Umland-Lust – rund um Hamburg auf Entdeckungstour. Eine Fahrt mit dem Halunder Jet auf die Hochseeinsel
Die Elbe glitzert silbern im Morgenlicht, als der Halunder Jet kurz nach 9.30 Uhr am Wedeler Fähranleger festmacht. Das Schiff, ein Katamaran, ist um 9 Uhr an den Hamburger Landungsbrücken gestartet. In Wedel und Cuxhaven nimmt er weitere Passagiere auf. Sein Ziel ist Helgoland, die Hochseeinsel mit den legendären roten Klippen.
In Wedel steigen auch Karin und Otto Hoge ein. Das Paar aus Rellingen macht seit vielen Jahren Urlaub auf der Insel. Otto Hoge ist gebürtiger Helgoländer. Auch wenn er dort keine Angehörigen mehr hat, zieht es ihn und seine Frau immer wieder auf den Felsen, der etwa 60 Kilometer nördlich von Cuxhaven aus dem Meer ragt. „Helgoland ist ein magischer Ort“, sagt Karin Hoge.
Ein magischer Ort? In den Köpfen vieler Menschen hat sich vor allem Helgolands Ruf als Duty-Free-Paradies festgesetzt. Weil die Hochseeinsel mit ihren knapp 1400 Bewohnern nicht zum Zollgebiet der Europäischen Union gehört, ist das Einkaufen bis zur Freigrenze von 430 Euro dort zoll- und steuerfrei. Laut Tourismusbüro können Kunden auf diese Weise bis zu 60 Prozent sparen. Im Sommer kommen jeden Mittag sechs Schiffe und mit ihnen täglich etwa 2000 Gäste. Das Geld, das sie ausgeben, sichert die wirtschaftliche Existenz vieler Insulaner.
Es ist 12.50 Uhr, als der Halunder Jet im Südhafen der Insel anlegt. Fast vier Stunden hat er für die Fahrt von Hamburg benötigt – bei einer Maximalgeschwindigkeit von 36 Knoten, also etwa 67 Kilometern pro Stunde. Im Sommer ist er das einzige Passagierschiff, das im Südhafen festmachen darf. Andere Bäderfähren ankern auf Reede, sie warten vor dem Hafen. Ihre Fahrgäste gelangen mit den für Helgoland typischen Börtebooten an Land.
Für Allergiker und Asthmatiker ist das Seeheilbad ein echtes Paradies
Ein würziger Wind weht, als die Besucher den Katamaran verlassen. Er riecht nach Salz und Meer. Helgoland ist berühmt für seine Luft. Sie gilt als die sauerstoff- und jodreichste in Deutschland, Staub und Pollen gibt es kaum. Auch Abgase stören nicht, denn auf Helgoland dürfen nur Elektroautos fahren. Für Allergiker und Asthmatiker ist das Seeheilbad deshalb ein Paradies.
Der Weg vom Anleger zu den Sehenswürdigkeiten und Geschäften führt an den Hummerbuden vorbei. Früher dienten die bunt gestrichenen Holzhäuser als Geräteschuppen für die Fischer. Mittlerweile sind Galeristen und Kunsthandwerker eingezogen. Eine von ihnen ist Inger Ludwig. In Bude 31 verkauft sie Schmuckstücke aus rotem Helgoländer Feuerstein – eine echte Rarität. In der Nachbarschaft gibt es Restaurants und Bistros. Ein Klassiker ist die „Bunte Kuh“. Dort steht Knieper auf der Speisekarte, ein typisches Helgoländer Gericht aus den Scheren des Taschenkrebses.
Ein paar Hundert Meter weiter befindet sich die Landungsbrücke, an der die meisten Touristen ankommen. An dieser prominenten Stelle steht ein Denkmal für Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Der Dichter schrieb 1841 auf der Insel „Das Lied der Deutschen“, dessen dritte Strophe heute die deutsche Nationalhymne bildet.
Doch trotz der exponierten Position – kaum ein Tourist bleibt vor der Büste stehen. Die meisten zielen schnurstracks Richtung Lung Wai, der Haupteinkaufsmeile. Sie liegt nur einen Steinwurf vom Denkmal entfernt. Parfümerien, Modegeschäfte, Schnapsläden und Imbissbuden reihen sich dort aneinander. Am Lung Wai trennt sich der Besucherstrom: Während einige Gäste in den Geschäften stöbern, wollen andere ins Oberland, dem höher gelegenen Teil der Insel. Ein Aufzug am Ende der Straße führt hinauf. Die einfache Fahrt kostet 60 Cent. Sportliche benutzen die Treppe – schweißtreibende 184 Stufen. Oben angelangt, sind alle Anstrengungen vergessen. Aus etwa 50Metern Höhe blickt man über die Dächer des Unterlands bis zur Düne, der östlich vorgelagerten Badeinsel, auf der sich Kegelrobben wohlfühlen und zu der mehrfach täglich Börteboote pendeln.
Die Augen abzuwenden fällt schwer. Doch es gibt noch viel zu entdecken – zum Beispiel die Bebauung der Insel, die auch das Straßenbild im Oberland prägt. Dicht aneinandergeduckt stehen die Häuser dort, alle in den 50er- und 60er-Jahren errichtet, nachdem britische Fliegerbomben im April 1945 kaum einen Stein auf dem anderen gelassen hatten. Die homogene Nachkriegsarchitektur polarisiert wie kaum etwas anderes auf der Insel. Dennoch stehen die Gebäude unter Denkmalschutz.
Der Klippenrandweg schlängelt sich an der Steilküste entlang
Aus dem Wohngebiet im Oberland ragt die Spitze der St.-Nicolai-Kirche hervor. In ihrem Inneren befindet sich unter anderem eine Taufschale aus dem 18.Jahrhundert. Von St. Nicolai ist es nicht weit zum Leuchtturm. Er ist ein Phänomen, denn er überstand als einziges Gebäude der Insel den Zweiten Weltkrieg. Außerdem besitzt er das stärkste deutsche Leuchtfeuer, das mit seinen 28 Seemeilen Reichweite sogar auf den Ostfriesischen Inseln wahrgenommen wird.
Otto Hoge hatte vom Klippenrandweg geschwärmt. Wer am Leuchtturm steht, ist nur ein paar Schritte davon entfernt: Etwa drei Kilometer schlängelt sich der gepflasterte Pfad an der Steilküste entlang. In anderthalb Stunden ist er zu Fuß gut zu schaffen. Eine elektrisch betriebene Inselbahn braucht eine Stunde. Am Wegesrand stehen Schautafeln, die Infos zu Kultur, Geschichte und Natur liefern.
Besonders beeindruckend ist jedoch die Aussicht aufs Meer. Westwärts sind Tanker am Horizont auszumachen. Der Wind ist deutlicher zu spüren als zuvor. Es riecht schlickig. Nach ein paar Hundert Metern führt der Klippenpfad an einer auffälligen Erhebung vorbei: dem Pinneberg. Der Hügel markiert mit 61,30 Metern den höchsten Punkt des Kreises Pinneberg, zu dem auch Helgoland gehört. Ein Kreuz steht auf der Spitze. Wer will, kann sich ins Gipfelbuch eintragen.
Die meisten Besucher marschieren jedoch am Pinneberg vorbei zur Langen Anna, dem 47 Meter hohen und freistehenden Felsen an der Nordwestspitze. Das Inselwahrzeichen wurde vor mehr als 100 Jahren vom Meer geformt. Die Insulaner versuchen seitdem, die Nadel aus rotem Sandstein vor dem Einsturz zu retten. Ein schwieriges Unterfangen.
Auf dem Weg zur Langen Anna passieren Spaziergänger den Lummenfelsen, Deutschlands kleinstes Naturschutzgebiet. In den Spalten des senkrecht herabfallenden Felsens brüten zwischen April und Juli bis zu 10.000 Vogelpaare, darunter viele Trottellummen. Bevor die Jungen flügge sind, springen sie aus etwa 50 Metern Höhe ins Meer. Den Aufprall überstehen sie unverletzt. Dieser sogenannte Lummensprung ist eine Attraktion für die Touristen.
Zurück geht es auf der Ostseite der Insel. Ein blaues Schiff stampft zwischen Hauptinsel und Düne durch die Wellen. Es steuert die Offshore-Windparks an, die das Energieunternehmen RWE mehr als 20 Kilometer nördlich von Helgoland in die See baut. Die Anlage mit dem Namen „Meerwind Süd-Ost“ soll Strom für 300.000 Haushalte auf dem Festland liefern. Helgoland dient als Service-Stützpunkt.
Wenn die Tagestouristen abreisen, wird es wieder ruhig auf der Insel
In einer Schrebergartensiedlung ist der Klippenweg wieder windgeschützt. Heike Heil ist eine von 100 Menschen, die dort ein Grundstück beackern. An der Gartenpforte verkauft sie die Saat des seltenen Klippenkohls. „Diese Kohlsorte wächst nur auf Helgoland und an wenigen Orten an der Atlantikküste“, sagt sie und ergänzt: „Klippenkohl ist die Urform aller Kohlsorten.“
Die Zeit drängt. Die vier Stunden, die den Tagestouristen für den Inselaufenthalt zur Verfügung stehen, neigt sich dem Ende. Noch schnell etwas essen, dann geht es zurück zum Südhafen, wo der Halunder Jet wartet. Einige Gäste, so ist später an Bord zu erfahren, haben die Zeit zum Baden auf der Düne oder im Meerwasserschwimmbad genutzt, andere waren im Aquarium. Auch das Museum Helgoland, das eine Abteilung dem Autor und Inselsohn James Krüss widmet, schneidet in den Berichten gut ab.
Der Halunder Jet macht um 16.30 Uhr die Leinen los. 579 Plätze stehen zur Verfügung. Das Schiff ist fast voll besetzt. Während sich die Passagiere in die Sitze fallenlassen, bleiben Otto und Karin Hoge zurück. Sie wollen noch drei Tage Urlaub auf der Insel machen. Eine Tagestour nach Helgoland sei in jedem Fall lohnenswert, hatte Karin Hoge gesagt. Aber wirklich gerecht könne man der Insel in vier Stunden nicht werden. Besser sei es, mindestens eine Übernachtung einzuplanen. „Ihren eigentlichen Zauber entfaltet die Insel nämlich erst, wenn die Tagesgäste weg sind und Ruhe einkehrt.“