An der Leibniz Privatschule bestellen 712 Schüler ihr Essen per Fingerprint - die Technik hat ein Vater entwickelt
Elmshorn . Es ist 11.30 Uhr an diesem Vormittag an der Leibniz Privatschule in Elmshorn. Lennard Paul Naumann, 20, hat Kohldampf. Der Zwölftklässler stellt sich an der kleinen Schlange vor der Essensausgabe in der Mensa an. Nach einer Minute ist er an der Reihe. Er legt seinen rechten Zeigefinger auf ein Lesegerät.
Auf einem Bildschirm, den Küchenkraft Davide Cibin im Blick hat, erscheint Lennards Name, sein Geburtsdatum, seine Klasse und das Essen, das er bereits vor einigen Tagen an seinem Computer von zu Hause aus bestellt hat: Nasi Goreng mit Hühnerfleisch. Schüler und Küchenkraft müssen kein Wort miteinander wechseln, und Lennard bekommt sein Essen - schöne neue Welt in einer Privatschule in Elmshorn.
Schulessen per Zeigefinger - entwickelt hat das Fingerprintverfahren ein Elmshorner Unternehmen, das seinen Sitz 700 Meter von der Leibniz Privatschule entfernt hat: die People & Projects IT GmbH. Die Firma war vergangene Woche in die Kritik geraten: An der Adolph-Schönfelder-Schule im Hamburger Stadtteil Barmbek-Süd war auch Kindern ein Fingerabdruck abgenommen worden, deren Eltern dem Verfahren gar nicht zugestimmt hatten (das Abendblatt berichtete). In dieser Woche kam heraus, dass auch an der Erich-Kästner-Schule in Hamburg-Farmsen Fingerabdrücke von Schülern ohne Einverständniserklärung der Eltern genommen worden waren.
"Prinzipiell führt die People & Projects IT GmbH die Erstaufnahme der Fingerprints immer in Absprache und in Anwesenheit mit der jeweiligen Schulleitung durch. Wenn später Mitarbeiter von Schulen oder Caterern Daten von Schülern einpflegen - insbesondere in der Hektik zum Schuljahresanfang - entzieht sich das unserer Kontrolle", sagt Firmensprecher Philip Tonne. "Für Fehler unsererseits haben wir sofort die Verantwortung übernommen und dies auch der Hamburger Schulbehörde umgehend mitgeteilt. Als Konsequenz daraus haben wir die Sicherheitslücke im System geschlossen."
An der Leibniz Privatschule in Elmshorn versteht man die Aufregung in der Hansestadt nicht. Hier läuft das Fingerprintverfahren seit Februar dieses Jahres. 712 von 1000 Schüler haben von ihren Eltern bereits eine Einverständniserklärung bekommen, ihre Finger auf die Lesegeräte zu legen: "Ja, ich gestatte die Fingerprintaufnahme meines Kindes sowie die weiterführende Nutzung im Rahmen der Essensausgabe und Essensabrechnung", haben die Eltern der Schule per Email mitgeteilt.
Schulleiterin Barbara Manke-Boesten, 61, betont, dass alle Eltern die freie Wahl haben, ob ihr Kind beim Fingerprintverfahren teilnimmt oder nicht. "Es wäre nicht in Ordnung, wenn man dazu gezwungen wäre", sagt die Schulleiterin. Wer will, kann auch mit bargeldlosen Chipkarten bezahlen. Und falls ein Schüler die Karte verloren hat, kann er an der Essensausgabe auch seinen Namen nennen und bekommt ein Essen. "Bei uns muss niemand hungern", sagt Barbara Manke-Boesten, "jeder kriegt etwas zu essen."
Für die Schulleiterin hat das Essen per Fingerprint vor allem zwei Vorteile: "Es ist praktisch und schnell. Ihren Finger können die Kinder nicht verlieren. Eine Karte geht schnell mal futsch."
Seit August 2010 kocht die Leibniz Privatschule in ihrer eigenen Schulküche. Damals wurde die Bezahlweise per bargeldloser Chipkarte eingeführt. Entwickelt hat das System der Mann, der auch das Fingerprintverfahren konzipiert hat: Thomas Abel, 51. Er ist Geschäftsführer der People & Projekts IT GmbH. Und seine Tochter Lilly, 10, besucht die fünfte Klasse der Leibniz Privatschule.
2007 hatte Leibniz-Geschäftsführer Gerhard Tolkmit, 57, den Eltern der Schule einen Brief geschrieben und gefragt: "Wie bekommen wir das Problem der Essensan- und abmeldung in den Griff?" Thomas Abel war sofort Feuer und Flamme: "So ein Softwaresystem kann ich doch entwickeln!"
Abel war damals Projektmanager mit dem Schwerpunkt Abrechnungssysteme bei Universal Music in Berlin. Gemeinsam mit seinem Freund und Arbeitskollegen Michael Estabillo machte sich der Informatiker an die Arbeit. Drei Jahre lang brüteten die beiden Männer an einem Verwaltungssystem für Schulen - am Feierabend und am Wochenende, mit Leidenschaft und Herzblut. Ihre Programmiersprachen hießen Delphi, C++ und PL/SQL - die Datenbank kam von Oracle.
"Wir wollten ein Produkt schaffen, das die Verwaltungsaufgaben stark reduziert und die Prozesse wesentlich vereinfacht", sagt Thomas Abel. "Die Schulverwaltung sollte von stupiden Arbeiten entlastet werden, damit sie sich mehr um Schüler und Eltern kümmern kann."
So ist die neue Mensaverwaltung nur eine von vielen Aufgaben, die die von Thomas Abel und Michael Estabillo entwickelte Software beherrscht. Mit dem Information Service System (I.S.S.) lassen sich auch Arbeitsgruppen planen, das Schulgeld und die Materialkosten können verbucht werden und die Eltern können im Intranet Fahrgemeinschaften gründen.
Erst vergangenes Jahr hat Thomas Abel die People & Projekts IT GmbH gegründet, mittlerweile arbeiten 30 Frauen und Männer in dem Unternehmen. "Wir wachsen derzeit rasant", sagt Thomas Abel, "unsere Software ist allein auf dem Markt." 200 Schulen arbeiten in Deutschland bereits mit der I.S.S.-Software aus Elmshorn, "Tendenz stark steigend", sagt Thomas Abel. Es gibt rund 40 Anfragen aus Schleswig-Holstein. Auch Städte und Gemeinden zeigen Interesse.
Bis nach Istanbul hat sich die neue Software von Abel/Estabillo herumgesprochen. Der Catererverband aus Istanbul (verantwortet 2,5 Millionen Essen pro Tag) hat Interesse gezeigt. Eine Vertriebsgesellschaft verkauft das Produkt bereits in der größten türkischen Stadt.
In Elmshorn indes nimmt auch Lilly, die Tochter von Thomas Abel, am Fingerprintverfahren in der Leibniz Privatschule teil. Allein, sie nutzt es nicht: Das Essen in der Schulkantine schmeckt ihr nicht.