Seit 1949 finden sich unter den Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Pinneberg schillernde Figuren und graue Mäuse
Kreis Pinneberg. Mal waren es externe Politgrößen, mal echte Eigengewächse, die für den Kreis Pinneberg seit 1949 in den Bundestag einzogen. CDU und SPD machten den Sieger des Direktmandates dabei unter sich aus. Aber auch Vertreter der FDP und der Grünen waren in Bonn und Berlin dabei: schillernde Figuren und graue Mäuse, die grandiose Siege und bittere Niederlagen einfuhren.
Das erste Direktmandat nach dem Krieg gewann Sozialdemokratin Anni Krahnstöver im Jahr 1949. Als Eckernförderin war sie ein „Polit-Import“, was die Pinneberger offenbar nicht störte. Schon vier Jahre später begann die Ära von Wilhelm Goldhagen, die von 1953 bis 1961 dauerte. Der CDU-Mann aus Ellerhoop, Landwirt und Assessor, holte sich 1953 auf Anhieb das Direktmandat. Mit ihm zog über die Landesliste nicht etwa ein Sozialdemokrat in den Bundestag ein, sondern der Pinneberger Syndikus Wilhelm Jetzsch. Er vertrat die Interessen des national ausgerichteten Blocks der Heimatlosen und Entrechteten (BHE).
Für Annemarie Renger gab es in Pinneberg eine „Alibi-Wohnung“
Im Jahr 1957 erschien ein prominenter Name auf der Liste: Annemarie Renger, ehemalige Vertraute und Privatsekretärin des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher. Die Genossen beschafften „Polit-Import“ Renger einen Wohnsitz in der Kreisstadt, sinnigerweise in einem Wohnblock an der Friedrich-Ebert-Straße mit Blick auf die Drostei. Gesehen wurde sie dort selten. Ihr stand eine Karriere auf Bundesebene bevor, die sie von 1972 bis 1976 mit der Rolle als Bundestagspräsidentin krönte. Als Vertreterin des Wahlkreises Pinneberg zog Renger stets über die SPD-Landesliste in den Bundestag ein. Das Direktmandat gewann sowohl 1957 als auch 1961 CDU-Mann Goldhagen.
Vier Jahre später kandidierte für die CDU Rolf Bremer aus Elmshorn – auch er gewann gegen Annemarie Renger. Sie verabschiedete sich 1969 aus dem Kreis und übergab den Stab an den Pinneberger Juristen Hans-Ulrich Brand. Der Zeitgeist wandelte sich Ende der 60er-Jahre, und davon konnte der Jurist Brand profitieren. Er nahm Bremer das Direktmandat ab. Drei Jahre später folgte für die SPD der NDR-Journalist Hermann P. Reiser, der sich ebenfalls gegen Bremer durchsetzte. Das „Ticket“ nach Bonn konnte CDU-Mann Bremer erneut nur über die Landesliste seiner Partei einlösen. Es war die Zeit der Sozialdemokraten. Nach der Wahl im Jahr 1976 war ein Genosse einziger Vertreter des Wahlkreises im Bundestag: Reinhard Ueberhorst. Er siegte auch 1980 mit großem Vorsprung vor Rainer Ute Harms (CDU) aus Bilsen. Fast unbemerkt von den von der Harms-Niederlage enttäuschten Christdemokraten zog am Wahlabend Ingrid Roitzsch aus Quickborn in den Bundestag ein. Sie war über die Landesliste der CDU abgesichert, was im heimischen Wahlkreis niemand auf der Rechnung hatte. Doch die Journalistin machte Karriere, war unter anderem Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium und Geschäftsführerin der CDU/CSU Fraktion im Bundestag.
Ueberhorsts Karriere im Bundestag war kurz. Schnell bekam er einen Ruf nach Berlin, wo er ein Intermezzo als Senator gab. Für den Elmshorner rückte 1981 Lieselott Blunck, bekannt als die „rote Lilo von Sylt", über die Landesliste nach. Sie zog es danach in den Kreis Pinneberg, wo sie sich 1983 parteiintern gegen den zurückgekehrten Ueberhorst durchsetzen konnte. Damit kam es zur langjährigen Konfrontation zwischen Ingrid Roitzsch und Lilo Blunck. Zu einem Sieg hat es bei der „roten Lilo" nie gereicht. Bis 1990 hatte die CDU-Dame ein Abonnement als direkt gewählte Volksvertreterin gebucht. 1994 endete das Kapitel Roitzsch-Blunck. Newcomer Gert Willner, Ex-Bürgermeister in Quickborn, gewann 1994 aus dem Stand gegen Lilo Blunck aus Uetersen. Diese trat 1998 nach 17 Jahren im Bundestag nicht wieder an.
Es begann bei den Genossen die Zeit von Ernst Dieter Rossmann. Er nutzte die Wechselstimmung nach 16 Jahren Kohl und gewann 1998 das Direktmandat gegen Gert Willner. Rossmann setzte sich auch 2002 gegen Ole Schröder (CDU) durch, der über die Liste in den Bundestag einzog. Danach aber begann die Ära von Ole Schröder, der zweimal nacheinander das Direktmandat gegen Rossmann gewann. Und was war mit den Grünen, die 1983 erstmals in den Bundestag einrückten? Der Pinneberger Architekt Walter Sauermilch war bei der Premiere im Bundestag dabei. Über die Liste packte es auch der Halstenbeker Rainder Steenblock – elf Jahre später. Er gab sein Mandat 1996 ab, wechselte als Umweltminister nach Kiel. Valerie Wilms aus Wedel vertritt die Grünen seit 2009 im Bundestag und kandidiert erneut.
Auch ein Liberaler, „Polit-Import“ Wolfgang Kubicki, vertrat den Wahlkreis Pinneberg über die FDP-Landesliste ab 1990 im Bundestag, wo er mit Roitzsch und Blunck ein schwarz-rot-gelbes Pinneberger Trio bildete.
Nach der Wahl am diesem Sonntag könnte sich erneut ein Trio aus dem Kreis in die „Ahnentafel“ der Abgeordneten eintragen. Rossmann geht als Spitzenkandidat der Landes-SPD in den Ring, Schröder als Nummer zwei der Landes-CDU und Valerie Wilms als „Nummer drei“ der Grünen.