, wie viel das Land in die Deichsicherheit in der Seestermüher Marsch investieren muss. „In unserer groben Kostenschätzung gehen wir von fünf Millionen Euro aus“, sagt Jan Stolzenwald, der das Projekt leitet. Genauere Zahlen liegen erst vor, wenn die Ausschreibungen abgeschlossen sind. Der Baubeginn war ursprünglich schon für das Frühjahr 2016 vorgesehen. Doch die Seestermüher Politiker kritisierten, dass die Lkw, mit denen das Material für den Neubau des Deichverteidigungsweges und des Treibselweges transportiert wird, über ihr Gemeindegebiet zur Baustelle fahren sollten. Die Planung wurde also überarbeitet. „Wir haben den Sorgen und Bedenken der Anwohner Rechnung getragen“, so Thomas Langmaack vom Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz.