Experten rechnen damit, dass Crystal Meth demnächst auch den Kreis Pinneberg erreichen wird. Die Polizei schult ihre Fachleute. Crystal wird sogar in Dönern, Tennisschlägern oder zwischen Gartenabfällen geschmuggelt.
Pinneberg. Es macht verdammt gute Laune, Lust auf Sex, es hält wach – und macht sofort süchtig: Crystal Meth, eine teuflische Droge, die derzeit Bayern, Sachsen und Thüringen überschwemmt. Drogenberatungen und Suchtkliniken sind dort überlaufen, auch an Schulen und in Jugendeinrichtungen wird die laut Experten gefährlichste Droge der Welt verkauft. Fachleute sind sich sicher, dass das in tschechischen Drogenküchen hergestellte Crystal Meth nach ganz Deutschland schwappen wird. Auch die Polizei im Kreis Pinneberg erwartet einen deutlichen Anstieg der Crystal-Delikte und schult schon einmal ihre Fachleute. Derweil bleibt man beim Kreis, beim Jugendring und bei der Suchtberatung noch relativ gelassen.
Crystal Meth – es sieht meist aus wie gesplitterter Kandis – wird hauptsächlich auf den 18 Vietnamesenmärkten entlang der deutsch-tschechischen Grenze verkauft. Dort gibt es das Gramm Crystal – ausreichend für zehn Konsumeinheiten – bereits für 20 Euro. In grenznahen Städten wie Nürnberg wird es für 80 Euro verkauft, in Frankfurt am Main für bis zu 120 Euro. Von den Märkten wird die Teufelsdroge über die Autobahnen nach ganz Deutschland geschmuggelt.
Der Zoll kommt kaum hinterher. „Früher hatten wir hauptsächlich mit illegalem Zigarettenhandel zu tun, doch der wird von der Industrie mittlerweile massiv verfolgt. Unser Hauptproblem heute ist Crystal, das sogar in Dönern, Tennisschlägern oder zwischen Gartenabfällen geschmuggelt wird“, sagt Zollkontrolleur Achim Herkt.
Mit einer extra eingerichteten „Soko Crystal“ versucht der Zoll, dem Problem Herr zu werden. Doch es ist eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen. „Das Schlimme an Crystal ist, dass es relativ billig ist und eine hohe Reinheit besitzt. Geschnupft oder geraucht geht es direkt ins Gehirn und macht sofort abhängig“, sagt Deutschlands führender Suchtmediziner auf diesem Gebiet, Dr. Roland Härtel-Petri, der Anfang des Jahres ein Buch zum Thema veröffentlicht hat. Er ist davon überzeugt, dass Crystal auch den Rest der Republik erobern wird. Zu groß sind die Gewinnmargen. Kostet ein Kilogramm Crystal in der Herstellung rund 6000 Euro, so bringt es später im Westen Deutschlands bis zu 120.000 Euro.
Härtel-Petri sieht darüber hinaus auch eine Gefahr von Westen kommen. „Es gibt Hinweise, dass auch die Holländer in die Crystal-Produktion eingestiegen sind.“
Die Polizei im Kreis Pinneberg nimmt die Entwicklung der Crystal-Meth-Welle ernst. „Bislang handelt es sich auf Kreisebene um ein Einzelphänomen, wir können derzeit keine Handelsstrukturen erkennen. Wir rechnen aber damit, dass die Modedroge Crystal Meth künftig auch verstärkt zu uns gelangen wird“, sagt Sandra Mohr von der Pressestelle der Polizeidirektion Bad Segeberg. 2013 habe man Crystal im Gramm-Bereich gefunden, zum Beispiel bei einer Razzia in der „Club Community Schenefeld“, bei der im Herbst 5,4 Gramm sichergestellt wurden. „Bezüglich größerer Mengen ist Schleswig-Holstein bislang eher ein Transitland“, sagt Mohr. Dennoch scheint die Polizei zu ahnen, was auf sie zukommen könnte: „Es gibt bereits Fortbildungen für alle Rauschgiftsachbearbeiter. Darüber hinaus halten Kollegen aus den betroffenen Regionen Vorträge bei uns.“
Folgen des Konsums sind Psychosen, Depressionen und Organversagen
Silvia Stolze, beim Kreis Pinneberg zuständig für die Suchtprävention, findet, dass das Thema Crystal zu sehr aufgebauscht wird. Ihr sei aus der Arbeit im Kreis kein Fall von Crystal-Konsum bekannt, „Alkohol und Kiffen ist eher ein Thema.“ Es gehe auch vielmehr darum, junge Menschen so zu stärken, dass Drogen für sie überhaupt nicht infrage kommen. „Da ist die Art der Droge egal“, sagt Stolze und verweist auf die Präventions-Koordinatoren, die es nach ihrer Aussage an jeder Schule im Kreis gibt. Crystal sei bislang kein gesondertes Thema in der örtlichen Präventionsarbeit.
Auch Ute Freimuth, Suchtberaterin beim Sozialtherapeutischen Zentrum (STZ) in Pinneberg, hatte bislang mit dem Thema Crystal Meth noch nichts zu tun. „Aber das ist schon gruselig, was man da aus Bayern hört. Aus Hamburg wurde mir von Eizelfällen berichtet – Pinneberg kommt dann immer ein wenig später.“ Spezielle Schulungen zum Thema Crystal habe es bislang nicht gegeben, „aber ich habe mich mittlerweile eingelesen“, sagt Freimuth.
„Auf eine Crystal-Schwemme wären wir, ehrlich gesagt, nicht vorbereitet“, gibt Ingo Waschkau, Geschäftsführer des Kreisjugendrings Pinneberg, unumwunden zu. Er kenne keine Jugendlichen, die es konsumieren. Gleichwohl werde in der Schule schon vermehrt nach Informationen gefragt. „Wenn uns etwas auffällt, würden wir uns bei den Stellen im Kreis melden.“
Crystal Meth zieht sich durch die gesamte Gesellschaft, warnt Suchtmediziner Härtel-Petri. Er hat schon Malergesellen, junge Mütter, Nachtschichtler oder auch Mitarbeiter von Stadtverwaltungen behandelt. „Die Leute bringen ihre Leistung, das fällt zunächst überhaupt nicht auf. Und sie erledigen die stupidesten Tätigkeiten mit großer Begeisterung.“ Nicht immer sehe man Konsumenten ihre Sucht an, längst nicht jeder habe Symptome wie ausgefallene Zähne oder picklige Haut.
„Der Crystal-Rausch hält bis zu 48 Stunden. Wer regelmäßig konsumiert und sich nicht behandeln lässt, verfällt körperlich. Psychosen, Depressionen und Organversagen sind die Folge“, erklärt Härtel-Petri. Von der tschechischen Grenze bis Pinneberg sind es mit dem Auto gerade einmal fünfeinhalb Stunden.