Energie- und Lebenshaltungskosten treiben die Menschen in den Ruin. Awo-Einrichtung verzeichnet 5004 Anfragen. Bis zum ersten Beratungsgespräch vergehen in der Regel zwei bis drei Monate.
Kreis Pinneberg. Immer mehr Menschen im Kreis Pinneberg sind überschuldet. Das führt zu einem wahren Ansturm auf die kreisweit tätige Schuldner- und Insolvenzberatung der Arbeiterwohlfahrt (Awo). "In den vergangenen acht Jahren hat sich die Zahl unserer Beratungsgespräche fast verdoppelt, die Zahl der Anfragen sogar vervierfacht", sagt Leiter Michael Danker. Einen Personalzuwachs in diesem Umfang habe es jedoch nicht gegeben.
Die Folge sind lange Wartezeiten. Bis zum ersten Beratungsgespräch vergehen im Kreis Pinneberg in der Regel zwei bis drei Monate. "In Hamburg sind die Wartezeiten viel länger, dort dauert es bis zu einem halben Jahr bis zum ersten Gespräch", berichtet Danker. In einigen Regionen Deutschlands könne bis zu einem Jahr vergehen, bis die Schuldnerberater den Fall annehmen.
Um schnell helfen zu können, führte die Einrichtung eine Kurzberatung ein
Weil die vier Büros in Elmshorn, Pinneberg, Wedel und Schenefeld nahezu überrannt und die Wartezeiten immer länger wurden, hat die Einrichtung mit der Einführung einer Basisberatung reagiert. Kurze Hilfestellungen gibt es seitdem in einer wöchentlichen Telefon-Sprechstunde, Online per E-Mail oder in Ausnahmefällen auch in persönlichen Gesprächen. 3336 Kurzberatungen absolvierten die Schuldnerberater im vergangenen Jahr. In 1668 Fällen war eine Intensivberatung notwendig, dabei handelte es sich um 1230 Schuldner- und 438 Insolvenzberatungen.
"2005 wandten sich 1160 Personen mit der Bitte um eine Beratung an uns. Voriges Jahr hatten wir 5004 Anfragen dieser Art", so Danker weiter. In den vier Büros klingelt das Telefon im Durchschnitt mehr als 100 Mal - und zwar pro Tag. Der Stellenplan der Awo sieht allerdings nur 4,6 Schuldnerberater vor, lediglich zwei Kräfte verfügen über eine Vollzeitstelle. In der Verwaltung gibt es 1,8 Stellen. Danker: "Wir arbeiten alle am Limit."
Die Folge: Die Hilfesuchenden ärgern sich über lange Wartezeiten und die Berater bekommen "den Frust und die Aggression zu spüren", so Danker. Er hat seine Mitarbeiter inzwischen zu Selbstverteidigungskursen geschickt und angewiesen, dass im Empfangsbereich keine Scheren herumliegen, um Eskalationen zu vermeiden.
"Die Fälle und die Personen, mit denen wir es zu tun haben, werden immer komplexer", klagt Mechtild Kuiter-Pletzer, die für Halstenbek, Rellingen und Schenefeld zuständig ist. Die Zahl der Schuldner, die unter psychischen Problemen leiden, nimmt stark zu. Das führt zu zeitaufwendigeren Beratungen und häufigeren persönlichen Kontakten. Jeder fünfte Schuldner steht inzwischen unter Betreuung, was die Arbeit der Awo-Mitarbeiter nicht gerade vereinfacht. "Hinzu kommt oft eine unrealistische Erwartungshaltung der Hilfesuchenden. Die denken, wir haben sofort Zeit für sie und nehmen ihnen alles ab", so Danker.
Immer häufiger taucht in der Schuldnerberatung eine Altersgruppe auf, die früher kaum vertreten war: Senioren. "Wir werden immer stärker mit Altersarmut konfrontiert", sagt Kuiter-Pletzer. Die massiv gestiegenen Energie- und Lebenshaltungskosten sorgen nach Beobachtung der Berater dafür, dass vielen älteren Menschen finanziell das Wasser bis zum Hals steht. "Die haben jahrzehntelang ihre Raten immer bezahlen können. Aber jetzt, wo sie nur eine kleine Rente bekommen, aus gesundheitlichen Gründen keinen Minijob mehr ausüben können oder der Partner gestorben ist, wird es kritisch", sagt die Schuldnerberaterin.
Häufig könne sie außer einigen tröstenden Worten keinen Ratschlag erteilen, so Kuiter-Pletzer. Eine Reduzierung der Ausgaben sei in den meisten Fällen nicht möglich - und Instrumente wie eine Privatinsolvenz greifen nicht. Kuiter-Pletzer: "Das ist auch für uns Berater traurig und frustrierend."
10.500 Haushalte im Kreis Pinneberg gelten als überschuldet
Schätzungen der Awo-Beratungsstelle zufolge sind 10.500 Haushalte im Kreis Pinneberg überschuldet. Überschuldet heißt, dass die Ausgaben der Haushalte ihre Einnahmen deutlich übersteigen. "Es gibt die Verschuldung, die gewollt ist und den Wirtschaftskreislauf ankurbelt. Etwa wenn ein Haus gekauft oder ein Auto geleast wird", sagt Danker. Doch immer dann, wenn der Schuldner seinen Job verliert oder es zu einer Trennung oder Scheidung kommt, breche schnell die sicher geglaubte Finanzierung zusammen. Dann folge oft der Gang zur Schuldnerberatung oder in die Insolvenz.
Die Awo-Schuldnerberatung mit ihrem Hauptsitz in Elmshorn besteht bereits seit 28 Jahren. Diesen Teil der Arbeit finanziert der Kreis mit einem Betrag von 140.000 Euro pro Jahr. "Der Vertrag mit dem Kreis konnte bis 2016 verlängert werden, der Jahresbeitrag hat sich leider nicht erhöht", so Danker weiter. Seit Einführung der Privatinsolvenz vor 13 Jahren ist die Beratungsstelle auch in diesem Bereich aktiv. Diese Arbeit finanziert das Sozialministerium des Landes mit einem Jahresbeitrag in Höhe von 200.000 Euro. Dritte Säule der Finanzierung ist ein freiwilliger Beitrag des Sparkassen- und Giroverbandes. Aus diesem Topf erhält die Awo 35.000 Euro im Jahr.