Während der mehrtägigen Dreharbeiten für “Borowski und der Engel“ in der Innenstadt herrscht Ausnahmezustand. Einzelne Geschäftsleute hatten sich zuvor bei der Stadtverwaltung beschwert.
Pinneberg. Irgendwann hat die Darstellerin im schwarzen Pelz die feine Nase voll. Und verkriecht sich unter ein Auto. Man hat es nicht leicht als Filmkatze beim Dreh. Zum zwölften, vielleicht schon zum 15. Mal versucht die Filmcrew, das Tier zu bewegen, mit ordentlich Schwung über die Schauenburger Straße in Pinneberg zu flitzen. Die Tücke, so lernt der neugierige Betrachter als Zuschauer am Set in der Kreisstadt, liegt im Detail.
Während die Katze vom Profi-Tiertrainer wieder eingefangen wird, tupft ein Visagist Schauspielerin Lavinia Wilson ab, eine Helferin drückt der Mimin, die genau auf ihrer Trittmarke vor dem Pinnau-Center verharrt, ein frisches Eis in die Hand. Die im Film offenbar eiskalte Lady, angetan mit luftigem Sommerkleid und großer Sonnenbrille, spielt eine der Hauptrollen in "Borowski und der Engel" - einem neuen NDR-Tatort mit Axel Milberg als Ermittler Borowski. Denn Altenpflegerin Sabrina Dobisch, die Lavinia Wilson im Tatort verkörpert, hilft kräftig nach, damit die Katze auf die Fahrbahn läuft und so einen verhängnisvollen Unfall auslöst . . .
Der Tatort Kiel ist kurzerhand nach Pinneberg verlegt worden. Und zwar in den Bereich Untere Dingstätte/Schauenburger Straße. Dort herrscht seit Montag wegen der Dreharbeiten regelrecht Ausnahmezustand. Auf der Suche nach der perfekten Kulisse sei den Filmleuten von Nordfilm Kiel, die den Tatort im Auftrag des NDR produzieren, der "besondere urbane Charakter" des Innenstadtbereichs ins Auge gesprungen, der in Pinneberg ein bisschen als Schmuddelecke gilt. In das seit Langem leer stehende Eckhaus vis-a-vis des Pinnau-Centers hat die Filmcrew, die mehrere Dutzend Köpfe zählt und sogar mit einem eigenen Küchenbus angekommen ist, einen kompletten Blumenladen eingebaut. "Wie schön, endlich wieder ein Geschäft", freut sich eine alte Dame aus der Umgebung, bevor sie jemand darauf hinweist, dass das Blumengeschäft nur schöner Schein ist. Dorthin schleudert ein Auto und erfasst einen Kunden - was dann Kommissar Borowski und seine Partnerin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) ins spannende Spiel bringt.
"Das Opfer kauft gerade Blumen für seinen schwulen Freund, als es vom Auto erfasst wird", hat Versicherungskaufmann Stefan Ralfs herausgefunden. Er und seine Kollegen vom Büro der Gothaer Versicherung an der Koppelstraße haben zwar ein paar Tage lang keine Kundenparkplätze mehr vor der Tür. Dafür aber den perfekten Logenplatz als Zaungäste der Dreharbeiten. Andere Zuschauer werden von der Aufnahmeleiterin und deren Gehilfen immer wieder aus dem Bild gewunken. Und wenn die Filmleute es wollen, dann müssen wegen der störenden Geräusche sogar die echten Bauarbeiten an der Schulstraße unterbrochen werden.
"Ist schon spannend zu sehen, welcher Aufwand betrieben wird", sagt Versicherungsagent Mathias Zahn. Der gesamte erste Drehtag ergebe am Ende nur etwa eine Minute Spielfilmlänge, habe man am Montag erfahren. Die Anwohner des Viertels seien rechtzeitig und im Detail informiert worden, sagt Zahn. "Wir haben beobachtet, dass die Filmleute mit viel Verständnis mit den Menschen aus der Umgebung umgegangen sind." So wurden die Anlieger per Handzettel unter anderem aufgefordert, am Dienstag und am heutigen Mittwoch die Fenster geschlossen zu halten, weil dann während des simulierten Autocrashs mit verstärktem Theaterstaub gearbeitet werde.
Die groß angelegten Dreharbeiten haben in der Stadt reichlich Staub aufgewirbelt. Und es gab einzelne Geschäftsleute, die sich bei der Stadtverwaltung massiv beschwerten, weil wegen der Straßensperrungen ihre Läden von Kunden nicht angefahren werden können. Dafür gab die versammelte Filmmannschaft am Montag bei der Eisdiele an der Unteren Dingstätte eine XXL-Bestellung auf. Zum Schlecken wohlgemerkt, nicht zum Filmen.
"Doch, die Dreharbeiten sind ein großer Eingriff", gibt Pinnebergs Wirtschaftsförderer Stefan Krappa zu. "Zeitweise hat die Sache massive Auswirkungen." Man habe jedoch, als die Anfrage der Produktionsfirma gekommen sei, offen sein wollen. "Wir wollten ein Signal senden, dass wir auch ein Medienstandort sind", so der Wirtschaftsförderer. Dass es zu derart massiven Straßensperrungen kommen müsse, habe sich jedoch erst im Verlaufe der Gespräche ergeben. Finanziell lohne sich die Sache eher nicht. Laut Krappa ("Bei uns entsteht die spektakulärste Szene des ganzen Tatortes") bekommt die Stadt für die Vermietung der Verkehrsflächen eine kleine vierstellige Summe. "Es geht bei der Suche nach Drehorten für den Tatort in Schleswig-Holstein außer um die Optik vor allem auch um die Machbarkeit", sagt der Motivaufnahmeleiter Philipp Pemöller, der während der Dreharbeiten immer wieder den Dialog mit den Anliegern sucht.
Mag die finanzielle Einnahme klein sein, so erlebt Pinneberg doch eine ganze Woche großes Kino. Der Imagegewinn war aus Sicht der Verwaltung der entscheidende Faktor. Das sagt auch Bürgermeisterin Urte Steinberg, die ankündigte, sich bei der Filmcrew um Regisseur und Grimme-Preisträger Andreas Kleinert noch persönlich vorzustellen. Kleinert hatte vor Jahren auch zwei Folgen der legendären "Schimanski"-Reihe inszeniert. Und "Schimanski"-Darsteller Götz George, hatte einst einen Bösewicht im Tatort "Blechschaden" gegeben, der dem Kreis Pinneberger Städtchen Barmstedt zu ewigem Tatort-Ruhm verholfen hatte. Obwohl die hiesige Kleinstadt damals im Film Sieverstedt hieß. Und jetzt kommt also Pinneberg, wenn auch die Kreisstadt offiziell nicht genannt wird. Die Straßenschilder wurden von der Filmcrew ebenso überklebt wie das große Schild des Pinnau-Centers. Zu sehen sein wird "Borowski und der Engel", unter anderem auch mit Leslie Malton und Victoria Trauttmansdorff, im Herbst.
Dann wird das Krimi-Rätsel gelüftet, was es mit der schwarzen Katze und dem eiskalten Engel genau auf sich hat. Die Einschaltquote zumindest in Pinneberg wird rekordverdächtig sein.