Interview mit der langjährigen Migrationsberaterin der Caritas, Andja Zdravac-Vojnovic, die jetzt auch ehrenamtliche Migrationsbeauftragte in Barmstedt ist

Andja Zdravac-Vojnovic arbeitet seit 1993 für die Caritas in der Migrationsberatung. Im Gespräch erklärt sie, mit welchen Problemen Flüchtlinge konfrontiert werden, wenn sie nach Deutschland kommen.

Hamburger Abendblatt: Frau Zdravac-Vojnovic, was ist die Aufgabe einer Migrationsbeauftragten, die Sie nun im Ehrenamt für Barmstedt sind?

Andja Zdravac-Vojnovic: Die Aufgabe besteht darin, die Arbeit der ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe arbeitenden Menschen zu koordinieren und ein Netzwerk an Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen aufzubauen, um eine Willkommenskultur für alle Migranten zu schaffen. Dazu gehört auch die Beratung und Unterstützung der Schulen, Kindergärten und Verwaltung. Wir brauchen auch Kooperationspartner über die Stadtgrenzen Barmstedts hinaus.

Das heißt?

Zdravac-Vojnovic: Ich gehöre ja auch dem Arbeitskreis Migration auf Kreisebene an und kann dort Anliegen der Stadt vorbringen. Und über den Caritasverband, für den ich seit 20 Jahren hauptberuflich Migrationsberatung mache, kann ich auf Landesebene schnell an Informationen und mögliche Geldquellen kommen.

Sollten auch andere Kommunen eine solche Stelle ausloben?

Zdravac-Vojnovic: Unbedingt. Dieses Ehrenamt ist eine Schnittstelle zwischen Verwaltung und anderen Stellen, die mit Flüchtlingen zu tun haben. Das erleichtert die Aufgabe ungemein, wie sich in Norderstedt gezeigt hat, wo es seit fünf Jahren eine hauptamtliche Integrationsbeauftragte gibt und wo die Willkommensarbeit jüngst mit einem Sozialpreis der Landesregierung ausgezeichnet worden ist.

Ergänzt sich diese Aufgabe aus Ihrer Sicht gut mit Ihrer hauptamtlichen Tätigkeit als Migrationsbeauftragte der Caritas und den wöchentlichen Sprechstunden in Quickborn, Barmstedt und Norderstedt?

Zdravac-Vojnovic: Das ist sogar eine sehr gute Ergänzung. Interessenskonflikte sehe ich da nicht. Im Gegenteil. Als erfahrene Sozialarbeiterin weiß ich, worauf es ankommt: den Menschen bei ihrem Integrationsprozess zu helfen. Ich kenne die gesetzlichen Rahmenbedingungen sehr genau und weiß, wen man ansprechen muss, wenn es beispielsweise um Sprachkurse geht. Diese Aufgabe muss professionell gemacht werden. Bei meiner Bewerbung habe ich gesagt: Ich behaupte nicht, dass ich alles weiß. Aber ich weiß, wen man fragen muss.

Sie kamen selbst nach der Auflösung Jugoslawiens aus Kroatien nach Deutschland und haben 20 Jahre Erfahrung in der Beratung und Betreuung von Flüchtlingen. Wie kann die Integration dieser Menschen in ihrer neuen Heimat am besten gefördert werden?

Zdravac-Vojnovic: Indem man die Menschen möglichst schnell die neue Sprache lernen und sie beruflich qualifizieren lässt. Diese beiden Dinge sind der Schlüssel zu einer erfolgreichen Inte-gration. Wenn die Flüchtlinge bereits über eigene Berufe verfügen, reicht es oft, ihnen nur am Anfang Unterstützung zu geben. Mit einer Weiterqualifizierung fällt es ihnen leichter, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Was sind die größten Probleme, die ein Flüchtling zu bewältigen hat, wenn er hierher kommt?

Zdravac-Vojnovic: Flüchtlinge, die im Asylverfahren stehen, haben keinen Anspruch auf Integrationskurse wie Migranten mit sicheren Aufenthaltstiteln. Es besteht für sie auch kein Anspruch auf berufliche Qualifikationen. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist nur in Ausnahmefällen möglich, medizinische Versorgung nur in akuten Fällen. Es besteht kein Recht auf Familienzusammenführung. Dazu kommt, dass die allermeisten Flüchtlinge aus einem anderen Kulturkreis kommen und dass Deutschland für viele einen Kulturschock darstellt. Das verlangt ihnen eine gehörige Umstellung ihres Verhaltens ab. Neben der sprachlichen Barriere müssen sie oftmals erst die demokratischen Strukturen und hiesigen Umgangsformen lernen. Dazu gehört, dass es hier üblich ist, auch einer Frau die Hand zu geben. Junge Menschen lernen schnell und haben bessere Integrationsmöglichkeiten. Das habe ich gerade bei unserem Willkommenstag im Barmstedter Rathaus erlebt, wo viele der 80 Flüchtlinge auf 150 Barmstedter Bürgerinnen und Bürger trafen. Da haben fünf junge Syrer spontan ein Lied gesungen. Das war echt cool und zeigte, wie fleißig sie lernen und wie schnell sie sich hier in die Gesellschaft integrieren möchten.

Wie sollte sich die deutsche Bevölkerung darauf einstellen? Wie kann sie helfen?

Zdravac-Vojnovic: Sie sollten einfach den fremden Menschen offen begegnen und Bereitschaft zeigen, ihnen helfen zu wollen. Das hilft den Flüchtlingen enorm, wenn sie erfahren, dass die einheimische Bevölkerung es akzeptiert, dass sie nun in ihrer Nachbarschaft leben. Auf dem Willkommenstag haben sich spontan internationale Gruppen gebildet, die zusammen kochen wollen. Auch die Arbeit des Arbeitskreises Migration, den ich vor einem Jahr ins Leben gerufen habe und dem inzwischen 20 ehrenamtliche Helfer angehören, ist da unglaublich motivierend, der den Flüchtlingen von Sport bis Handwerken alle möglichen Freizeitaktivitäten anbietet. Ich muss nur aufpassen, dass sich die Ehrenamtler in ihrem Elan nicht zu viel zumuten. Außerdem müssen sie auf diese Aufgabe genauestens vorbereitet werden.

Hat sich aus Ihrer Sicht an der Einstellung und dem Verhalt der einheimischen Bevölkerung gegenüber Asylbewerbern und Flüchtlingen etwas verändert in den vergangenen 20 Jahren?

Zdravac-Vojnovic: Ja. Diese Hilfsbereitschaft kenne ich aus den 1990er-Jahren nicht. Das hat sich ja fast zu einer Art Modetrend entwickelt, Flüchtlingen eine Willkommenskultur zu bieten. Es ist großartig, wie sich die Hilfs- und Spendenbereitschaft in den letzten zehn, zwölf Monaten hier entwickelt hat. Dabei haben die Flüchtlingszahlen beinahe die Höhe aus der Mitte der
90er-Jahre erreicht. Wobei es damals vor allem Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien waren, die hierher geflüchtet waren und hier auf viele ehemalige Landsleute und Verwandte trafen. Für sie als Europäer war es natürlich leichter, sich zu integrieren, als es heute für Syrer, Iraker oder Afghanen der Fall ist. Damals gab es auch kaum Ärzte, die sich mit Flüchtlingstraumata beschäftigt haben. Auch die Verwaltungen und Institutionen gehen mit Flüchtlingen heute viel offener um. Dabei spielen die Medien und das Internet auch eine wichtige Rolle. Dadurch ist das globale Verständnis gestiegen. Die Menschen fühlen sich heute mehr verantwortlich für das, was auf der Welt geschieht.

Hat Deutschland als Aufnahmeland einen guten Ruf in Ihrem Heimatland Kroatien?

Zdravac-Vojnovic: In Kroatien hat Deutschland einen sehr guten Ruf. Das hat auch mit den langjährigen guten Beziehungen beider Länder zu tun und dass viele Deutsche als Minderheit in Kroatien leben. Meine Eltern kamen in den 1960er-Jahren als Gastarbeiter und haben 37 Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet, während ich bei meiner Oma in Kroatien aufgewachsen bin. Heute sind meine Eltern Rentner und zurück nach Zagreb gezogen. Es gibt auch deutsche Begriffe, die in Kroatien populär sind. So bin ich damit aufgewachsen, dass djeciji krevitic Kinderbett heißt. Es gibt auch kulturelle Gepflogenheiten und die christliche Prägung, die ähnlich sind.

Wird sich Deutschland auf Dauer darauf einstellen müssen, Flüchtlinge aus aller Welt aufzunehmen?

Zdravac-Vojnovic: Das ist eine Frage der globalen Politik. Deutschland wirkt wie ein Magnet auf viele Flüchtlinge und hat eine Verantwortung, was die demokratische Entwicklung und die Wirtschaftskraft angeht. Dem sind sich die meisten Deutschen auch bewusst. Andererseits könnte das Land durchaus mehr Menschen aufnehmen. Und es werden mehr kommen, denn es kocht ja an vielen Stellen in der Welt, wie die Bürgerkriege in Syrien, im Irak oder in der Ukraine zeigen.