Der tote Vater erhielt Post von der Behörde. Bei der Wohnungszählung griff das Statistikamt auf Daten der Müllabfuhr zurück.
Uetersen. Dieser Brief machte Doris Krome aus Uetersen stutzig: Kurz vor Silvester, am 29. Dezember 2010, erreichte ihre Mutter, die bei Schleswig wohnt, ein Brief vom Statistischen Amt. Die mittlerweile 86-Jährige sollte im Rahmen des Zenus 2011, der Volkszählung, Angaben zu ihrem Haus machen. Doch nicht nur sie sollte der Behörde Rede und Antwort stehen: Auch der seit zwei Jahren verstorbene Vater bekam Post. Obendrein war der Name der Seniorin falsch geschrieben, und das Haus gehört mittlerweile der Tochter Doris. Die ältere und nun verunsicherte Dame ist lediglich noch Bewohnerin und hat mit der Zählung nichts zu tun. Ihre Tochter ist fassungslos. "Wir kann so etwa passieren", fragt sich Doris Krome und ruft beim Statistischen Amt an.
Die Antwort, die sie bekam, bringt nun die Zensus-Behörde in arge Bedrängnis. Laut Krome berichteten ihr Mitarbeiter der Behörde, sich der Daten von Müllabfuhr und Schornsteinfegern bedient zu haben. Diese Abfragen sind durch das eigens für die Zählung verabschiedete Zensus-Gesetz zum Teil allerdings gar nicht gedeckt. Grundlage für die Anschreiben zur Wohnungs- und Gebäudezählung, die in Hamburg und Schleswig-Holstein etwa eine Million Personen bekamen, waren laut Behörde höchstens Versorgungs- und Entsorgungsbetriebe wie Müllabfuhr und Straßenreinigung. "Diese Antwort hat mich mehr als überrascht", sagt Doris Krome. Schließlich hätten Liegenschaftskataster, Grundsteuer- und Grundbuchämter wesentlich verlässlichere und aktuelle Daten. Thilo Weichert, Landesdatenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein hält diese Erhebungsmethoden für fragwürdig. "Beim Schornsteinfeger anzufragen, bei der Müllabfuhr und nicht bei den jeweils zuständigen Behörden ist unseriös und zweifelhaft. Ich kann das Vorgehen nicht verstehen", kritisiert Weichert im Gespräch mit dem Abendblatt. Nach seiner Einschätzung verstößt gerade die Anfrage beim Schornsteinfeger gegen das ohnehin "katastrophale" Zensus-Gesetz. Es sei ohnehin ein bürokratisches, bürgerunfreundliches Ungetüm.
Das Statistikamt bedauert den Vorfall und bestätigt, sich zahlreicher Quellen bedient zu haben. "Wir haben allerdings festgestellt, dass sie zum großen Teil veraltet und fehlerhaft waren. Daten von Schornsteinfegern wurden nicht abgefragt", sagt Jürgen Delitz, Sprecher des Statistischen Amtes für Hamburg und Schleswig-Holstein. Auch die Innung der Schornsteinfeger in Schleswig-Holstein schließt eine Weitergabe von Daten aus. Doch der Zensus-Fauxpas von Doris Krome ist damit nicht erledigt. Auch sie selbst bekam Post mit vollständig falschen Daten zu ihren Immobilien. Mal waren die Besitzverhältnisse falsch, mal stimmte die Anschrift nicht. Auf Briefe bekam Krome keine Antwort, bei Anrufen sprang das Faxgerät an. Im Mai kamen denn endlich die ersten Bögen zur Wohnungs- und Gebäudezählung. Auch sie waren komplett falsch. Für die Behörde noch viel ärgerlicher: der im Schreiben angegebene Stichtag war der 9. Mai, der Brief kam aber erst am 23. Mai bei Krome an. Als die Post gerade auf dem Weg zum Amt war, trudelte auch schon die erste Mahnung bei Krome ein.
Wieder waren die Telefonleitungen der Zensus-Hotline überlastet. "Bei diesem Chaos habe ich Angst um die vielen sensiblen Daten, die ich über die Mieter meiner Häuser und mich machen musste", sagt sie. Diese Bedenken teilt auch Datenschutzbeauftragte Weichert. "Vor allem bei der Übermittlung und Verarbeitung auf kommunaler Ebene gibt es zahlreiche Probleme. Ich kann nicht ausschließen, dass sensible Daten so gefährdet sind", sagt er. "In einer Zeit, in der so viele Daten frei zugänglich sind, finde diese Zwangserhebung in Gänze befremdlich", kritisiert Weichert.