Heute tritt Anspruch auf einen Betreuungsplatz für Krippenkinder in Kraft. Kreis erfüllt knapp die 35-Prozent-Quote, möglich machen es Tagesmütter.
Kreis Pinneberg. 1. August 2013: Auf dieses Datum haben Eltern und Gemeinden seit längerem geschaut. Denn von heute an haben Kinder im Alter von ein bis drei Jahren einen gesetzlich geregelten Anspruch auf einen Betreuungsplatz. Eltern, die ihr Kind nicht unterbringen können, haben somit die Möglichkeit, vor Gericht zu ziehen. Für Städte und Gemeinden bedeutet es, dass es von heute an teuer wird, wenn die Plätze nicht ausreichen. Ob in Schenefeld, Rellingen oder Elmshorn - seit Monaten schießen deshalb neue Kitas aus dem Boden, werden zusätzliche Plätze durch Anbauten geschaffen.
Stichtag 1. August 2013: Wie steht es um die Krippenplatzversorgung im Kreis Pinneberg? "Die vom Bund vorgegebene Betreuungsquote von 35 Prozent erreichen wir", sagt Marc Trampe, Pressesprecher der Kreisverwaltung. Allerdings ist ihm auch bewusst, dass diese Quote nur ein Mittelwert ist und für die dicht besiedelte Metropolregion bei weitem nicht ausreicht. "Wir gehen davon aus, dass der Bedarf höher liegen wird. Wie hoch genau, wird die Zeit zeigen", so Trampe.
Für Hatice Yilmaz hat die Zeit gezeigt, dass es schwer ist, im Kreis Pinneberg einen Krippenplatz zu ergattern. Seit einem Jahr bemüht sich die 30-Jährige intensiv um einen Kitaplatz für ihren zweijährigen Sohn Kerim. Ihre Tochter Melek ist ein Jahr alt und soll jetzt auch den Umgang mit anderen Kindern lernen. "Besonders für die Sprache ist es wichtig. Zuhause wird viel Türkisch gesprochen", berichtet Yilmaz, die ab Oktober plant, wieder als Kauffrau im Einzelhandel zu arbeiten. Ihre Rettung heißt Petra Gleiß.
Die 52 Jahre alte Wedelerin ist eine von derzeit kreisweit 255 Tagesmüttern der Familienbildungen, die allein 1199 Kinder betreuen. Gleiß nimmt die beiden Kinder bei sich auf. Seit ein paar Tagen gewöhnen sie sich stundenweise an die anderen Kinder und die fremde Umgebung. "Es läuft gut", sagt Gleiß, die seit zwölf Jahren Tagesmutter ist. Bis zu fünf Kinder betreut sie täglich von 7 bis 14 Uhr. Sie macht ihnen das Frühstück und das Mittagessen, im Garten können die Kinder schaukeln, die Elefantenrutsche besetzen oder im Sandkasten spielen. Einmal pro Woche kommt die "Vorleseoma".
Mehr als die Hälfte der im Kreis Pinneberg zur Verfügung stehenden Krippenplätze werden von Tagesmüttern gestellt. Gleichgestellt sind sie allerdings nicht. Während ein Krippenplatz an der Kita die Eltern bei einer Vollzeitbetreuung bis zu 440 Euro kostet, kann die Betreuung bei gleicher Stundenanzahl bei einer Tagesmutter bis zu 800 Euro kosten. Das schreckt viele Eltern ab und widerspricht auch der neuen Regelung, die die Tagespflege mit der Kitabetreuung gleichsetzt und zudem das Wahlrecht der Eltern stärkt. "Dafür werden wir eine Lösung finden", sagt Kreissprecher Trampe. Er kündigt an, dass nach der Sommerpause das Thema auf die Tagesordnung kommt.
Was erst kreisweit geregelt werden muss, ist in Wedel bereits an der Tagesordnung. Hier wird schon seit langem der Ausgleich von der Stadt gezahlt. "Hier hat man erkannt, dass die Tagespflege eine gute Ergänzung der Betreuung ist", sagt Edda Slivka, die bei der Familienbildung zuständig ist für die Tagesmütter. Sie beobachtet seit Jahren den steigenden Betreuungsbedarf. "Wenn das Kind ein Jahr alt ist, gehen die Eltern heute meist wieder arbeiten." Arbeiten gehen möchte auch die Frau eines 32-jährigen Schenefelders, der aus beruflichen Gründen anonym bleiben möchte. "Es ist ein Dilemma hier in Schenefeld", sagt er. Hoffnung auf einen Krippenplatz machte man ihm bei der Stadtverwaltung gar nicht erst. Das Problem: Eine Kita wurde nicht rechtzeitig fertig, ein Krippenanbau steht dank eines Schadens unter Wasser. Eine Tagesmutter lohnt sich aus finanziellen Gründen für die Familie nicht, denn in Schenefeld wird kein Ausgleich gezahlt. "Meine Frau ist selbstständig und pendelt jetzt drei Tage die Woche nach Berlin, damit das Kind dort von der Oma betreut wird. Wir sind ratlos, wie es weitergehen soll." Ob er klagt? Er weiß es noch nicht. "Das bringt uns jetzt auch keine schnelle Lösung."
Mehr in den Kita-Ausbau, die Betreuung und die qualifizierte Ausbildung von Erziehern zu investieren, darauf drängt auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Dieter Rossmann. "Wir geben in Deutschland 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Bereich Krippenplätze aus. Das ist sehr wenig", sagte er bei einem Infogespräch am Mittwoch im "Dolli Einstein Haus" der Awo in Pinneberg. "Die 35 Prozent kann man ab heute wieder vergessen. Das Betreuungsangebot muss weiter ausgebaut werden."
Zusammen mit ihrem Kieler Fraktionschef Ralf Stegner machten sich die Sozialdemokraten aus dem Kreis ein Bild von der Situation bei der Awo. Stegner warnte davor, nur die Zahlen im Kopf zu haben und zum Beispiel die Kopfzahl in Kita-Gruppen zu erhöhen. "Damit ist den Kindern nicht gedient", so der Fraktionsvorsitzende im Kieler Landtag.
Trotz der voraussichtlichen Unterdeckung an Betreuungsplätzen rechnen Hans-Helmut Birke, SPD-Fraktionschef im Kreistag, und Stegner nicht mit einer Klagewelle - jedenfalls nicht dieser Tage. "Wenn die Eltern keinen Krippenplatz kriegen, laufen sie doch nicht gleich vor Gericht", so Birke. Vielmehr würden Betroffene vermutlich zunächst ihre Energie darauf verwenden, Notlösungen, etwa über Nachbarschaftshilfe, aufzutun. Für die frühere Pinneberger Bürgermeisterin und heutige Sozialministerin Kristin Alheit, SPD, ist "der Kita-Ausbau ein familienpolitischer Meilenstein". Auch die Ministerin sprach sich dafür aus, parallel zum Ausbau der Betreuungsplätze die Qualität innerhalb der Kitas weiter zu steigern. Dem schloss sich Ute Rodenwald, Einrichtungsleiterin im "Dolli Einstein Haus" an. Christine Scholz, Fachgebietsleiterin der Awo ergänzte: "Wenn wir in dieser Altersstufe Fehler bei der pädagogischen Arbeit machen, hat das langfristige Auswirkungen."