Norderstedt. Dirk Bruster sah das Endspiel im Lusail Iconic Stadium. Welche Impressionen er von der umstrittenen Weltmeisterschaft mitbrachte.

Von diesem Erlebnis wird er wohl noch seinen Enkelkindern berichten. Der ehemalige Norderstedter Stadtvertreter und Schmuggler des Jahres 2007, Dirk Bruster, verfolgte als einer von 88.966 Zuschauern das ausverkaufte Finale der Fußball-WM zwischen Argentinien und Frankreich (4:2 im Elfmeterschießen) im Lusail Iconic Stadium.

„Es gibt drei Ereignisse in meinem Leben die ich nie vergessen werde: Meine Hochzeit, die Geburt unserer Kinder und die Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 in Berlin, als ich vor dem Reichstag dabei war, als die Deutschland-Fahne hochgezogen und die Wiedervereinigung gefeiert wurde. Es war der Wahnsinn, mit einer Million Menschen zu feiern.“

Fußball-WM: Als Zuschauer im Argentinien-Block

Das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft war für ihn zwar nicht vergleichbar, aber nah dran. „So etwas macht man im Leben nur einmal mit. Und dann saßen wir auch noch im Argentinien-Block. Drei Viertel der Fans waren für die Südamerikaner.“

Dirk Brusters Neffe, der in Doha lebt, hatte im Vorwege bei einem Losverfahren des Weltfußballverbandes Fifa Glück gehabt und durfte zwei Eintrittskarten für das WM-Finale käuflich erwerben. Umgerechnet 194 Euro wurden pro Stück fällig. Ein guter Preis.

Für ein Endspiel-Ticket werden 2500 Euro hingeblättert

„Beim Hinflug saß ein Franzose neben mir, der hat 2500 Euro für das Ticket ausgegeben“, sagt Bruster, der erstmals im Sommer dieses Jahres im Österreich-Urlaub mit dem Gedanken spielte, nach Katar zu reisen. „Eigentlich wollte ich nur vor hinfliegen, wenn Deutschland ins Finale kommt. Dann habe ich mir aber gedacht: Wenn mein Neffe schon eine Karte für mich hat, dann nutze ich die Gelegenheit auch aus.“

Für diesen Standpunkt gab es nicht nur Beifall aus seinem persönlichen Umfeld. Doch Dirk Bruster konterte die Kritik ähnlich energisch, wie sich Argentiniens Superstar Lionel Messi während des Turniers durch die gegnerischen Abwehrreihen dribbelte.

Kritik im persönlichen Umfeld wegen des WM-Trips

„Eine Freundin hat mich gefragt, wie man nur in so ein Land reisen könne. Ich habe ihr dann drei Gründe genannt: Die Möglichkeit, das WM-Finale live im Stadion zu sehen. Die Chance, sich selbst ein Bild von der Lage vor Ort machen. Das habe ich in der Vergangenheit auch in Ländern wie Israel und Syrien getan. Und die Gelegenheit, meinen Neffen zu besuchen.“

Fünf Tage verbrachte Bruster in Doha. Untergebracht war er zwar privat. Die Fifa verlangte jedoch eine feste Meldeadresse, weswegen sich der Ehemann und zweifache Familienvater für 140 Euro pro Tag noch eine Unterkunft im Fan-Camp buchen musste, die er aber nie nutzte. Doch nur so erhielt er die begehrte Hayya-Card, die digitale Fan-ID, die von Katar und der Fifa bei der Einreise verlangt wurde und für einen Stadionbesuch erforderlich war.

Der Becher Bier beim Public Viewing kostet 11 Euro

Die WM-Stimmung nahm der Norderstedter ganz anders wahr, als sie in der Heimat rüberkam. „Beim Finale haben vor dem Stadion 100.000 Menschen getanzt und eine große Party gefeiert. Darunter waren auch viele Bauarbeiter aus Indien, Bangladesch oder Nepal, die die WM-Stadien gebaut hatten und stolz auf ihr Werk waren. Man glaubt nicht, was da abgegangen ist. Darüber wurde in Deutschland überhaupt nicht berichtet.“

Der offizielle WM-Song ,Light The Sky‘ wurde in Katar rauf und runter gespielt. „Bei uns zu Hause hat man den einfach boykottiert“, so Dirk Bruster, der das Spiel um Platz drei zwischen Kroatien und Marokko (2:1) auf dem offiziellen Fan-Fest in Doha beim Public Viewing verfolgte. Der Becher Bier kostete dort 11 Euro.

Katarer ärgern sich über deutsche Besserwisser

Die Diskussionen in Deutschland über das Verbot der One-Love-Kapitänsbinde, das Symbol für Vielfalt, Offenheit und Toleranz, und die als stiller Protest gegen die Fifa gedachte Hand-vor-den-Mund-Geste der Nationalmannschaft vor dem Match gegen Japan seien in Katar registriert worden. Mehr aber auch nicht.

Brusters Empfinden: „Die Katarer haben sich schon ein wenig darüber geärgert. Da kommt unser Wirtschaftsminister Robert Habeck und bettelt um Gas. Dann kommt die Innenministerin Nancy Faeser mit einer One-Love-Binde um den Arm und will ein Zeichen setzen. Es kratzt die am Ende aber überhaupt nicht, was deutsche Besserwisser empfehlen. Wir sind für sie nicht wichtig. Katar ist aber für uns wichtig, weil die etwas haben, damit wir nicht frieren. Wäre Deutschland ins Finale gekommen, hätten wir im arabischen Raum nicht einen einzigen Fan gehabt. Dabei war unser Land dort sonst immer gut angesehen.“

„Alles, was wir in Deutschland hören, ist sehr einseitig“

Auch abseits des Fußballs sammelte er viele interessante Eindrücke. Als positiv empfand er etwa die Sauberkeit im Land („Selbst auf den Toiletten im Stadion riecht es wie in einem Douglas-Shop“) oder den Service in der Gastronomie. Dort werden die Bestellungen per iPad aufgegeben.

Nicht mehr lange bis zum Anpfiff: idyllischer Sonnenuntergang vor dem Lusail Iconic Stadium.
Nicht mehr lange bis zum Anpfiff: idyllischer Sonnenuntergang vor dem Lusail Iconic Stadium. © Unbekannt | Privat

Auch zu Themen wie Offenheit und Toleranz, mit denen Katar ja nicht unbedingt in Verbindung gebracht wird, hat Bruster eine Meinung. Seine Beobachtungen: „Wir waren abends in einer Bar. Da haben sich Szenen abgespielt, die es offiziell angeblich gar nicht gibt. Ein homosexuelles Paar hat dort getanzt und getrunken. Da hat keiner etwas gesagt. Alles, was wir in Deutschland hören, ist sehr einseitig. Auf der Straße liefen Frauen in knappen Shorts und daneben welche, die voll verschleiert waren. Die argentinischen Fans hatten sich vor dem Finale ihr eigenes Bier mitgebracht. Die waren dann ganz schön angeheitert. Die Katarer haben das zwar gesehen, aber laufengelassen.“

Fußball-WM in Katar: Lückenlose Kameraüberwachung

Ganz oben auf seiner Negativliste: die lückenlose Kameraüberwachung. „Außerdem“, sagt Dirk Bruster, „ist vieles mehr Schein als Sein. Die Häuser, Hotels und Türme in der Stadt sind oft nur zur Hälfte oder zu einem Viertel bewohnt. Mit der Miete geht man aber nicht runter, weil das für Katar negativ wäre und in eine Richtung gehen würde, die nicht gewünscht ist. Das ist der arabische Komplex. Sie wollen dort so sein wie in Dubai oder Abu Dhabi, wo mehr erlaubt und es offener ist. Da kommen sie aber nicht hin.“

Er berichtet von Durchschnittsmieten von umgerechnet 2500 Euro für eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Toplage. „Außerdem herrscht eine unglaubliche Energieverschwendung. Nachts ist es in Doha taghell. Das ist den Katarern aber egal. Strom wird ja aus Gas gemacht. Und Gas haben sie ohne Ende.“

Mittlerweile ist Bruster wieder in Hamburg gelandet. Und wann er zum nächsten Mal Fußball schauen wird, steht schon fest: Statt zum WM-Finale geht es 2023 mal wieder zu Eintracht Norderstedt. Ehrlichen Viertliga-Sport gucken. Bei Bratwurst, Pommes und Bier...