Horst Tiedemann wohnt im achten Stock des Schenefelder Hochhauses am Parkgrund, das über keinen zweiten Rettungsweg verfügt. Die Auswirkungen offenbarte ein Feuer, das kürzlich auf einem Balkon ausbrach.
Schenefeld. Über ihm leben nur noch die Tauben. Horst Tiedemann bewohnt eine Dreizimmerwohnung in der achten Etage. Es ist das oberste Stockwerk in einem von drei Hochhäusern am Parkgrund. Von seinem Balkon aus sieht man bei gutem Wetter fast das gesamte Schenefelder Stadtgebiet. Diesen Weitblick will der Rentner nicht missen. Auch wenn er ihn seit Sonntag mit einem sehr viel mulmigeren Gefühl im Bauch genießt. Denn an diesem Tag brannte es in der Wohnung einige Stockwerke unter ihm. Die Kriminalpolizei hat die Ermittlungen wegen fahrlässiger Brandstiftung aufgenommen. Wahrscheinlich wurde das Feuer durch eine Zigarette verursacht.
„Meine Tochter, die zu Besuch war, stand auf dem Balkon und sah als erste die Rauchschwaden. Als sie hinunter blickte, entdeckte sie die Flammen, die aus dem Balkon schlugen“, erinnert sich Tiedemann. Er beugt sich über das Geländer und zeigt auf einen durch Ruß verdunkelten Balkon vier Stockwerke unter seinem. Obwohl er einer der ersten war, der den Brand am Sonntag bemerkte und die Nachbarn darüber informierte, verließ er als Letzter das Haus. Das liegt daran, dass Tiedemanns Frau im Rollstuhl sitzt. Normalerweise ist das Paar auf den Fahrstuhl angewiesen. Doch in so einem Fall bleibt nur die Treppe als einziger Weg nach draußen. Die zahlreichen Stufen aus dem achten Stock zu bewältigen, war für die beiden schwer und zeitaufwendig. „Als wir endlich draußen ankamen, war meine Frau ziemlich aufgeregt“, erinnert sich der Schenefelder. Sie ist auch diejenige, die sich mehr über die festgestellten schweren Brandschutzmängel des Gebäudes aufregt, deren Auswirkungen am Sonntag deutlich sichtbar wurden.
Denn obwohl die Schenefelder Feuerwehr über einen Drehleiterwagen verfügt und der auch vor Ort war, konnten die am Ende herbeigeeilten 46 Einsatzkräfte ihn nur als Beleuchtungshilfe nutzen. Obwohl es laut Helge Kudenholdt, Pressesprecher der Schenefelder Wehr, die beste Variante zum Löschen in diesem Fall gewesen wäre. Stattdessen ging es für die Helfer nur über das Treppenhaus vorwärts. Aber auch die Bewohner können nur so aus dem Haus gelangen. Würden ihnen die Flammen den Weg durchs Treppenhaus versperren, wären sie gefangen. Denn das Gebäude verfügt genauso wie die beiden benachbarten Hochhäuser über keinen gesetzlich forderten zweiten Rettungsweg. Der Drehleiterwagen, über den Personen gerettet werden könnten, kann nicht an die drei Gebäude mit jeweils 54 Wohnungen heranfahren. In einem Fall sind Bäume im Weg. Bei den anderen ist unklar, ob die jeweiligen Tiefgaragen, über die der Wagen zu den Hochhäusern rollen müsste, das 14 Tonnen schwere Fahrzeug tragen würde. Auch eine Alternative wie eine am Haus angebrachte Feuerleiter gibt es nicht. Die letzte Möglichkeit einen zweiten Rettungsweg zu schaffen, ist es, das Treppenhaus gegen das Eindringen von Feuer und Rauch zu schützen. Auch das ist im Fall des Hochhauses aus den 1970er-Jahren nicht umgesetzt worden.
Der zuständigen Aufsichtsbehörde, der Pinneberger Kreisverwaltung, ist das Problem bekannt. Und zwar seit 2010. Passiert ist seitdem nichts. Erst durch den Brand am Sonntag, bei dem die Feuerwehr ein Übergreifen der Flammen auf die Wohnungen verhinderte, wurde die Behörde aufmerksam. Bislang sei eine Überprüfung der Brandschutzauflagen laut Marc Trampe, Sprecher der Kreisverwaltung, am Personalmangel gescheitert. Jetzt soll mit Nachdruck eine Lösung mit der Mietergemeinschaft, zu der sich die zahlreichen Eigentümer der Wohnungen zusammengetan haben, verfolgt werden. „Wir halten uns ordnungsrechtliche Schritte vor“, so Trampe. Bei einer Brandschutzschau vor drei Jahren wurden acht Mängel festgestellt, darunter der fehlende zweite Rettungsweg. Der sollte durch ein Umrüsten des Treppenhauses längst behoben worden sein. Nun will die Kreisbehörde allen Mängeln nachspüren.
„An den Häusern wird seit Jahren nur das Nötigste gemacht“, sagt Tiedemann, das seit 15 Jahren hier zur Miete lebt. Er setzt seine Hoffnungen im Notfall auf eine Flucht über die Lücke aufs Dach. Und dann? „Auf Rettung warten.“