Pinneberg. Die Gruppe „Leben fairändern“ der Lutherkirche Pinneberg will mit Beeten für alle das Gemeinschaftsgefühl stärken
Die Gruppe „Leben fairändern“ der Lutherkirche in Pinneberg begegnet dem Konsum- und Wegwerfwahn mit Spaß am Reparieren und Gärtnern. Vor dem Gemeindehaus am Kirchhofsweg stehen drei große Pflanzkisten. Sie sind mit besonders gutem Boden gefüllt und bereit für die Aussaat. „Die Hochbeete sind für alle da“, sagt Pastorin Martje Brandt. „Alle sind eingeladen, die Beete zu bepflanzen, zu betreuen und auch zu ernten, wenn etwas reif ist.“
Los geht es mit einem Aktionstag am Sonnabend, 16. Mai. Dazu sollte jeder Besucher Saatgut oder Stecklinge, die er entbehren kann, mitbringen. An diesem Tag findet dort zur selben Zeit – 14 bis 17 Uhr – auch das Repair-Café zum dritten Mal statt.
Es geht um eine enkeltaugliche Zukunft und Schonung der Ressourcen
Damit möglichst viele sich an dem Projekt beteiligen können, wird Gemeindemitglied Harald Löhr die Pflanzflächen aufteilen. So entstehen sechs kleine Felder pro Kasten. „Die gehören aber niemandem, sondern allen“, sagt er. Das heißt: Sollte der eine sehen, dass dringend gegossen werden muss, wäre es schön, er würde Wasser aus dem Gemeindehaus holen und gießen. Und wenn jemand Unkraut findet, sollte er es jäten. Eine Regentonne will Löhr auch noch aufstellen lassen.
„Es geht uns um eine enkeltaugliche Zukunft“, sagt Harald Löhr über die Motivation der Gruppe. „Dazu müssen wir wieder achtsamer mit unseren Ressourcen umgehen.“ Die Selbstversorgung direkt vor der Kirche könne natürlich nur ein Anstupser sein. „Aber vielleicht motiviert das den einen oder anderen, sich auf dem Balkon ein paar Kräuter oder Radieschen zu pflanzen“, sagt Harald Löhr, der wie er sagt, ein Faible für Mangold hat und diesen im eigenen Garten zieht.
Es geht beim Urban Gardening – dem städtischen Gärtnern – auch darum, „Stadtpflanzen“ Wissen über die Natur zu vermitteln und die Dinge wieder selbst in die Hand zu nehmen. Mit Freude denkt Löhr an seine Kindheit zurück, die er zum Großteil im Garten verbrachte. „Im Winter haben wir uns dann mit jedem Einwegglas Mirabellen oder Kirschen auch die schönen Erinnerungen an den Sommer aus dem Keller geholt“, sagt er.
Vorbild für das Projekt ist Andernach, eine kleine Stadt am Rhein. Dort pflanzte Lutz Kosack, Botaniker und Stadtplaner, entlang der Stadtmauern Tomaten, Johannisbeeren, Kartoffeln und Kürbisse. Der Slogan „Essbare Stadt Andernach“ wurde über die Landesgrenzen bekannt und das Projekt mit Preisen überschüttet. Seitdem macht es bundesweit Schule.
Verbunden ist der Pflanztag mit einem Repair-Café. Um die Müllberge zu reduzieren, hatte der Rentner Holger Jensen mit anderen Mitstreitern im November 2014 das erste Repair-Café in Pinneberg ins Leben gerufen. Mittlerweile hat sich dies etabliert. „Beim letzten Mal kamen 70 Gäste und wir konnten 50 Dinge reparieren, die sonst womöglich weggeworfen worden wären“, sagt er. Darunter seien einige Schätze wie alte Filmprojektoren und Tonbandgeräte. „Ihre Besitzer sind mit einem Lächeln im Gesicht gegangen, weil sie nun ihre alten Aufnahmen wieder anschauen oder anhören können“, sagt Jensen, der es sich nicht nehmen lässt, selbst Lötkolben und Schraubenzieher in die Hand zu nehmen.
Wartezeiten lassen sich bei Kaffee, Kuchen und Klönschnack überbrücken
Mittlerweile bringt die Gruppe es auf 18 ehrenamtliche Reparateure und sieben Helfer, darunter ein Puppendoktor und eine Schneiderin, die Kleidung flicken kann und gern zeigt, wie sich Knöpfe wieder annähen lassen. Schließlich geht es nicht nur darum, funktionsuntüchtige Lampen, Föhne, kaputtes Spielzeug und Fahrräder, zerrissene Kleidung oder zerbrochenes Geschirr zu reparieren, sondern vor allem um Hilfe zur Selbsthilfe.
Bei defekten Geräten empfiehlt es sich, alle Kabel, Netzteile, Stecker, weiteres Zubehör und möglichst die Bedienungsanleitung mitzubringen – das erhöht die Chance, den Defekt gemeinsam zu finden und zu beheben. Wartezeiten aufgrund großen Andrangs oder langwieriger Reparaturen, lassen sich bei fair gehandeltem Kaffee und selbst gebackenem Kuchen meist gut überbrücken. Holger Jensen hat die Idee vom Repair-Café weiter entwickelt und zeigt Kita-Kindern ab fünf Jahren und Schülern zwischen acht und zwölf Jahren während der Kreis-Umwelttage am 13. Juli, das Kaputtes nicht weggeworfen werden muss.
Das Konzept der Repair-Cafés stammt aus Holland. Die Amsterdamer Journalistin Martine Postma und der Groninger Nachhaltigkeitsmanager Peter van Vliet hatten 2009 die Idee zu Treffpunkten, bei denen Nachbarn defekte Gegenstände unter fachkundiger Anleitung reparieren können. Die Idee breitete sich über die Landesgrenzen hinweg aus. Offensichtlich gibt es immer mehr Menschen, die die in den Industrieländern weit verbreitete Wegwerfmentalität nicht mittragen wollen. Mittlerweile gibt es weltweit mehr als 700 Repair-Cafés. In Pinneberg wird das nächste Repair-Café dann am Sonnabend, 5. September, angeboten.