Norderstedt. Der Schiedsrichter eifert einem Vereinskollegen nach, der schon im Profibereich tätig ist. Doch was ist sein Erfolgsgeheimnis?

Ein Pfiff, eine Tatsachenentscheidung kann im Fußball ein Spiel grundlegend verändern. Viele Entscheidungen können in Summe der Karriere eines Schiedsrichters eine Richtung geben. So hat es nun Luca Jürgensen von Eintracht Norderstedt erlebt. Denn der Hamburger ist aufgestiegen: In der Saison 2022/2023 wird er als Unparteiischer Partien in der 3. Liga leiten, dazu als Assistent in der
2. Bundesliga eingesetzt; Jürgensen wird mittendrin sein im Profifußball.

Der Aufstieg ist die Belohnung für kon­stant gute bis sehr gute Leistungen als Schiedsrichter, insbesondere in der Regionalliga. Und dazu als Assistent an der Linie in der 3. Liga. „In der Regionalliga wurde jedes Spiel beobachtet. Es lief ganz gut, die Rückmeldungen waren durchweg positiv.“ Zuständig für das Schiedsrichterwesen in Deutschland ist der Deutsche Fußball-Bund. Seit einigen Jahren hat der DFB einen Perspektivkader. Das sind Leute unterhalb der 3. Liga – so wie Jürgensen –, die ein bestimmtes Alter, Talent und das nötige Niveau mitbringen müssen.

Aufstieg in die 3. Liga ist Lohn für gute Leistungen

Das ist logischerweise nicht ganz so einfach, wie es sich lesen mag. Denn die erhöhte Sichtbarkeit bedeutet zwar einen direkten Draht zum sogenannten Elitebereich. Aber die Kriterien sind hart, die Bewertungen komplex. Dezimalstellen können den Ausschlag geben. „Es ist ein großer Sprung. Die Konkurrenz ist groß, eine einzelne Fehlentscheidung, ein Spiel, das nicht so gut läuft, kann alles verändern“, sagt Luca Jürgensen. „Es ist eine gewisse Konstanz nötig. Dazu kommen das Alter, aber auch das Auftreten außerhalb des Platzes.“ Bei ihm stimmte alles. „Und ich habe die Leistungsprüfungen auf den Lehrgängen bestanden.“

DFB befördert sieben Männer und Frauen

Demzufolge erhielt er einen Anruf von Christian Soltow, der in Hamburg Vorsitzender des Verbands-Schiedsrichterausschusses ist. Auch zwei Größen, beide mit jahrelanger Bundesliga-Routine, meldeten sich: Florian Meyer als Vertreter der Elite-Schiedsrichter und Michael Weiner, im bundesweiten Schiedsrichterausschuss zuständig für den Norddeutschen Fußballverband.

Jürgensen ist einer von sieben Männern und Frauen, die neu in der 3. Liga sind. Für die 2. Bundesliga gibt es sogar nur drei Aufsteiger – und im Bundesliga-Pool keinen einzigen. „Es ist der Schritt in den Profibereich. Ich freue mich auf die neue Spielklasse. Es ist ein Traum, das DFB-Logo zu tragen.“

Der 25-Jährige hat sich relativ früh für die Rolle des Schiedsrichters entschieden. „Bis ich 15 Jahre alt war, habe ich bei Germania Schnelsen Fußball gespielt. Aber ich habe schnell gemerkt, dass das bei mir nichts wird. Und ich gehe Dinge gerne grundsätzlich an.“

Frühe Entscheidung für die Schiedsrichterlaufbahn

Also konzentrierte er sich auf das, was er besser konnte: das Pfeifen. Unterstützung erhielt er im Bezirk Alster von Stephan Timm, einem anerkannten Förderer junger Schiedsrichter, sowie bei Eintracht Norderstedt von Obmann Gerhard Schultz-Greco, der in der Szene ebenfalls einen guten Ruf genießt.

Und dann war da noch Clemens Neitzel-Petersen. Dessen Entwicklung in den vergangenen Jahren ist herausragend, der 35-Jährige gilt als einer der besten Assistenten in der Bundesliga. „Clemens hat mich schon früh gecoacht. Ich profitiere sehr von ihm.“

Neitzel-Petersen gibt das Kompliment gerne zurück. „Ich freue mich, dass Luca über Jahre hervorragende Leistungen in der Regionalliga liefern konnte. Er hat als Schiedsrichter gezeigt, dass er super mit Spielern umgehen kann. Ich würde ihm raten, nicht allzu viel zu ändern.“ In großen Stadien müsse man „ausblenden, was von außen kommt“.

Der Video-Assistent fehlt in der neuen Klasse als Absicherung

Die beiden Eintracht-Referees haben regelmäßig Kontakt, besprechen besondere Spielszenen. Was Luca Jürgensen nicht als Absicherung haben wird, ist ein Video-Schiedsrichter – diese gibt es erst ab der2. Bundesliga. „In gewissem Maße ist es schwieriger“, sagt Neitzel-Petersen. „Der VAR hat sich sehr gut bewährt. Gerade Abseitssituationen werden in sehr, sehr vielen Fällen passend gelöst.“

Er selbst ist meistens mit Schiedsrichter Robert Schröder (Hannover) unterwegs. Man habe nicht einen Eingriff eines Video-Schiedsrichter gehabt – und das in 20 Bundesligaspielen. „Ich bin zufrieden, wie es gelaufen ist.“ Dass er nun erneut auf der Liste der Assistenten für das Oberhaus steht, war folgerichtig. „Trotzdem ist es in jedem Jahr aufs Neue eine Bestätigung.“

Tägliches Training ist Pflicht

Luca Jürgensen, der bei der Techniker Krankenkasse im Prozessmanagent arbeitet und dazu Wirtschaftspsychologie studiert, bereitet sich nun intensiv auf die neue Spielklasse vor. „Ich trainiere jeden Tag. Der Profibereich ist schon etwas anderes. Die Spieler sind deutlich abgezockter, es ist ein höheres Tempo. Da muss man als Schiedsrichter auch anders agieren.“

Die Sache mit dem fehlenden VAR sieht er nüchtern. „Die Abseitssituationen sind sehr eng. Und wenn ein Stürmer durchläuft und deine Entscheidung falsch ist, dann siehts du es abends in der Sportschau. Bei einem Spiel von Hansa Rostock gegen 1860 München hatten wir einmal ein Handspiel übersehen, darüber wurde medial recht groß berichtet . In den ersten Tagen ist das nicht angenehm, aber man lernt, damit umzugehen.“

Vielleicht passt dazu ganz gut dieser Spruch vom Norderstedter Schiedsrichter-Obmann: „Schiedsrichter sind ein bisschen wie Politiker. Man kann es keinem recht machen. Aber machen will den Job auch keiner“, sagt Gerhard Schultz-Greco. Der 68-Jährige ist im hiesigen Fußball ein Urgestein, seine Funktion übt er – mit einjähriger Unterbrechung 1987/1988 – seit 1982 aus. Erst beim 1. SC Norderstedt, dann bei der Eintracht. „Mit Präsident Reenald Koch funktioniert es sehr gut.“

Eintracht Norderstedt stellt zwei Schiedsrichter im Profibereich

Die Ausrüstung für Amateurschiedsrichter stellt in der Regel der Verein. Schultz-Greco pfeift auch selbst noch in der Kreisklasse A, dort gibt es keine Assistenten. Er ist stolz auf die Leistungen von Clemens Neitzel-Petersen und Luca Jürgensen. Und das aus gutem Grund: Dass ein Verein zwei Unparteiische im Profigeschäft hat, ist ungewöhnlich.

Trotzdem, und das ist bei vielen Clubs so, gibt es auch an der Ochsenzoller Straße Nachwuchssorgen. Es ist nicht einfach, junge Fußballer davon zu überzeugen, parallel auch Schiedsrichter zu sein – oder gleich komplett zu wechseln.

Ausnahmen wie Luca Jürgensen bestätigen diese Regel. Wann und wo er sein Drittliga-Debüt pfeifen wird, steht noch nicht fest. Vor wenigen Tagen leitete er dafür das letzte große Highlight der Saison in der Region, das Regionalliga-Aufstiegsspiel des SV Todesfelde gegen Kickers Emden vor 1250 Zuschauern – und kam ohne Gelbe Karte aus. „Ich habe viel mit den Spielern kommuniziert und schnell gemerkt, dass sie meine Linie akzeptieren. Da waren Verwarnungen nicht nötig.“