76-Jähriger verletzt in Halstenbek einen Fußgänger und überfährt anschließend eine Radfahrerin. Die Frau schwebt in Lebensgefahr.

Halstenbek. Der Schreck sitzt tief. "Uns hat es fast erwischt", sagt Erika Siebert. Die 68-Jährige und ihr Mann Wolfgang, 67, hatten sich am Montagabend gegen 18 Uhr gerade von ihrem Schwiegersohn verabschiedet, als ein Mercedes von der Hauptstraße in die Gustavstraße einbog und einen Mann anfuhr. Dann raste der Wagen weiter und erwischte eine Radfahrerin,. "Die schwarz gekleidete Frau flog meterweit durch die Luft und blieb dann regungslos liegen", sagt die Halstenbekerin, die selbst jahrelang in der Notaufnahme gearbeitet hat.

Schwiegersohn Jörg Wiedemann, der alles vom Balkon seiner Wohnung aus gesehen hatte, rief sofort Polizei und Feuerwehr. Wolfgang Siebert rannte zu der Radfahrerin, um Erste Hilfe zu leisten. Nach 30 Jahren als Rettungsassistent sitzt bei ihm jeder Handgriff. "Bei der schweren Kopfverletzung und den Knochenbrüchen konnte ich aber nicht viel tun und musste auf den Rettungswagen warten", sagt er. "Da glaubt man, so was mit der Rente hinter sich zu lassen und dann das." Ein anderes Ehepaar kam zur Hilfe, brachte eine Decke.

Das Fahrrad landete zunächst auf dem Auto. "Es war in zwei Teile gerissen", sagt Wolfgang Siebert. Doch statt zu bremsen, trat der Unfallfahrer das Gaspedal durch. "Er knallte gegen das Rathausschild, drehte sich und fuhr in den Bauzaun", sagt Erika Siebert. Sie half zunächst dem angefahrenen Fußgänger, der eine Platzwunde am Kopf hatte. Herbeieilende Passanten beschimpften den Unfallfahrer und riefen: "Er haut ab." Da lief Erika Siebert zu dem Mann. "Er war verwirrt und wiederholte ständig, dass er doch gebremst hätte." Er habe aber - so berichten mehrere Zeugen - soviel Gas gegeben, dass der Motor laut aufheulte und das Auto einen Satz machte. Erika Siebert betreute ihn, bis der Rettungswagen kam. "Er stand unter Schock und zitterte. Ihm war nicht bewusst, dass er zwei Menschen überfahren hatte."

Nach Abendblatt-Informationen soll der 76-Jährige, der in Halstenbek ein Geschäft führt, nicht an organischen Erkrankungen leiden. Der Unfallhergang ist geklärt. Der 76-jährige Autofahrer hatte beim Linksabbiegen den 58-jährigen Fußgänger aus Halstenbek, der die Fahrbahn in Richtung Poststraße querte, übersehen. Dann verwechselte der Senior bei dem Automatikfahrzeug offenbar Gas und Bremse. Der Mercedes wurde stark beschleunigt, kollidierte in Höhe der VR-Bank mit der 58-jährigen Radfahrerin aus Halstenbek. Sie zog sich lebensgefährliche Kopfverletzungen zu und wurde ins künstliche Koma versetzt. Der Unfallverursacher wurde am Mittwoch aus dem Krankenhaus entlassen.

Die Polizei hat das Fahrzeugwrack sichergestellt, ein Unfallsachverständiger ist eingeschaltet. Der Führerschein des 76-Jährigen ist beschlagnahmt. Gegen ihn wird wegen Gefährdung des Straßenverkehrs ermittelt.

Ältere Verlehrsteilnehmer sind nicht überproportional an Unfällen beteiligt

Geht von Senioren am Steuer eine generelle Gefahr aus? Polizeisprecherin Sandra Mohr hält dagegen und sagt, dass ältere Autofahrer nicht überproportional an Unfallgeschehen beteiligt sind. Auf diesen Punkt weist auch Hermann Fedrowitz, Abteilungsleiter Verkehr und Technik beim ADAC Schleswig-Holstein, hin. So seien gerade Personen, die über eine jahrelange Fahrpraxis verfügen, erfahrener und besser in der Lage, auf Krisensituationen zu reagieren als Fahranfänger.

Auch Ralf Buchstaller, Leiter der medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle vom TÜV in Hamburg, lehnt Verallgemeinerungen ab. "Das Bild der älteren Autofahrer wird leider geprägt von schlimmen Unfällen", sagt der Verkehrspsychologe. Wichtig sei, dass alle Autofahrer, egal ob alt oder jung, ihre Leistungsfähigkeit einschätzen lernen und entsprechend handeln. "Junge Leute überschätzen sich oft. Ältere fahren nur wenig Auto und stellen deswegen ein höheres Risiko dar."

Senioren, die nur noch selten hinter dem Steuer sitzen, sollten nicht mehr nachts oder im Dunkeln autofahren, die Hauptverkehrszeiten meiden oder etwa auch bei strömenden Regen ihr Fahrzeug stehen lassen. Verbindliche Untersuchungen von Senioren bezüglich ihrer Fahrtüchtigkeit lehnt Buchstaller ab. "Das wäre Altersdiskriminierung." Tests auf freiwilliger Basis seien dagegen begrüßenswert.

Ein Blick in die Verkehrsstatistik von 2010 zeigt, dass zwar ältere Autofahrer nicht besonders oft an Unfällen beteiligt sind. Auffällig ist allerdings, dass 2010 von den sechs Unfällen im Kreis Pinneberg, bei denen Menschen ihr Leben ließen, fünf von Senioren am Steuer verursacht worden sind. Ein besonders krasser Fall ereignete sich vor elf Jahren auf der A 23, als eine 86-jährige Geisterfahrerin frontal mit dem Wagen einer 53-Jährigen zusammenstieß. Beide kamen ums Leben.