Wedel. Start des Schleswig-Holstein Musik Festivals im Kreis Pinneberg. Mit dabei: Sängerin Maren Kroymann, die im Interview Tacheles redet.
Ob in Schlössern, Scheunen oder Ställen – das Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) bringt Kultur pur auch in die abgelegensten Winkel von Norddeutschland. An diesem Dienstag, 14. Juli, startet die Konzertreihe im Kreis Pinneberg. 14 Termine stehen für die Region auf dem Plan. Darunter ist auch ein Auftritt von Maren Kroymann in Wedel. Zum SHMF-Auftakt spricht die Sängerin und Schauspielerin im Interview erfrischend offen über das Älterwerden, ihre Homosexualität und warum Musik für sie Rebellion bedeutete.
Hamburger Abendblatt: Haben Sie heute schon unter der Dusche gesungen?
Maren Kroymann : Also, geduscht habe ich. Allerdings stand ich unter Zeitdruck, deshalb habe ich nicht gesungen. Ich singe nur, wenn es von Herzen kommt und ich entspannt bin. Dafür habe ich beim Einräumen des Geschirrspülers bereits reichlich geträllert.
Sie proben für Ihre Auftritte also zu Hause?
Kroymann : In der Tat habe ich in einem großen Zimmer ein Klavier stehen. Wenn ich mit der Band länger keine Auftritte mehr hatte, kommen alle vorbei, und dann proben wir das Programm. Zum Glück habe ich nette und tolerante Nachbarn. Wenn es zu laut wird, dann bekommen sie von mir Freikarten für meine Konzerte geschenkt, um sie zu versöhnen.
Bei Ihrem Bühnenprogramm „In my
Sixties“, das Sie auch am 1. August von 20 Uhr an in Wedeler Bootsschuppen am Strandbaddamm präsentieren, spielen Sie ausschließlich Lieder aus den 60ern. Was fasziniert Sie an der Musik aus dieser Zeit?
Kroymann : Ich habe diese Musik gehört, als ich in der Pubertät war, und diese Lieder haben mich geprägt. Ich hole mir das Feeling aus dieser Zeit zurück. Damals ging alles erst richtig los, mit dem Sex und der Liebe und das, was man noch nicht kannte. Dieses Gefühl habe ich jetzt mit 65 Jahren auch, nur dass ich nicht mehr verklemmt und prüde bin. Ich behalte mir vor allem die Frische und die Neugier auf das, was noch kommt. Es ist eine total produktive und spannende Phase.
Kann man sagen, dass Sie gerade Ihre zweite Pubertät durchleben?
Kroymann : Ja, genau. Man kann sich auf dieses Alter freuen. Wir haben noch eine echt geile Zeit zwischen der Rente und dem körperlichen Verfall, in der man auf die Kacke hauen und verrückte Dinge tun kann, ohne dass man sich messen oder beweisen muss. Wir Frauen werden oft blöd angeguckt und diskriminiert wegen unseres Alters. Der Blick der anderen prallt ab wie an einem Regenmantel aus Gummi, es wird nur auf die jungen Frauen geguckt. Aber das ist super. Mein Ruf ist sowieso ruiniert, als alte lesbische Frau. Ich bin frei, wie die unwürdige Greisin von Brecht. Ich habe meine soziale Definition, und das ist großartig.
Maren Kroymann mit Anfang 20 und Maren Kroymann mit 65. Was unterscheidet die beiden Frauen voneinander?
Kroymann : Was die beiden Frauen unterscheidet, ist, dass ich nicht mehr so ängstlich bin. Ich habe mehr Zutrauen zu mir selbst. Man macht auch heute noch Fehler und scheitert. Aber ich scheitere so, dass ich weiß, es zerstört nicht mein ganzes Leben. Außerdem wusste ich damals nicht, was beruflich aus mir wird. Ich war eine Spätentwicklerin, die Phase des Suchens hat bei mir sehr lange gedauert. Ich bin froh, dass ich das hinter mich gebracht habe.
Würden Sie etwas anders machen, hätten Sie die Chance, die Zeit zurückzudrehen?
Kroymann : Ich würde mich bemühen, schneller selbstbewusst zu werden. Die Angst schützt uns davor, Dinge zu tun, die überfordern. Aber manchmal weckt gerade die Herausforderung die eigenen Kräfte. Den Mumm hätte ich mir etwas früher gewünscht.
Sie haben Ihr Staatsexamen gemacht, wurden aber nie Lehrerin. Sie lasen Alice Schwarzer und traten dem Sozialistischen Frauenbund bei. Inwieweit rebellierten Sie mit der Musik?
Kroymann : Ich war ein ganz braves, angepasstes Mädchen. Die Musik jedoch, die meine Eltern nicht mochten, war meine Rebellion. Es wurde mit Misstrauen beäugt. Das war etwas Neues, darin habe ich mich wiedergefunden. In der Musik schimmerte die Veränderung durch, von mehr Freiheit, von Sex und Liebe, worüber nie geredet wurde. Das war etwas Großstädtisches in unserem kleinen Tübingen.
Heute leben Sie nicht mehr im kleinen Tübingen, sondern im großen Berlin, wo derzeit auch darüber debattiert wird, ob homosexuelle Paare die gleichen Rechte wie heterosexuelle bekommen. Wie ist das in Ihrem Beruf, haben Sie es als lesbische Sängerin schwerer im Musikgeschäft?
Kroymann : Ich bin im Kleinkunst- und Entertainmentbereich und nicht im „großen“ Musikgeschäft tätig. Beim Fernsehen ist es schwer, da wo Mainstream gefragt ist. Eine Zeit lang habe ich schwerer Rollen bekommen, aber das habe ich überwunden. Es ist besser geworden, auch durch die tollen Frauen, die sich nach mir geoutet haben. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass es keine Vorurteile mehr gibt. Es fallen immer noch Eltern in Ohnmacht, wenn ihr Kind lesbisch oder schwul ist. Die lesbischen Frauen sind dabei weniger sichtbar als die schwulen Männer. Das hängt damit zusammen, dass die Schwulen mehr diskriminiert wurden. Das heißt jedoch nicht, dass es bei Frauen als etwas Tolles empfunden wurde. Die Frauen waren schlicht zu wenig wichtig, um explizit diskriminiert zu werden. Das war ein Ausdruck dessen, dass die Männer das wichtigere Geschlecht in dieser Gesellschaft waren oder noch sind.
Was halten Sie von der Entscheidung des obersten Gerichtshofes der USA gleichgeschlechtliche Ehen zu legalisieren?
Kroymann : Da freue ich mich natürlich drüber. Das, was der Supreme Court in Amerika für richtig empfunden hat, könnten wir schon längst schaffen.
Glauben Sie, dass der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Gleichstellung homosexueller Partnerschaften eine Chance hat?
Kroymann : Die CDU will eine Art konservatives Profil für sich behalten und denkt, dass die Welt untergeht, wenn Homosexuelle heiraten würden. Doch es ist längst so weit: eine Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert homosexuelle Partnerschaften und Ehen. In einem Land wie Deutschland mit demokratischer Tradition – auch wenn sie mit ziemlichen Rückschlägen erworben wurde – und einer Grundliberalität könnte Gleichstellung längst Realität sein.
Für Ihren Auftritt in Wedel im August mit der Jo Roloff Band gibt es noch einige Karten. Was erwartet diejenigen, die schon Tickets haben oder noch überlegen, welche zu kaufen. Was möchten Sie mit ihrem Bühnenprogramm „In my Sixties“ ausdrücken?
Kroymann : Es geht mir um das Frauenbild in dieser Zeit und den Fortschritt. Ich baue ein Universum der 60er und zeige den Leuten, wie die Frauen angesehen worden sind und was es für Frauen bedeutet hat, diesem Geschlecht anzugehören. Ohne dass ich es groß thematisiere muss, macht man sich gleichzeitig Gedanken über das heutige Frauenbild. Ich bin Feministin und möchte dazu beitragen, dass es ein Bewusstsein für die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter gibt. Frauen werden heute noch anders behandelt.
Seit wann sind Sie Feministin?
Kroymann : Seit Anfang meiner 20er-Jahre, als ich anfing, politisch zu denken. In den ersten Jahren beim Theater in Tübingen musste ich immer dusselige Blondinen spielen. Doch das entsprach überhaupt nicht dem, was ich dachte. Tagsüber war ich eine verhuschte Studentin, und abends spielte ich die mondäne Blondine. Die Festlegung auf diese als weiblich geltende Eigenschaften finde ich immer noch absurd. Ich bin dagegen, und meine Mutter war es auch. Sie hat mir, ihrer einzigen Tochter vermittelt, dass es darauf ankommt, schlau zu sein und genau dasselbe im Kopf zu haben wie die Jungs.
Was würden Sie den heutigen Frauen mit auf dem Weg geben?
Kroymann : Das eigene Leben als ein langfristiges Projekt ansehen. Es sollte nicht das primäre Interesse einer Frau sein, sich über einen Mann zu definieren. Jeder Mensch muss den Sinn seines Lebens finden und das tun, wofür man wirklich Leidenschaft empfindet. Eine Frau sollte sich nicht als Ergänzung zum Mann sehen.
Mit welchen Erkenntnissen geht das Publikum nach ihrem Konzert nach Hause?
Kroymann : Wenn ich das in einem Wort sagen könnte, müsste ich nicht zweieinhalb Stunden Programm machen. Ich glaube, dass ihre Vorurteile durcheinander geschüttelt werden und Fragen auftreten. Das Kunststück ist, das Publikum zu fordern und dabei die ursprünglich gute Laune aufrechtzuerhalten. Es ist kein typisches Klatsch-Rhythmus-Stück. Ich will die Leute herausfordern, und ich möchte gerne bewirken, dass es Raum für neue Erkenntnisse gibt. Ich lasse das Publikum an dem, was ich erlebt habe, teilhaben. Ich schreibe keine abgefuckten Pointen. Die Menschen merken, dass es von mir kommt und etwas Persönliches ist.
So persönlich, wie das Üben am Geschirrspüler. Dann lohnt sich das Proben beim Ausräumen ja auch. . .
Kroymann : . . .es lohnt sich vor allem das Älterwerden. Im Alter ist meine Stimme besser geworden, ich komme jetzt viel höher. Ich bin viel mehr im Besitz meiner stimmlichen Möglichkeiten, das macht mich glücklich. Ich will den Frauen in meinen Alter Mut machen und zeigen, dass es noch nicht vorbei ist. Genießt es!