Die Gemeinde geht als erste im Kreis neue Wege: Die Betreuung erfolgt komplett durch ehrenamtliche Kräfte, die Koordination der Helfer und der Hilfsangebote übernimmt Kerstin Riedel vom Diakonieverein Migration.
Rellingen. Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland – und landen letztlich in den Kommunen. „Wir werden mit dem Problem alleingelassen“, kritisiert Rellingens Bürgermeisterin Anja Radtke. Damit die Flüchtlinge in ihrer neuen Heimat nicht im Stich gelassen werden, geht die Gemeinde als erste im Kreis neue Wege: Die Betreuung erfolgt komplett durch ehrenamtliche Kräfte, die Koordination der Helfer und der Hilfsangebote übernimmt Kerstin Riedel vom Diakonieverein Migration.
Um das immer drängendere Problem anzugehen, hat Rellingen bereits im Mai einen Runden Tisch Asyl einberufen, der mehrfach in nicht öffentlicher Sitzung zusammentrat. Mitglieder sind Kommunalpolitiker, Vertreter von Wohlfahrtsverbänden, der Kirchengemeinden, vom Lions-Club Ellerbek-Rellingen sowie engagierte Bürger. Das Gremium erarbeitete das Konzept, das auf ehrenamtliche Hilfe und hauptamtliche Koordination setzt.
Für letztere ist Kerstin Riedel zuständig, die 9,75 Wochenstunden dafür aufwenden kann. Sie geht nicht in die Unterkünfte, um die Flüchtlinge zu betreuen, sondern leitet die Ehrenamtlichen an und sorgt dafür, dass die Hilfeleister und Hilfsbedürftige zusammenfinden. „Ich freue, dass es nun losgehen kann. Dieses Projekt soll Teil der gelebten Willkommenskultur in Rellingen werden“, sagt Bürgermeisterin Radtke. Sie sprach von einem bereits existierenden Netzwerk und von vielen bereitstehenden Ressourcen, etwa die Deutschnachhilfe für Flüchtlingskinder vom Freiwilligenforum. Trotzdem sei die Gemeinde auf der Suche nach ehrenamtlichen Helfern.
„Es gibt fünf wichtige Säulen: Zeit, Raum, Sprache sowie Geld- und Sachspenden“, sagt Koordinatorin Riedel. Zeit, um etwa die Flüchtlinge zu Behördengängen zu begleiten und ihnen die deutsche Lebensweise näher zu bringen. Raum, um Sachspenden lagern und ausgeben zu können. Und Sprachkenntnisse vor allem in Arabisch und Persisch werden benötigt, weil fast alle Ankommenden kein Deutsch sprechen. Für eine erste Geldspende in vierstelliger Höhe hat der Lions-Club gesorgt. Weitere sind jedoch dringend vonnöten, weil den Flüchtlingen für die ersten Tage ein Willkommenspaket zur Verfügung gestellt werden soll, für das Einkäufe etwa von Lebensmitteln erforderlich sind.
Aus der schleswig-holsteinischen Sammelstelle in Neumünster kommen die Flüchtlinge nach ihrer Anmeldung bei der Ausländerbehörde in Elmshorn und einem Besuch der Arge in Pinneberg, wo sie finanzielle Hilfe erhalten, nach Rellingen in die Unterkunft. „Von da an sind sie auf sich gestellt“, sagt Elke Schreiber, CDU. Hier solle die ehrenamtliche Hilfe greifen. „Als erstes wollen wir die Menschen mobil machen.“ Dazu suchen die Helfer nicht mehr gebrauchte, jedoch noch funktionstüchtige Fahrräder.
„Wir müssen dann den Menschen zeigen, wo der nächste Arzt und die nächste Apotheke ist und welche Einkaufsmöglichkeiten sie in der Umgebung finden“, sagt Schreiber. Es gehe um die Integration vor Ort. „Das ist eine Sache, die können hauptamtliche Kräfte kaum leisten“, sagt Ludger Fischer, Geschäftsführer des Diakonievereins. Dazu brauche man Personen vor Ort. „Leute, die diese Arbeit freiwillig machen und nicht dafür bezahlt werden, erzielen eine andere Kontaktqualität“, meint Pastorin Iris Finnern, die in ihrem Amtszimmer Spenden aufbewahrt.
Weitere Spenden können ab sofort bei Kerstin Riedel angemeldet werden. Die Ehrenamtslotsin bietet mittwochs zwischen 9 und 11 Uhr eine offene Sprechzeit im Sitzungsraum 3 des Rathauses an oder ist unter riedel@diakonieverein-migration.de per E-Mail erreichbar. Die 44-jährige Mutter von zwei Kindern ist gelernte Diplom-Sozialpädagogin und ist neben ihrem Engagement in Rellingen auch in der Beratungsstelle des Diakonievereins tätig. „Wir kennen über die Beratungsstelle viele Flüchtlinge, auch aus Rellingen“, sagt Ludger Fischer.
Aktuell sind der Gemeinde 45 Asylbewerber zugewiesen, darunter fünf Kinder. Sie sind an vier Standorten in Rellingen untergebracht, darunter ein Hotel. Ende Oktober wird ein Containerdorf an der Tangstedter Chaussee in Betrieb genommen, das bis zu 36 Unterkunftsplätze bietet. Weil ein anderer Standort aufgelöst werden muss und die teure Hotelunterbringung beendet werden soll, werden die zusätzlichen Kapazitäten nicht lange ausreichen. Das liegt auch daran, dass jeden Monat die Zahl der Asylbewerber in Rellingen um fünf bis sechs Personen ansteigt. „Vor 20 Jahren hatten wir 100 Flüchtlinge in Rellingen. Dort werden wir wieder hinkommen“, prophezeit die Bürgermeisterin. Sie rechnet damit, dass im April alle Unterkünfte belegt sind. Am heutigen Donnerstag (19 Uhr, Sitzungssaal Rathaus) soll im Sozialausschuss über eine zusätzliche Unterkunft beraten werden. Die Lieferzeit für Wohncontainer beträgt derzeit sechs Monate.