Die Lehrergewerkschaft GEW fordert 1500 Fachkräfte für Schulen. Viele Lehrer seien mit den Aufgaben überfordert.
Tornesch/Pinneberg. Für Petra M. (Name von der Redaktion geändert) war die Nachricht ein schwerer Schlag. Eigentlich sollte ihre Tochter eine gute Zukunft an einer Tornescher Grundschule vor sich haben - so lautete zumindest die Prognose des Kindergartens. Die Grundschule, die das Kind danach besuchte, gilt als fortschrittlich. Eine Schule, die die Inklusion pädagogisch umsetzt. Vier Jahre später hat das Kind offiziell diagnostizierte eklatante Lern- und Rechtschreibschwächen. Die Schuld dafür sieht die Mutter bei der Politik. Die habe die Inklusion völlig überhastet den Schulen aufgezwungen und damit Lernbedingungen geschaffen, die keinem Kind gerecht würden.
Bis zu 30 Kinder, so berichtet sie, hätten in einer Klasse gesessen, einige der Kinder seien nicht schulfähig gewesen. Die Klassenlehrerin sei schlichtweg überfordert gewesen. "Es ist ein Unding, was der Lehrerin zugemutet wurde", meint Petra M. Dass Lehrern aus Sparzwängen die Rolle von Sonderschulpädagogen nebenbei aufgedrückt werde, sei "schon ein starkes Stück", so die Mutter.
"Bei einem Elternabend in der zweiten Klasse erwähnte ich, dass meine Tochter viele Buchstaben und Zahlen gar nicht in der richtigen Strichführung schreibt. Andere Eltern sahen die gleichen Probleme bei ihren Kindern", berichtet Petra M. Sie glaubt, dass es ihre Tochter schwer haben wird, überhaupt noch einen normalen Bildungsstandard zu erreichen. Die Lehrer, die in den kommenden Jahren jene Kinder unterrichten müssen, die vorher wie Versuchskaninchen benutzt worden seien, täten ihr leid. "Die werden es schwer haben, diese Kinder noch zu retten", sagt die Tornescherin.
In der Tornescher Verwaltung wird das Thema Inklusion auch kritisch gesehen. Nicht, weil die Idee schlecht sei, sondern weil das Land die Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Schularbeit nicht geschaffen habe. Mitarbeiter, die anonym bleiben wollen, sagen, dass die Inklusion den Kommunen politisch aufgezwungen worden sei. Aus Wahlkampfgründen. Die für Inklusionsunterricht notwendige personelle Ausstattung sei oft nicht gegeben. Und überhaupt werde im Bildungsbereich zu viel "kaputtreformiert". Es gebe kaum ein Jahr, in dem nicht neue, angeblich bessere Pläne präsentiert würden. Leidtragende seien die Kinder.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Dieter Rossmann kennt die Sorgen. Er wünscht sich daher, dass nun Ruhe in die Bildungslandschaft einzieht. "Die Grundvoraussetzungen für eine Inklusion wurden zwar geschaffen, doch was wir nach wie vor brauchen, ist eine bessere materielle Unterstützung der Schulen", so der Bildungsexperte. Fälle wie in Tornesch dürften nicht zum Regelfall werden. "Es muss jetzt in die Qualität der Schulen investiert werden. Neue Zweitkräfte und bessere Lehrerausbildung sind vonnöten", sagt er. Da sei auch der Bund gefordert.
"Bildung ist zwar Ländersache, aber wenn die Bundesregierung die UN-Charta unterschreibt und die Inklusion damit einfordert, dann muss sie auch die Verantwortung mit übernehmen und das Projekt unterstützen. Die Bundesregierung darf nicht die Verantwortung einfach auf die Länder abladen", urteilt Rossmann. Die SPD werbe derzeit für einen Schulterschluss, für ein Bund-Länder-Programm, welches 50 Millionen Euro für eine sofortige personelle Unterstützung von Schulen und für Fortbildungen bereitstellen soll. In der Länderkammer gebe es eine Mehrheit für solch ein Programm, auch von Seiten von CDU und FDP.
Bernd Schauer, Geschäftsführer der Lehrergewerkschaft GEW in Schleswig-Holstein, würde einen solchen Schulterschluss begrüßen. "Er wäre gut, wenn das Kooperationsverbot von Bund und Ländern im Bildungsbereich aufgehoben würde. Es ist Unsinn. Der Bund hat die UN-Charta unterzeichnet und sollte daher auch einen Hilfsbeitrag leisten", sagt Schauer. Laut den Erkenntnissen der GEW bestehe nämlich ein enormer Korrekturbedarf.
"Bei der Inklusion herrscht völlige Konzept- und Planlosigkeit. Schleswig-Holstein gilt zwar als Vorreiter, doch die Mittel, die zur Verfügung stehen, sind völlig unzureichend", urteilt Schauer. Die Unterfinanzierung der Schulen lasse alle Kinder gleichermaßen leiden.
"Wir brauchen alleine in Schleswig-Holstein dringend 1500 zusätzliche Lehrerplanstellen, damit eine Inklusion sinnvoll betrieben werden kann. Seit die Inklusion politisch verordnet wurde, haben sich die Inklusionsbedingungen an vielen Schulen sogar eher verschlechtert als verbessert", so der GEW-Geschäftsführer. Mehr Lehrer, Fortbildungen und zusätzliche externe Fachkräfte wie Logopäden und Sonderpädagogen müssten bereitgestellt werden. Das findet auch Petra M. Wenn ein behindertes oder verhaltensauffälliges Kind an seinem Wohnort beschult werden solle, dann müssten auch die Rahmenbedingungen passen. Petra M. hat sich in einem Brief bei Politik, Stadtverwaltung und Schulrat beschwert. "Es scheint, als habe das etwas genützt", sagt sie. Die Schule hat in diesem Jahr ihre Inklusionsklassen deutlich verringert: Von 29 auf 18 Kinder pro Klasse.