Norderstedt. Ex-Nationalspieler liebt das Kicken beim HSV III und Bratwurst-Bier-Clubheim-Atmo. Nun steht er vor einer schwierigen Entscheidung.
Marcell Jansen nimmt sich eine halbe Stunde Zeit. Ganz kurzfristig. Anfrage zu einer Story über seine Liebe zum Amateurfußball. Die prompte Antwort Jansens: „Ich liebe den Amateurfußball“. Soll heißen: Ich stehe zur Verfügung.
Diese Episode sagt einiges aus über den mit zahlreichen Verpflichtungen gut beschäftigten früheren Nationalspieler (45 Länderspiele) und Ex-HSV-Profi. In den Schlagzeilen befindet sich Jansen seit Beendigung seiner Karriere als Fußballprofi im Jahr 2015 vor allem als Funktionär und Geschäftsmann.
HSV: Marcell Jansen und seine Landesliga-Truppe sind Tabellenführer
Er war Aufsichtsratsvorsitzender und Aufsichtsratsmitglied der HSV AG, ist weiterhin Präsident des HSV e.V. Als Unternehmer im Gesundheitsbereich ist er mit zahlreichen Projekten am Start.
Doch Jansen spielt nach wie vor Fußball. Mit 38 Jahren beim Hamburger SV III in der Landesliga Hammonia. Es läuft gut, die Mannschaft ist Tabellenführer. Dabei hatte die bundesdeutsche Fußball-Ikone Rudi Völler bei Jansens Karriereende den Eindruck erweckt, der einstige linke Außenbahnspieler sei dem Volkssport Nummer eins für immer verloren gegangen.
„Ich liebe den Fußball, aber ich habe das Fußball-Geschäft nie geliebt“
„Wer sowas macht, hat den Fußball nie geliebt“, kommentierte Völler Jansens frühen Rücktritt. Der konterte fußballromantisch: „Ich liebe den Fußball, aber ich habe das Fußball-Geschäft nie geliebt. Der Fußball, den ich liebe, wird überall gespielt.“
Wer Marcell Jansen zusieht, wie er im Trikot des Sechstligisten HSV III dem Ball auf der Paul-Hauenschild-Anlage an der Ulzburger Straße 94 bei Wind und Wetter nachjagt und sich über jede gelungene Aktion seiner Mannschaft freut, dem würde die Unterstellung, er liebe den Fußball nicht, jedenfalls im Traum nicht einfallen.
Der einstige Außenbahnspieler ist jetzt Mittelstürmer
„Amateurfußball ist der Ursprung. Da hat für mich alles angefangen. Ich wollte einfach mein Hobby zurück“, sagt Jansen beim Interviewtermin im Restaurant Tunici direkt neben der riesigen HSV-Sportanlage mit den vielen Sportplätzen. „Ich bin etwas dicker und langsamer als früher, aber ich kann dem Team auf dem Platz noch helfen. Wenn schließlich das Flutlicht angeht und einige Hundert Fans am Rand stehen, ist das für mich das Größte. Das ist es, worum es geht. Ich liebe es schon, im Trainingsanzug zum Treffpunkt mit der Mannschaft zu kommen. Da fühlt sich auch ein Spiel gegen den TuS Osdorf manchmal schon an wie eines gegen den FC Bayern München oder Borussia Dortmund.“
Auf dieses Gefühl muss Jansen, für den kein anderer Verein als der HSV mehr infrage kommt, aktuell verzichten. Nur Teile des Mannschaftstrainings macht er mit, als Folge einer Leistenverletzung aus dem November 2023. Frühestens im März kann er wieder auf dem Feld stehen. Zum Mittelstürmer wurde er schon vor einigen Jahren umgeschult, um nicht mehr so viel rennen zu müssen. Und mit seinem Torriecher dafür immer an der richtigen Stelle zu sein, um zu treffen oder aufzulegen.
Der 45-fache Nationalspieler hat eine lange Verletzungsliste
Seine Quote ist klasse, nur war dies längst nicht seine erste Verletzung. Bänderrisse, ein Muskelbündelriss, Schulter-, Knie-, Hüft- und Sprunggelenksprobleme, nun die Leiste – die Aufzählung ist nicht mal vollständig.
Die entscheidende Frage: Macht er im Sommer weiter? Oder beschließt er mit dann 38 ½ Jahren, seine Karriere als Fußballer endgültig zu beenden. „Wenn der liebe Gott und mein Körper es wollen, würde ich am liebsten spielen, bis ich 70 Jahre alt bin. Ich muss nur sehen, was vernünftig ist. Die Entscheidung treffe ich abhängig von der Entwicklung der kommenden Wochen und Monate“, sagt Jansen.
Amateurkicker Marcell Jansen genießt die Bratwurst-Bier-Clubheim-Atmosphäre
Es wird eine Gratwanderung für ihn. Einerseits genießt Jansen sein sportliches Leben als Amateurfußballer sehr. Da sind die Spiele, deren Bratwurst-Bier-Clubheim-Atmosphäre, und die Erfolge, die ihn als Ex-Leistungssportler besonders befriedigen. Wie im Auswärtsspiel beim TSV Rantzau, als ihn ein Gegenspieler als „Alter Mann“ verspottete. Jansen ließ sich das nicht bieten und drehte auf. Zwei Vorlagen, ein Tor, 3:1 gewonnen.
„Das war geil. Ein ausverkauftes Haus, und ich konnte meiner Mannschaft mit effizienten Aktionen helfen. Das hat mich glücklich gemacht“, sagt Jansen. Und da sind die Übungseinheiten. Der Kontakt zum Trainerteam und zu seinen Mannschaftskameraden, die Bewegung an der frischen Luft. Er fühlt sich pudelwohl. „Marcell hat immer noch Bock aufs Kicken. Er schaut dabei niemals auf andere herab, ist absolut bodenständig“, sagt HSV-III-Coach Stefan Gehrke.
HSV: Der Präsident trägt auch die Tore und räumt die Bälle weg
Marcell Jansen trägt auch die Tore, räumt die Bälle weg. „Dafür bin ich mir nicht zu schade. Es hat keinen Sinn, nicht bodenständig zu sein. Nur einer kann übers Wasser laufen, ohne dass seine Füße nass werden“, sagt Jansen. Ab und zu macht er, ganz der Rheinländer, einen Spruch, wenn ein Mitspieler seine Pflichten vernachlässigt. „Ich habe zu einem unserer Spieler gesagt ,Nee, nee, lass‘ mal, ich trage das Tor schon. Ich hab‘ nur 240 Bundesligaspiele gemacht‘“, erklärt Jansen schmunzelnd. Falsch verstanden will er das keinesfalls wissen. „Wir haben gute Jungs mit guten Charakteren im Team. Und in einer gut funktionierenden Mannschaft kannst du viele Dinge vermitteln.“
Andererseits ist da seine Gesundheit. X-mal hat er sich nach Verletzungen wieder zurückgekämpft. Er will nicht den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören verpassen. Nicht, wie andere Sportler, Raubbau an seinem Körper betreiben, nur um am Ball zu bleiben. Der hohe Schmerzmittelgebrauch im Profifußball ist gut dokumentiert. Schätzungsweise nehmen auch fünf bis zehn Prozent der Amateurkicker regelmäßig Schmerzmittel ein. An diesen Punkt will Jansen nicht kommen. Das wäre ein zu hoher Preis.
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Im Sommer könnte er vielmehr mit einem letzten Erfolg, dem Aufstieg in die Oberliga Hamburg, an den Marcell Jansen fest glaubt, abtreten. Der perfekte Zeitpunkt? „Vielleicht helfe ich ja in diesem Fall in der Traditionself des HSV aus“, sinniert er. Ein Leben mit komplett an den Nagel gehängten Fußballschuhen? Ohne die Sprüche in der Kabine, die Tore auf dem Platz, das Abklatschen mit den Fans? Für einen, der den Fußball so sehr liebt wie er, ist ein solches Leben eigentlich unmöglich!