Seit 60 Jahren gibt es die Schiffsbegrüßungsanlage Willkomm-Höft. Seit zehn Jahren empfängt Eckhart Bolte den Besuch. Er erklärt, wie's funktioniert.
Wedel. Es gibt Momente, in denen läuft Eckhart Bolte immer noch ein Schauer über den Rücken. Zum Beispiel, wenn die Queen Mary 2 wie an diesem Sonntag an Wedel vorbeizieht. Dabei ist der Uetersener ein Routinier unter den sechs Begrüßungskapitänen. Fünfmal pro Monat steht der 64-Jährige am Mikro der Begrüßungsanlage Willkomm-Höft. Seit zehn Jahren macht er diesen Job. Seine Aufgabe ist es, die ein- und auslaufenden Schiffe im Auge zu behalten und im richtigen Moment gebührend zu empfangen oder zu verabschieden.
In dem kleinen Raum des Schulauer Fährhauses stehen ihm dafür drei Webcams und ein digitales System zur Verfügung, das ihm die genaue Lage der Schiffe auf der Elbe und im Hafen anzeigt. Fällt es aus, was alle zwei Monate einmal vorkommt, bleibt der Blick aus dem Panoramafenster auf die Elbe und die Daten, die der Schiffsmeldedienst übermittelt. Wenn einer der großen Pötte Wedel passiert, ist Bolte gefragt.
Er dippt mittels Knopfdruck die Hamburger Flagge, die vor dem Fährhaus im Wind weht. "Das ist wie früher, als der Bauer sich vor dem König verneigte, bis er fort war", erläutert er. "Wenn Schiffe sich begegnen, dann grüßt das kleinere das größere, indem es die Flagge senkt bis das andere Schiff reagiert oder außer Sicht ist. In unserem Fall sind wir das kleinere Schiff." Bolte räumt auch gleich mit einem Irrglauben auf: "Viele denken, wir würden hier die Schiffe mit dem Hissen der jeweiligen Nationalflagge begrüßen. Das ist Quatsch und war auch nie so."
Dafür spielt die Begrüßungscrew aber die jeweilige Nationalhymne. 153 dieser Hymnen sind - ganz traditionsbewusst - auf Kassetten festgehalten, die griffbereit in einem Bord an der Wand ihrem großen Moment harren. Auf jedem Band ist auch der Satz festgehalten, den NDR-Hörfunkreporter Hermann Rockmann mit seiner markanten Stimme zur Begrüßung der Schiffe vor Jahrzehnten einsprach: "Willkommen in Hamburg, wir freuen uns, Sie in unserem Hafen begrüßen zu können."
+++ Lärmschutz geht vor: Die Königinnen kommen, doch am Willkomm-Höft bleibt's ruhig +++
In diesem Jahr feiert die in dieser Form weltweit einzigartige Anlage ihren 60. Geburtstag. Die Nautische Kameradschaft Hansea hat die Patenschaft inne. Die Idee geht aber auf den Betreiber des Fährhauses, Otto Friedrich Behnke zurück. Er installierte die "Schiffsanquasselanlage", wie sie in der Nachbarschaft auch heißt, am 11. Juni 1952. Es dauerte allerdings einen Tag lang, bevor das erste Schiff begrüßt werden konnte. Denn erst dann steuerte der Japaner "Akagi Maru" den Hamburger Hafen an. Seitdem wurden 700 000 Schiffe begrüßt.
Ein Tag lang völlige Schiffs-Ebbe auf der Elbe? Heute undenkbar. In 24 Stunden passieren etwa 40 bis 50 Schiffe von mehr als 1000 Gross Tons, der gewichteten Bruttoraumzahl, den Wedeler Anleger. Allerdings wird nicht jedes von ihnen von Bolte und Co. in Empfang genommen oder auf große Fahrt verabschiedet. Pech hat, wer nachts ein- oder ausläuft. Denn aus lärmschutztechnischen Gründen dürfen die Begrüßungskapitäne nur in der Zeit von 8 bis 20 Uhr ihres Amtes walten. Mit Folgen: Einst spielte ein Begrüßungskapitän eine Hymne um 19.59 Uhr an. Die Hymne endete um 20.02 Uhr - und das gab Ärger: 1000 Euro Strafe kostete es das Fährhaus.
Überhaupt, das Thema Lautstärke bewegt die Gemüter rund um den Willkomm-Höft. War es den Nachbarn einst zu laut, so sorgen die neuen, leiseren Töne auch für Unmut. Denn im Zuge der Umbauarbeiten am Fährhaus, das Familie Behnke jüngst in die Hände des neuen Betreibers René Schillag legte, wurden auch die Lautsprecher ausgetauscht. Statt ehemals 175 Watt haben die neuen 30 Watt. "Früher konnten wir eine Strecke von 300 Metern beschallen, jetzt hören uns die Schiffe nur, wenn sie direkt auf Höhe des Anlegers sind", sagt Bolte traurig.
Zu seinem Job kam er durch einen Zeitungsartikel. Der leidenschaftliche Schiffsmodellliebhaber las von den Nachwuchsproblemen der Begrüßungscrew. Der damalige Firmeninhaber bewarb sich spontan. Nach einem Gespräch mit dem Ältermann, dem gewählten Gruppensprecher, war er mit an Bord. Wahrscheinlich überzeugte Bolte mit seinem Wissen. Immerhin produzierte er mehr als 30 Jahre lang mit seiner Uetersener Firma Miniatur-Schiffe aus Zinnguss. Sein erster Kunde: der Hamburger Peter Tamm, dessen Sammlung heute im Internationalen Maritimen Museum zu sehen ist.
Während Bolte all dies erzählt, greift er plötzlich zum Mikro. Der avisierte Däne ist da. Während die Nationalhymne ausklingt, erläutert der Begrüßungskapitän den Besuchern am Willkomm-Höft, welches Schiff hier gerade vorbeifährt, was es wiegt, woher es kommt. Die Details stammen aus dem Archiv. Auf 17 000 Karteikarten sind die Fakten fast ausschließlich handschriftlich festgehalten.
Für ihren Job bekommen die Kapitäne eine Aufwandsentschädigung von 400 Euro monatlich. Aber wegen des Geldes macht es Bolte nicht. Es sind die besonderen Momente, die ihn belohnen. Er erinnert sich, wie die Queen Mary 2 nachts einlief, und Bolte eines der größten Passagierschiffe der Welt gebührend empfangen wollte. Um Lärm zu vermeiden, versuchte man, mit Lichtsignalen der Außenanlage zu grüßen. Der Kapitän der Queen Mary reagierte auf den Lichtcode. Dreimal gab er ein Hornsignal. "Das ist jedes Mal wie ein Erdbeben", sagt Bolte. Da war es dann auch egal. Bolte spielte die britische Hymne an. Zum Dank gab es noch ein Hornsignal. Dreimal. An diesem Sonntag wird die Queen wieder Wedel passieren - leider gegen 5 Uhr nachts.