Immer weniger freiberufliche Hebammen übernehmen Hausgeburten. Der Grund: Die Versicherungsbeiträge für die Geburtshelferinnen explodieren. Bundespolitiker sichern ihnen Unterstützung zu.
Elmshorn. Annette Pieper ist die letzte von etwa 60 Hebammen im Kreis Pinneberg, die Hausgeburten betreut. Andere freiberuflich tätige Hebammen haben die Geburtshilfe längst aufgeben, weil sich die hohen Versicherungsbeiträge kaum noch erwirtschaften lassen.
„Ich stehe quasi auf der roten Liste“, sagt die 48-Jährige aus Elmshorn. Neben Hausgeburten bietet sie Schwangeren als Beleghebamme eine Geburtsbegleitung von Anfang bis Ende an. Das heißt, sie ist Tag und Nacht für die Frauen erreichbar. Dafür stellt sie ihr Privatleben hintenan. „Im Theater stelle ich mein Handy auf lautlos, habe es immer im Blick“, sagt sie. Ist sie bei Freunden oder Familie eingeladen, kann sie nur unter Vorbehalt zusagen. Mal mit einem Glas Sekt anstoßen – für Pieper nicht möglich. Sie muss jederzeit ins Krankenhaus fahren können, um die Frauen bei der Geburt zu begleiten.
Maximal fünf Geburten im Monat betreut sie. Mehr ist zeitlich nicht drin. Für eine Beleggeburt in der Klinik bekommt Pieper 273,22 Euro, für eine Hausgeburt 694,58 Euro. Die Geburt in einem Geburtshaus wird mit 550,50 Euro vergütet. Dem gegenüber stehen die Beiträge für die Berufshaftpflichtversicherung der freiberuflichen Hebammen in der Geburtshilfe, die in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind.
Laut dem Deutschen Hebammen-verband (DHV) betrug die jährliche Haftpflichtprämie für die Geburtshilfe 1981 noch 30,68 Euro. Im Jahr 2000 waren es 404 Euro, 2009 bereits 2370,48 Euro und nur drei Jahre später 4242 Euro. Am 1. Juli 2014 steht die nächste Erhöhung von 4800 Euro auf 5091 Euro an. Zwar erhalten die Hebammen eine höhere Vergütung und Ausgleichszahlung von den Krankenkassen. Diese kommen aber vor allem Hebammen mit vielen Geburten zugute und reichen nicht aus. So wird die Vergütung für Beleggeburten in diesem Jahr zum Beispiel um lediglich drei Euro angehoben.
„Das heißt, vier Monate arbeite ich nur, um die Versicherung zahlen zu können“, sagt Pieper. Oder: Erst nach 18,5 Geburten ist die Prämie abgezahlt. Würde ihr die Arbeit nicht so viel Spaß machen, hätte sie längst aufgegeben. Idealismus allein wird Pieper vom 1. Juli 2015 an allerdings nicht mehr weiterhelfen. Denn dann steigt die Nürnberger Versicherung aus dem Versicherungskonsortium für die Gruppenhaftpflichtversicherung des DHV aus. Grund sind die steigenden Schadenssummen. Die beiden anderen Versicherer R&V und VKB haben angekündigt, dass sie die Versicherung für die Hebammen nicht allein tragen werden.
„Das kommt einem Berufsverbot gleich“, sagt Hebamme Maraike Gubernatis, DHV-Delegierte im Kreis Pinneberg. „Ohne Berufshaftpflichtversicherung dürfen freiberuflich tätige Hebammen nicht praktizieren.“ 16.000 Hebammen wären in Deutschland betroffen. Sollte es soweit kommen, müssten Kinderärzte und Gynäkologen die Aufgaben der Hebammen wie Vorsorge, Stillberatung oder Wochenbettbetreuung übernehmen, sagt Gubernatis. Und die hätten zum Teil schon jetzt die Grenzen ihrer Kapazitäten erreicht.
Ulla Hafemann, Cornelia Müller und Tatjana Baron aus der Hebammenpraxis 3Klang in Elmshorn haben das Gefühl, viele wüssten gar nicht, was sie neben der Geburtshilfe alles leisten. „Eine Hebamme kontrolliert in der Vorsorge Gewicht und Blutdruck der Schwangeren sowie die Lage und Größe des Kindes und dessen Herztöne“, sagt Baron. Hebammen suchen Schwangere zu Hause auf, wenn vorzeitige Wehen oder Wassereinlagerungen auftreten, nehmen Frauen Ängste und bieten Kurse an, wie zum Beispiel Autogenes Training, Yoga, Bauchtanz oder Geburtsvorbereitung nach Reat oder Lamaze.
Eine Hebamme unterstützt auch nach der Geburt. Bis das Kind acht Wochen alt ist, können die Frauen sie um Rat und Hilfe bitten. In der Wochenbettbetreuung versorgt sie den Nabel des Kindes, beobachtet Trinkverhalten, Zustand und Entwicklung. Sie leitet Mütter zur Pflege des Kindes an, kontrolliert den Rückgang der Gebärmutter und der Wundheilung, hilft beim Stillen und bietet Rückbildungsgymnastik an. Bei den Krankenkassen kann sie lediglich jeweils 30 Minuten abrechnen und erhält dafür 36 Euro. Die meisten Hebammen bleiben länger – unbezahlt.
„Hebammen haben auch eine große Schutzfunktion“, sagt Baron. „In sogenannten Risikofamilien können wir ein Jahr vor Ort unterstützen.“ Sollte das Kindeswohl gefährdet sein, informieren sie Behörden und Ärzte. „Erst acht Wochen nach der Geburt steht der erste Besuch beim Kinderarzt an“, sagt die 48-Jährige, die seit 25 Jahren Hebamme ist. Solange sind es die Hebammen, die über das Wohl von Mutter und Kind wachen.
„Die Frauen könnten auch nicht mehr frei wählen, wo sie ihr Kind zur Welt bringen“, sagt Hafemann. In den 80er-Jahren demonstrierte sie mit Tausenden Frauen für ihr Recht auf eine selbstbestimmte Geburt. Damals stand der Paragraf auf der Kippe, der Ärzte verpflichtet, bei einer Entbindung eine Hebamme hinzuzuziehen. „Heute kämpfen wir wieder ums Überleben.“ Sollte es keine Lösung geben, können die Hebammen schon zum Ende des Jahres keine neuen Aufträge mehr annehmen.
Unterstützung kommt von den Politikern im Kreis. Bundestagsabgeordneter Ole Schröder, CDU, sind die Arbeitsbedingungen der freiberuflich tätigen Hebammen sehr wichtig: „Werdende Mütter sollen die professionelle Begleitung und Unterstützung durch Hebammen und Entbindungspfleger auch weiterhin in Anspruch nehmen können. Diese Unterstützung haben wir auch im Koalitionsvertrag zugesagt.“ Jetzt müsse vor allem sichergestellt werden, dass bei der Haftpflichtversicherung eine Lösung gefunden wird, damit der für viele werdende Mütter so wichtige Beruf der freiberuflich arbeitenden Hebamme erhalten bleibt.
Sowohl Schröder als auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Dieter Rossmann verweisen auf eine interministerielle Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Hebammenverbände, die hierzu in Kürze Vorschläge vorlegen werde. Der Bundesgesundheitsausschuss habe sich am 19. Februar mit der Frage befasst, so Rossmann. Welche Lösung dabei herauskomme, möglicherweise eine Lösung nach dem Vorbild der Unfallversicherer oder eine Neuregelung der Haftpflichtprämien, sei offen. Jedenfalls dränge die Zeit, so Rossmann, die SPD setze sich mit Nachdruck für eine bessere Regelung für Hebammen ein.
„Es ist für mich nachvollziehbar, dass Versicherer von freiberuflichen Hebammen angesichts steigender Entschädigungsansprüche eine Risikoabwägung vornehmen und ihre Prämien entsprechend anpassen“, sagt die Grünen-Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms aus Wedel. „Eine sinnvolle Lösung könnte es sein, das Prinzip der gesetzlichen Unfallversicherung zur Haftungsablösung der Unternehmen auf eine verpflichtende staatlich kontrollierte Berufshaftpflichtversicherung für alle medizinischen Berufe anzuwenden.“
Der Kreis Pinneberg hat für werdende Eltern einen Informationsordner erstellt. Dieser enthält alle Angebote für Schwangere und Eltern von Kleinkindern, zum Beispiel Ansprechpartner und Adressen zu Schwangerenberatung, Erziehungsberatung, Angeboten wie Wellcome und Hand in Hand oder heilpädagogischer Frühförderung. Außerdem sind Listen aller Kinderärzte, Hebammen und Geburtskliniken enthalten. Die Frauenarztpraxen von Dr. Julia Takeh aus Elmshorn, Dr. Ulrike Lunau-Guhlmann aus Schenefeld und Dr. Christian Press aus Wedel geben ab März den Ordner aus.