Das Abendblatt testet in einer Serie die Barrierefreiheit im Kreis Pinneberg. Was den Seniorenbeirat konsequent ärgert, ist der Zustand der Gehwege in Wedel. Heute in Teil 2: Wedel
Wedel. Steile Straßen, unzureichender Nahverkehr, fehlende Plätze zum Ausruhen: Das Leben von Senioren und körperlich behinderten Menschen ist alles andere als frei von Hürden. Täglich müssen sich Senioren und Behinderte gleichermaßen durch Städte und Gemeinden bewegen und versuchen, sich mit den Problemen des Alltags zu arrangieren. Das Abendblatt schaut sich die Kommunen im Kreis Pinneberg an und zeigt in loser Folge, welche Probleme dort bestehen - in der heutigen Ausgabe: die Stadt Wedel.
Wenn es um das Thema Barrierefreiheit geht, schüttelt Siegrun Klug ungläubig mit dem Kopf. "Die Stadt tut fast gar nichts, um das Thema Barrierefreiheit voranzubringen", klagt die Vorsitzende des städtischen Seniorenbeirats. Fast alle Impulse zur Barrierefreiheit, die die Stadt in den vergangenen Jahren erfahren habe, wie etwa beim Schulbau, seien von außerhalb angeschoben worden.
Das jüngste Beispiel: Straßenschilder, die auch von blinden und fast blinden Menschen gelesen werden können. Die Idee kam von einem Bürger, nicht von der Stadt. Zwar hatte Bürgermeister Niels Schmidt erst kürzlich erklärt, dass Barrierefreiheit im öffentlichen Raum vor dem demografischen Hintergrund immer mehr an Bedeutung gewinne. Doch dem, so der Seniorenbeirat, würden eher wenige Taten folgen. "Wir haben in der Vergangenheit viele Anträge zur Verbesserung der Lage eingebracht, doch es passiert nichts", sagt Reinhardt Schuster, Mitglied des Seniorenbeirates.
"Wir weisen auf vieles hin, aber in den Ausschüssen werden wir, so unser Eindruck, manchmal als lästige Störer wahrgenommen", sagt Klug. Auch behaupte die Kommune, dass sie barrierefrei sei, doch die Erfahrungen - nicht nur des Seniorenbeirates - sowie ein Blick auf die Wohnviertel würden zeigen, dass zwischen der Aussagen der Kommune und der Realität eine deutliche Diskrepanz bestehe. "Wir werden daher weiterhin unbequem sein, zum Wohle der Bürger", sagt Klug.
Was den Seniorenbeirat konsequent ärgert, ist der Zustand der Gehwege in Wedel. "Viele sind eindeutig zu steil", sagt Schuster. Eine Steigung oder ein Gefälle von vier bis maximal sechs Prozent, das sei noch vertretbar. Das könne mit einem Rollstuhl, einem Rollator oder einem Kinderwagen noch halbwegs gut bewältigt werden. "Wir haben hier immer noch viele Straßen und Bürgersteige, die deutlich steiler sind, die bis zu 14 Prozent Steigung aufweisen. Da kommt kein Rollstuhlfahrer und auch niemand, der auf einen Rollator angewiesen ist, hinauf", sagt Heidemarie Bohnert vom Seniorenbeirat. Und auch für sie als Gehbehinderte, die einen Stock zum Gehen brauche, sei es fast unmöglich, diese Wege zu nutzen.
Der Beirat hat sich, um den Zustand der Straßen und Wege dokumentieren zu können, ein Messlot konstruieren lassen, mit dem der Neigungswinkel der Wege gemessen werden kann. "Das Gerät hat gezeigt, dass das Problem gravierender ist, als viele dachten", sagt Bohnert. Der Stadtverwaltung wolle der Seniorenbeirat keinen Vorwurf deswegen machen. "Das Problem ist vor Jahrzehnten entstanden, als in den 50er-Jahren und davor Straßen und Fußwege gebaut wurden. Damals gab es das Thema Barrierefreiheit noch nicht. Mit den Folgen dieser Planungen müssen sich nun die Kommunen auseinandersetzen und bezahlbare Lösungen finden. Das ist nicht leicht", sagt Klug. Denn Städten wie Wedel fehle das Geld, um das Gröbste an Problemen zu beseitigen.
Ärgerlich sei aber, dass auf viele Verbesserungen, wie neuere Gehwegplatten geachtet würde, wenn Bauvorhaben anstünden, dass aber Gefälle und Steigungen sowie die Schrägen in den Bürgersteigen nicht beseitigt würden. "Es gibt Fußwege, in die zwar Stufen eingebaut sind, um das Gefälle zu mindern, doch diese Stufen können von Rollator- und Rollstuhlfahrern wieder nicht genutzt werden", so die Seniorenbeiratsvorsitzende.
Es gibt aber auch ein gutes Beispiel: An der Kantstraße hat die Stadt für etwa 40.000 Euro eine steile Rampe, die zum Eichendorffweg führte, komplett umbauen lassen, damit Rollstuhlfahrer und Senioren die Steigung bewältigen können. "Das ist toll gelungen und wir hoffen, dass es auch künftig noch mehr solcher Lösungen geben wird", sagt Heidemarie Bohnert.
Auch das Thema betreutes Wohnen werde an der Kantstraße gut umgesetzt. "Hier sind mehrere neue Gebäude entstanden, die auch von Rollstuhlfahrern genutzt werden können und die für ältere Menschen ebenfalls gut nutzbar sind. Davon wünschen wir uns natürlich mehr", sagt Klug. Die Mehrkosten für das barrierefreie Wohnen seien sehr gering, der Nutzen aber enorm. "Leider wird von Architekten aber oft noch in traditionellen Mustern gedacht, die Barrierefreiheit ist bei denen nicht automatisch im Hinterkopf. Das sollte sie aber", meint Reinhardt. Das würde langfristig nämlich Kosten sparen, weil spätere Umbauten nicht nötig wären.
Eine sinnvolle Investition, so der Seniorenbeirat, wären auch mehr Sitzbänke in der Stadt. "An den touristischen Hotspots gibt es Sitzbänke. Aber abseits davon sind kaum welche vorhanden. Ältere brauchen aber oftmals eine Möglichkeit zur Rast, denn die Wege sind für sie beschwerlich, sie müssen ausruhen und Kräfte sammeln können", sagt Klug. Dass die Stadt nicht von heute auf morgen viele Bänke aufstellen kann, ist dem Seniorenbeirat bewusst. "Wenn eine Bank pro Jahr aufgestellt würde, wäre das schon eine beträchtliche Hilfe für viele Bürger", meint Klug.
Eine große Hilfe wäre es auch, wenn die Stadt eine Möglichkeit finden könnte, die Busverkehre zu optimieren, so dass die Gegenden, in denen besonders viele Rentner leben, besser an das ÖPNV-Netz angebunden sind und die Einkaufszentren in den Außenbezirken und die Arztpraxen im Stadtzentrum besser erreichen können. "Das wird sicher nicht leicht, denn vieles im Busverkehr hängt von der S-Bahn-Taktung ab", sagt Klug. Aber: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.