Ohne die Hilfe des Weißen Rings hätte die 32-jährige Elmshornerin ihr schweres Schicksal nicht meistern können.
Elmshorn/Hamburg. Es war der 29. April 2000. Ein Tag, der das Leben von Yvonne H. (damals 23) völlig veränderte. Die Erzieherin einer Elmshorner Kindertagesstätte wurde bei der Explosion einer Splitterhandgranate in der Hamburger Disco "J's" an der Feldstraße schwer verletzt. 2500 Stahlkugeln schossen durch den Tanztempel. Drei davon stecken noch heute im Körper der jungen Frau, die seit dem Anschlag von der Opferschutzorganisation "Weißer Ring" unterstützt wird.
"Ohne den Weißen Ring hätte ich das alles nicht geschafft", sagt die heute 32-Jährige rückblickend. Neun Jahre danach lebt sie ein annähernd normales Leben. Bis dahin war es allerdings ein weiter Weg.
"Jeder Straftäter, der ins Gefängnis wandert, bekommt sofort psychologische Betreuung", sagt Angelika Meusel vom Weißen Ring, Kreisgruppe Pinneberg. Bei Opfern sei dies nicht so. So musste Yvonne H. neun Monate warten, bis ein Platz frei wurde - und landete in einer Einrichtung, die nicht auf ihre Problematik spezialisiert war.
Der Kampf mit dem zuständigen Versorgungsamt Hamburg füllt ganze Aktenordner. Ihren erlernten Beruf kann die 32-Jährige nicht mehr ausüben. Eine Stahlkugel steckt im Herzen, ihre Lungenleistung liegt bei unter 80 Prozent. Eine weitere Kugel sitzt im Rückenmark ("Manchmal kann ich dadurch schlecht laufen"), eine dritte in der Nähe vom Schultergelenk. "Das führt dazu, dass ich meinen linken Arm schlecht bewegen kann", so Yvonne H.
Sieben Jahre vergingen, ehe sich das Versorgungsamt bereiterklärte, die Kosten der Umschulung zur Heilpraktikerin zu tragen. Ein erster Wunsch der 32-Jährigen, die zunächst den Berufswunsch Logopädin angegeben hatte, wurde mit Hinweis auf mögliche psychische Schäden, entstanden durch den Handgranatenanschlag, abgelehnt. "Dann wurde ich zum Arbeitsamt geschickt, das testen wollte, ob ich überhaupt fähig bin, einen Job zu machen."
Immer wieder, so beklagt Yvonne H., gehen Briefe an das Versorgungsamt verloren. Eine Opferrente in Höhe von monatlich 108 Euro bekam sie nur zwei Jahre lang. Sie wird inzwischen nicht mehr gezahlt, weil die 32-Jährige in zu unregelmäßigen Abständen einen Psychologen aufsucht. Die Zuzahlungen für die Schmerzmittel, auf die Yvonne H. seit der Tat angewiesen ist, zahlt sie aus eigener Tasche.
Zwei bis dreimal pro Woche muss die junge Frau zur Krankengymnastik. Mit großen Menschenmengen hat sie noch heute Probleme. Wenn sie ihren zwei Kindern zuliebe ins Kino geht, sitzt sie dicht am Notausgang. "Am liebsten halte ich mich Zuhause auf." Hausarbeit wie Putzen und Bügeln erledigt ihre Schwiegermutter oder ihr Mann.
Zwölf Jahre neun Monate: So lautete im Februar 2001 das Urteil gegen Cüneyt D., der die Handgranate in der Disco versteckte. Yvonne H. war Nebenklägerin in dem Verfahren, hat gemeinsam mit ihrer Betreuerin Angelika Meusel jeden Prozesstag besucht. Die beiden Frauen sind Freundinnen geworden. "Viele Freunde von früher sind nicht mehr übrig geblieben", sagt Yvonne H. Sie hat Angst vor dem Tag, an dem der Attentäter aus dem Gefängnis freikommt. Bei guter Führung dürfte dieser Tag nicht mehr lange entfernt sein.