Zum Internationalen Frauentag kritisiert Rellingens Gleichstellungsbeauftragte Dorathea Beckmann die Familienpolitik
Kreis Pinneberg . Aufreger Minijob. Kaum ein Thema treibt Rellingens Gleichstellungs- und Familienbeauftragte Dorathea Beckmann, 56, so nachhaltig auf die Barrikaden wie die 450-Euro-Beschäftigungsverhältnisse. "Minijobs sind frauenfeindlich, weil sie den Einstieg in auskömmliche Vollzeit- oder sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeitsverhältnisse und die eigenständige Existenzsicherung der Frauen verhindern", sagt Beckmann, mit fast 18 Amtsjahren die Dienstälteste der Gleichstellungsfrauen im Kreis Pinneberg. Ein Jahr Minijob bringe drei Euro Rente, rechnet sie vor. "Wir als Gleichstellungsbeauftragte fordern die Abschaffung der Minijobs."
Überhaupt ist der studierten Theologin Beckmann zufolge auch 102 Jahre nach dem ersten Internationalen Frauentag in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA am 8. März 1911 noch lange nicht alles paletti in Sachen weiblicher Gleichberechtigung.
Den Frauenrechtlerinnen geht es um gleiche Chancen
Der Frauentag sei weit mehr als ein Gedenktag, um die Errungenschaften der Vormütter gebührend zu feiern. "Am 8. März blicken wir auch über den Tellerrand, beschäftigen uns mit den Ungerechtigkeiten in anderen Ländern", sagt die kämpferische Fachfrau. "Die hohe sexuelle Gewalt in Indien, die schlechten Bildungschancen für Mädchen in Afghanistan, die Genitalverstümmelung in vielen afrikanischen Ländern." Und Deutschland? "Wir sind noch weit davon entfernt, dass alle Menschen die gleichen Rechte bekommen." Dabei gehe es den Frauenrechtlerinnen nicht um Gleichmacherei, sondern um gleiche Chancen, die Möglichkeiten und Fähigkeiten jedes Menschen zu entwickeln. Und es geht um auf den ersten Blick so antiquiert wirkende Forderungen wie gleicher Lohn für gleiche Arbeit. "So lange im Hamburger Abendblatt in der Rubrik 'Beruf & Erfolg' noch immer 52 Mal pro Jahr eine Tabelle mit den unterschiedlichen Einkommen von Männern und Frauen veröffentlicht wird, so lange haben wir dieses Thema noch", sagt Dorathea Beckmann.
Sie fordert eine Politik, in der Frauen sich nicht mit 450-Euro-Jobs abspeisen lassen müssen, sondern ihre Existenz eigenständig absichern können, unabhängig von Ehepartner oder Vater Staat. "Der Ausbau der Ganztagsschulen ist ein unumgänglicher Baustein für eine wirkliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf", sagt Beckmann. Denn vor allem dann, wenn die Kinder eingeschult würden, komme es zu finanziell folgenschweren Brüchen in der weiblichen Erwerbsbiografie. "Im Kita- und Grundschulbereich ist in Sachen verlässlicher Betreuung in den vergangenen Jahren viel passiert. Als ich hier vor 18 Jahren anfing, war das Thema Krippenplätze absolut tabu in Rellingen. Heute hat die Gesellschaft erkannt, dass es ein volkswirtschaftlicher Gewinn ist, wenn qualifizierte Frauen auch zur Arbeit gehen", bilanziert Beckmann. "Da ist auch ein Umdenken in den Betrieben und unter den Männern gefragt."
Renommierte Wissenschaftler stützen Beckmanns Thesen. 2011 kam die Sachverständigenkommission des Familienministeriums in ihrem ersten Gleichstellungsbericht für die Bundesregierung zu dem Schluss, dass es sich volkswirtschaftlich nicht rechne, das Fachwissen teuer ausgebildeter Frauen erstens nicht zu nutzen und zweitens auf deren Beiträge zu Sozialkassen und Steueraufkommen zu verzichten.
Wie die Wissenschaftler kritisiert Beckmann außerdem die widersprüchlichen familienpolitischen Anreize. Einerseits werde viel Geld in die Hand genommen, um verlässliche Betreuung in Kita und Schule auszubauen und damit die gleichwertige Teilhabe am Erwerbsleben zu fördern. Andererseits setzten Ehegattensplitting, Sozialversicherungen gering verdienender Frauen über den Ehepartner und Minijobs starke Anreize für verheiratete Frauen, nicht oder nur geringfügig beschäftigt zu sein. Sozialforscherin Jutta Allmendinger hat errechnet, dass Männer nicht nur 23 Prozent mehr als Frauen verdienten, sondern der Unterschied - aufs ganze Erwerbslebens gesehen - sogar doppelt so groß sei. Das zeige sich dann besonders dramatisch bei der Rente.
Heiraten lohnt sich für Frauen immer noch mehr als selbst Geld zu verdienen
2011 habe die durchschnittliche Witwenrente in Westdeutschland 226 Euro über der selbst erarbeiteten weiblichen Regelaltersrente gelegen. Allmendingers Fazit: Heiraten lohne sich hierzulande für Frauen immer noch mehr als selbst Geld zu verdienen.
Beim zweiten großen Themenkomplex der Gleichstellungsbeauftragten, dem Schutz vor häuslicher Gewalt, hat sich Beckmann zufolge die gemeinsame Arbeit in den vergangenen Jahren ausgezahlt. Vor allem die Vernetzung der beteiligten Institutionen - Beratungsstellen, Polizei, Krankenhäuser, soziale Dienste - habe die Lage der betroffenen Frauen spürbar verbessert und dazu beigetragen, das Thema aus der Tabu-Ecke zu holen. Gerade vor diesem Hintergrund sei sie erleichtert darüber, dass jetzt die Existenz des von der Schließung bedrohten Wedeler Frauenhauses gesichert sei.
Für die Zukunft möchte Beckmann mit ihren Angeboten gerade Migrantinnen, Mütter mit kleinen Kindern und sehr junge Frauen besser erreichen. "Junge Frauen kommen selten zu unseren Veranstaltungen. Ihr Feminismus findet vor allem im Internet statt - wie etwa bei der 'Aufschrei'-Kampagne nach dem Brüderle-Übergriff", sagt die Gleichstellungsbeauftragte.