Am kommenden Sonntag wird das neue Zentrum der Jüdischen Gemeinde am Flamweg feierlich von Landesrabbiner Walter Rothschild eingeweiht.
Elmshorn. Alisa Fuhlbrügge las die Zeitung. Drei Stunden noch, dann musste sie für mehrere Wochen ins Krankenhaus. Doch wie magisch zog sie das Kleingedruckte über eine Wohnung am Flamweg in Elmshorn an. Schräg gegenüber der ehemaligen Synagoge, die während der Reichspogromnacht am 9. November 1938 niedergebrannt wurde. Das Mahnmal für die Synagoge steht ebenfalls am Flamweg. Drei Stunden hatte sie noch Zeit. Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Elmshorn rief den Makler an. Der war sofort bereit, ihr die Wohnung zu zeigen.
Eine Wohnung in der Belletage eines Hauses, gebaut 1890. Mit hohen, miteinander verbundenen Räumen, aus denen sie einen großen Saal machen könnte. Mit einem Erker, bis unter die Stuckdecke verkleidet mit Paneelen aus dunklem Holz und mit Glasfenstern, in denen bleiverglaste Weintrauben, eine der sieben heiligen Arten im Judentum, im Jugendstil eingearbeitet sind. Doch das Schönste: Die Paneele wird mit einem Relief aus geschnitzten Davidsternen gekrönt, und der Erker weist nach Jerusalem, für Juden die heilige Stadt, in deren Richtung sie beten. Ein ehemaliger Betraum also? Auf jeden Fall der ideale Platz für den Thoraschrank der Jüdischen Gemeinde Elmshorn.
"Hier war das Elmshorner Grindelviertel, hier in dieser Wohnung soll beispielsweise der Vieh- und Lederhändler Louis Mendel gewohnt haben", sagt Alisa Fuhlbrügge. Sie beriet sich mit Walter Blender, dem Landesvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Schleswig-Holstein. Auch er war begeistert.
Alisa Fuhlbrügge, die seit 20 Jahren in Elmshorn lebt und als Schul-Rektorin gearbeitet hat, konnte auch Sponsoren und die Stadt Elmshorn überzeugen, dass diese Wohnung das richtige Domizil für die Jüdische Gemeinde ist. So kann die Miete von der Gemeinde, die sich am 8. November 2003 wieder gründete, getragen werden.
Die Gemeindemitglieder renovierten die Wohnung mit viel Tatkraft, beseitigten eingezogene Decken, legten Schiebetüren frei, befreiten Jugendstil-Fliesen in der Küche vom Putz, richteten ein Zimmer für den Kantor Eliya Schwarz aus Halle ein und ein Büro mit Unterrichtsraum.
Mit viel Liebe und Sorgfalt gestalteten sie den Kidduschraum, der beispielsweise für die Schabbat-Feier am Freitagabend genutzt wird, und den Betsaal mit der Nische für den Thoraschrank, Geschenk einer Wiener Gemeinde. Daneben steht die Bima, der Tisch, auf den die Thora während des Gottesdienstes gelegt wird. Die Bänke im Betsaal hat der Zentralrat der Juden in Deutschland gespendet. An den Wänden hängen von einer Elmshorner Behindertenwerkstatt eindrucksvoll gemalte Bilder mit Chanukkaleuchtern.
"Das ist richtig festlich", sagt Alisa Fuhlbrügge und freut sich über die große Unterstützung von Stadt, Sponsoren und Handwerksbetrieben, die bei der Renovierung so manche Leistung gesponsert haben.
"Die Jüdische Gemeinde in Elmshorn war immer arm", erzählt die Vorsitzende, die auch Religions- und Geschichtsunterricht gibt. 1685 erhielt Behrend Levi einen Schutzbrief von Detlev Graf zu Rantzau. 1688 soll sich die erste Jüdische Gemeinde in Elmshorn gegründet haben. "Juden haben hier aber wohl schon immer gelebt", sagt Alisa Fuhlbrügge. Doch ein Hausier-Verbot stürzte Elmshorns Juden in Armut; es war verboten, mit Bauchladen und Kiepe auf Verkaufstour zu gehen. Wer zum Mittelstand gehörte, unterstützte deshalb die anderen Gemeindemitglieder. "Die Mittelständler waren auch gut in Elmshorns Gesellschaft engagiert, im Gesangverein oder bei der Feuerwehr", sagt Fuhlbrügge, die die jüdische Geschichte Elmshorns mit Akribie erforscht hat und auch den Schlüssel zum alten jüdischen Friedhof an der Feldstraße verwahrt.
"Der Friedhof ist dank eines mutigen Menschen im Kieler Ministerium vor den SS-Schergen gerettet worden", sagt Fuhlbrügge. Die Elmshorner SS wollte den Friedhof schleifen und zu einem Park umbauen. Doch der mutige Mensch in Kiel verschleppte geschickt die Genehmigung. "Das war ein Held", sagt Fuhlbrügge.
1863, als die Emanzipation der Juden Holstein erreichte und sie in Städten ihrer Wahl leben und arbeiten durften, zog es auch die Elmshorner Juden in deutlich größere Städte wie Altona, Hamburg, Lübeck und Kiel. Damit sank die Zahl der Juden in kleineren Orten. 1838 lebten noch 204 Juden in Elmshorn. 1924 waren es nur noch 100 Personen, 1932 noch 80, und 1933 waren es 56 Mitglieder. Das Hitler-Regime deportierte in der Reichspogromnacht fast alle jüdischen Männer ins KZ Sachsenhausen. 1940 lebten noch acht Juden in der Stadt, darunter Albert Hirsch, der sich später erhängte. Am 22. November 1943 vermeldete die Stadt Elmshorn, sie sei nun "judenfrei".
"Einer der letzten Elmshorner Juden, Kobi Oppenheim, kam nach Ende der Hitler-Diktatur aus New York zurück, fand in der Ruine der Synagoge die Reste einer Thorarolle und begrub sie auf dem jüdischen Friedhof", erzählt Fuhlbrügge. Thorarollen, die die Texte der fünf Bücher Moses enthalten, dürfen nach den jüdischen Gesetzen nicht vernichtet werden, sondern müssen begraben werden.
Fast immer war das jüdische Leben in Elmshorn liberal geprägt, dies allein schon durch die geringe Zahl der Mitglieder und durch die Diaspora-Stellung mitten in Schleswig-Holstein. So befürwortete der einstige Elmshorner Vorstand sogar die Feuerbestattung und machte aus der Not heraus aus der Mikwe, dem rituellen Tauchbad, einen Kohlenkeller.
Jetzt richtet sich im alten Elmshorner jüdischen Viertel wieder eine neue Gemeinde ein. Am Sonntag, 28. Oktober, weiht Schleswig-Holsteins Landesrabbiner Walter Rothschild die Synagoge ein. "Wir haben jahrelang auf dem Hinterhof gelebt, aber jetzt sind wir wieder dort angekommen, wo immer jüdisches Leben in Elmshorn war. Fast immer", sagt Alisa Fuhlbrügge.
Die Einweihung der neuen Synagoge am Flamweg 4 in Elmshorn am Sonntag, 28. Oktober, von 16 Uhr an ist öffentlich. Sie wird geleitet von Schleswig-Holsteins Rabbiner Walter Rothschild, für Musik sorgt die Gruppe Mizwa aus Hannover.