Erste Unternehmen müssen Aufträge ablehnen, weil sie die Kunden nicht mehr zeitnah erreichen können. IHK und Kreis arbeiten an Lösungen. CDU fordert Maßnahmen von der Landesregierung in Kiel.
Kreis Pinneberg. Seit Monaten wird vor einem Verkehrskollaps rund um Hamburg gewarnt. Unternehmerverbände, die WEP und auch Kreis- und Landespolitiker sehen die Zunahme an Verkehrsstaus mit Sorgen und fordern schnelle Lösungen, um einem drohenden Verkehrsinfarkt zu entgehen. Vor allem die Wirtschaft ist von den kilometerlangen Staus zunehmend betroffen. Weil die Lage immer prekärer wird, können die ersten Unternehmen im Kreis Pinneberg inzwischen Aufträge nicht mehr annehmen.
Die Ursache der angespannten Verkehrslage sind die Baustellen, die vor allem entlang der A7 eingerichtet werden. Marode Brücken müssen erneuert werden, die Elbtunnelrampen sind weitgehend abgefahren, der Ausbau der A7 auf vier Spuren je Fahrtrichtung in Hamburg und jeweils drei Spuren in Schleswig-Holstein sowie der Bau eines Deckels bei Hamburg-Stellingen, dies alles sorgt für Staupotenzial. Laut dem ADAC liege der dadurch entstehende wirtschaftliche Schaden in Milliardenhöhe. Doch an den Baustellen führe kein Weg vorbei, erklärte Schleswig-Holsteins Verkehrsstaatssekretär Frank Nägele, SPD, Anfang April in Kiel.
Trotz alledem sind viele Unternehmer genervt. Claudia Mohr, Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft Westholstein kennt die Klagen von Dutzenden Handwerkern und Bauunternehmern im Kreis Pinneberg. „Es wird extrem früh losgefahren, um noch irgendwie durch den Verkehr zu kommen“, sagt sie. Doch vor dem großen Pendlerstau noch nach Hamburg und Niedersachsen rein zu kommen, werde immer schwieriger, weil andere dasselbe probierten. „Vor dem Deckelbau in Stellingen graust uns“, sagt sie. Sie befürchtet, dass sich die Lage dann nochmals drastisch verschlimmern wird, da Stellingen ohnehin bereits ein Nadelöhr sei. Täglich staut sich vor der Abfahrt der Verkehr auf mehrere Kilometer.
„Einige Aufträge werden wegen der Verkehrslage bereits abgelehnt“, berichtet sie. Dies, weil das Arbeitsziel für die Betriebe einfach nicht mehr in einer vertretbaren Zeit erreichbar sei. Jeder Wagen, der im Stau stecke, sei totes Kapital, die Zeit verstreiche nutzlos. Das koste Geld. Bevor also der Auftrag wegen der Verkehrssituation zum Minusgeschäft wird, wird er lieber abgelehnt und der Konkurrenz überlassen. Das weiß auch Norbert Lanz zu berichten. Der Quickborner hat einen Holzbaubetrieb und muss daher regelmäßig zu Häuserbauten. Doch die Wege, sie seien zunehmend dicht für ihn und seine Mitarbeiter. „Es sind ja nicht nur die Autobahnen, die dicht sind, auch drum herum sind etliche Baustellen vorhanden“, sagt er. Ausweichstrecken gebe es daher kaum.
Für eine Fahrt von Quickborn nach Hamburg müssten inzwischen im Schnitt mindestens 30 Minuten mehr eingeplant werden. Oftmals reiche aber auch das nicht. Das bedeutet für ihn, dass seine Mitarbeiter für im Stau stehen bezahlt werden beziehungsweise die effektive Arbeitszeit sinkt. „Wenn wir deswegen also Überstunden machen, können wir diese dem Kunden schlecht in Rechnung stellen“, sagt er. Das sieht Claudia Mohr genauso. Preiszuschläge seien zwar theoretisch möglich und eigentlich auch sinnvoll, das Verständnis dafür gebe es bei vielen Kunden aber nicht.
Noch früher als bisher loszufahren, um früher am Bau zu sein und so dem Stau womöglich zu entgehen, das sei nicht uneingeschränkt machbar, so Lanz. „Das leidige Thema für uns ist, dass wir vor sieben Uhr in Hamburg keinen Lärm machen dürfen“, sagt er. Er könne zwar Mitarbeiter so früh losschicken, dass sie bereits um sechs auf der Baustelle wären, aber dann müssten sie dort tatenlos herumsitzen.
Auch Paul Raab, Leiter der Zweigstelle Elmshorn der Industrie- und Handelskammer zu Kiel, kennt die Sorgen der Unternehmer. Eine Alternative zu den Baustellen sieht aber auch er nicht. „Grundsätzlich sind die Baumaßnahmen zu begrüßen, da Schleswig-Holstein von den zusätzlichen Spuren auf der A7 profitieren wird. Die Unternehmen wollen daher konstruktiv mit den Einschränkungen umgehen“, sagt Raab. Die IHK halte daher auch einen engen Kontakt zu Logistikern und anderen betroffenen Firmen.
„Im Wesentlichen gehen Vorschläge aus der Logistikbranche dahin, Verkehre zeitlich und räumlich besser zu verteilen“, sagt der IHK-Leiter. Bereits jetzt seien in den Stoßzeiten auf der A23 erhebliche Fahrzeitverlängerungen zu verzeichnen. Im Sommer müsse daher vor allem der Ferienverkehr nachdrücklich auf die Ausweichroute über die A1 und A21 hingewiesen werden, um für eine Entspannung der Lage zu sorgen. „Die Industrie- und Handelskammer wird zusammen mit dem Kreis Pinneberg das Baustellenmanagement im Sinne der Unternehmen begleiten“, kündigt Raab an.
Norbert Lanz hat bereits einige praktische Vorschläge in der Tasche, wie für Entspannung gesorgt werden könnte. Zum einen müsste Hamburg die Ampeln, die direkt an den Ausfahrtrampen stehen, entfernen. Dann würde es ausreichende Auslaufstrecken für den Verkehr geben. Ohne solche Auslaufflächen werde es ständig einen Rückstau bis direkt auf die Autobahnen geben. Ein weiterer Vorschlag: Bund und Länder sollten die linke Fahrspur zur Transitspur umwandeln, so wie dies in anderen Ländern bereits praktiziert wird. Dies würde verhindern, dass Pendler bis zuletzt ganz links fahren, um sich dann direkt vor der Ausfahrt nach rechts reinzudrängen und alles zu blockieren. Der Durchgangsverkehr hätte dann endlich wieder freie Fahrt.
Der CDU-Landtagsabgeordnete für den Kreis Pinneberg und Helgoland, Peter Lehnert, fordert von der Kieler Landesregierung, die absehbaren Verkehrsprobleme endlich ernst zu nehmen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Schleswig-Holstein brauche Taten, damit es nicht „zum größten Parkplatz Deutschlands“ werde. Erforderlich seien ein tragfähiges Baustellenmanagement, zusätzliche Park-and-Ride-Plätze und die Elektrifizierung sowie eine Taktverdichtung bei der AKN-Bahn. Laut der CDU hätten Experten errechnet, dass die Staugefahr beim bevorstehenden Ausbau der Autobahn A7 halbiert werden könnte, wenn fünf Prozent der Pendler öffentliche Verkehrsmittel nutzen würden.
Lehnert favorisiert einen durchgehenden zweispurigen Ausbau der AKN-Strecke von Kaltenkirchen bis Hamburg-Eidelstedt. Damit könnte die A7 entlastet werden. Der CDU-Politiker fordert daher von der Regierung in Kiel, den Öffentlichen Personennahverkehr auch dort auszubauen, wo es sinnvoll und notwendig sei. Im Hamburger Umland würden 100.000 Pendler auf eine Verbesserung der Schienenverbindungen warten. Lehnert regt daher an, bereits ab 2018 statt 2020 die AKN auf der Strecke Eidelstedt-Kaltenkirchen elektrisch fahren zu lassen.