Im Förderzentrum Friedrichshulde für traumatisierte und geistig behinderte Kinder und Jugendliche wird die Adventszeit mit gemeinsamen Aktivitäten begangen. Betreuer spielen Theater für ihre Schützlinge.

Schenefeld. Vier Kerzen, vier Perspektiven. In unserer Adventsserie besuchen wir Menschen, die die Vorweihnachtszeit im weitesten Sinne in einer „Herberge“, also einer Unterkunft außerhalb ihres Zuhauses, verbringen. Die Herberge als christliches Sinnbild begleitet uns wie unser Adventskranz an ganz unterschiedliche Orte. Dieses Mal sind wir zu Gast im Heilpädagogischen Förderzentrum Friedrichshulde in Schenefeld, einer Schul- und Lebensgemeinschaft für etwa 50 Kinder und Jugendliche, die traumatisiert, verhaltensauffällig oder geistig behindert sind.

Die Adventszeit hier ist eine ganz besondere. Nicht nur die Schüler finden im Förderzentrum eine Form der Herberge und einen Familienverband auf Zeit. Sondern auch die aus Holz geschnitzte Maria scheint noch auf der Suche nach einer geeigneten Unterkunft zu sein. Sie steht links am Ende des sogenannten Jahreszeitentischs, der in jeder Wohngruppe aufgestellt ist, auf einem Weg aus Moos. Rechts befindet sich die Krippe. Dazwischen eine Reise, die 24 Tage dauern wird.

Doch Maria wird nicht lange alleine reisen. Schon bald werden sich weitere Figuren dazugesellen. Hirten werden durch das Wohnzimmer pilgern, jeden Tag ein kleines Stück, Ochs und Esel sich auf den langen Weg machen, und Josef wird Maria begleiten. Täglich wird sich wieder etwas im Zimmer und auf dem Tisch verändert haben, werden die Kinder am Morgen das Neue mit Freude und Staunen registrieren.

Die Augen der Gruppenbetreuerin Nina Kaufmann, 28, leuchten, wenn sie erzählt, wie alle Anteil nehmen an den täglichen Veränderungen, die sich im Wohnzimmer, dem Gemeinschaftsraum, abspielen. „Wir bereiten uns auf die Adventszeit mit dem Ziehen von Bienenwachskerzen vor, auch sammeln wir Naturmaterialien für die Dekoration der Zimmer“, erzählt sie. Heimleiter Daniel Fiedler, 41, ergänzt: „Die jedes Jahr wiederkehrenden Elemente geben den Kindern Sicherheit und Orientierung im Jahreslauf.“ Und genau das ist wichtig für diese Kinder, sie brauchen ein stabiles Umfeld, in dem sie ihre Fähigkeiten entfalten können. Einen Schutzraum, der mit dazu beiträgt, dass die soziale Integration in die jeweilige Wohngruppe sowie die Schulgemeinschaft in diesem Rahmen die Grundlage bildet für eine Entwicklung, an deren Ende eine größtmögliche Selbstständigkeit der Schützlinge steht.

Die Schule hat zwölf Klassen und führt zum Sonderschulabschluss. „In Ausnahmefällen gelingt es unseren Schulabgängern, danach den Hauptschulabschluss zu erlangen. Sehr selten schafft ein Schüler einen noch höheren Abschluss“, sagt Daniel Fiedler. Tatsächlich hat es eine Schülerin mit eisernem Willen sogar bis aufs Gymnasium geschafft. Handwerkliche und künstlerische Fächer stehen auf dem für die Heilpädagogik modifizierten Lehrplan im Vordergrund.

Das ist auch bei der Einrichtung des Wohnbereichs zu spüren: Die Kinder gestalten im Advent die Wohngruppe mit. „Sie schauen selbst, was sie schön finden“, sagt Nina Kaufmann. Zwar wohnen alle während der Woche auf dem Gelände, aber einige der Kinder und Jugendlichen fahren am Wochenende und in den Ferien nach Hause. Für andere, deren Familienverhältnisse das nicht zulassen, ist das Förderzentrum vielleicht noch mehr ein Stück gefühlte Heimat bis zum Ende der Schulzeit.

Innerhalb der Gruppen wird dabei sehr auf Gerechtigkeit geachtet. Das betrifft sogar die Adventskalender: Jedes Kind bekommt einen, und natürlich bekommen alle den gleichen. Außerdem gibt es den gemeinsamen Kalender, hier darf pro Tag ein Kind der Wohngruppe ein Säckchen öffnen.

„Kurz vor der Adventszeit ist schon eine gewisse Aufregung da“, sagt Nina Kaufmann. Der erste Advent wird immer mit einer Festivität im Saal begangen. Dort liegt dann eine Spirale auf dem Boden, und die jüngeren Kinder bis zur 6. Klasse treten einzeln ein, zünden eine der selbst hergestellten Bienenwachskerzen an und stellen sie in der Spirale ab. Am Ende ist der Raum ganz von Kerzenlicht erhellt.

Für die Betreuer bedeutet der letzte Monat im Jahr eine Zeit der besonderen Aktionen, mit denen sie für unvergessliche und spannende Momente sorgen: In der Nacht auf den ersten Advent schmücken sie, sobald die Kinder schlafen, die Gemeinschaftsräume. Sie dekorieren auch die Schlafräume unter anderem mit Sternen an den Fenstern. Doch das ist noch nicht alles. Die Mitarbeiter üben zwei Weihnachtsspiele ein, eines für die Kleinen und eines für Ältere, schließlich leben zurzeit fast 50 Kinder im Alter von vier bis 17 Jahren in der Einrichtung. Nach einer internen Aufführung gibt es zudem eine öffentliche. In diesem Jahr findet sie am Sonnabend, 13. Dezember, von 19 Uhr an im Saal des Förderzentrums statt.

Die Gruppe „Waldhaus“, die Nina Kaufmann betreut, besteht aus acht Kindern, sieben Jungs und einem Mädchen. Ist das nicht schwierig für ein einzelnes Mädchen? Nina Kaufmann sagt: „Das ist kein Problem, sondern eine Frage des Durchsetzungsvermögens, und daran mangelt es in diesem Fall überhaupt nicht.“

Die meisten der Waldhaus-Kinder sind an diesem Tag gerade im Gruppenraum, wo sie mithilfe der Betreuer Michael Kübler, 24, und Ulyana Mizhueva, 30, Weihnachtskekse aus Teig ausstechen und verzieren. Alle am Tisch sind konzentriert bei der Sache. An der Wand hinter dem Jahreszeitentisch kleben einige Sterne. Beim Adventsgeschichten-Vorlesen und gemeinsamen Singen am Abend darf jeweils ein Kind der Gruppe einen neuen Stern dort anbringen.

Sie haben schon Weihnachtsgeschenke gebastelt für Menschen, die ihnen wichtig sind. Wenn sie ihre eigenen Geschenke an Heiligabend auspacken werden, können sie das in einem sicheren Umfeld, unter den Lichtern des Weihnachtsbaums. Dann wird auch Maria am Ende des Advents in ihrer Herberge, der Krippe unter den Sternen der Kinder, angelangt sein.