Norderstedt. Ingo Schikschneit hat vor 25 Jahren seinen Job als Zahntechniker verloren. Heute verdient er Geld damit, Kinder glücklich zu machen.
Die fünf Jahre alte Emily läuft aufgeregt auf und ab. Sie hält Ausschau nach dem Weihnachtsmann, der sich eine Woche vor Heiligabend im Norderstedter Herold-Center angekündigt hat. „Ich möchte ihm erzählen, was ich mir wünsche“, sagt Emily. Nämlich ein Fernglas, mit dem sie Sterne am Himmel beobachten kann. Das Mädchen trägt einen rosafarbenen Weihnachtspullover mit einem Rentier. Den hat Emily extra für heute angezogen. Hinter ihr hat sich eine Schlange gebildet. Viele Eltern stehen mit ihren Kindern an, um den Weihnachtsmann zu treffen.
Dann ist plötzlich in der Ferne ein Klingeln von vielen, kleinen Glöckchen zu hören. Der Weihnachtsmann kommt! „Hallo Kinder“, sagt er. Der Mann in Rot schlägt sein Goldenes Buch auf und singt gemeinsam mit den wartenden Familien „O Tannenbaum“. Dann setzt er sich auf ein breites Sofa, daneben steht ein üppig geschmückter Tannenbaum und ein Kamin. Alles funkelt und glitzert. Ein Kind nach dem anderen kommt zum Weihnachtsmann, das eine mutig, das andere schüchtern. Genau hier, mitten in der Einkaufspassage vom Herold-Center, ist für die kommenden acht Stunden Ingo Schikschneits Arbeitsplatz.
Norderstedt: Weihnachtsmann ist mehr als nur ein Job
Den Weihnachtsmann zu spielen, ist für Schikschneit mehr als nur ein Job. Vor gut 25 Jahren war es seine Rettung. Mit Mitte 40 hat der Familienvater seine Festanstellung als Zahntechniker verloren, lebte von Hartz IV. Damals suchte er regelmäßig das Arbeitsamt auf, das ihm schließlich die Rolle seines Lebens vermittelte: Ingo Schikschneit wurde zum Weihnachtsmann.
„Als junger Mann habe ich eine Erzieherausbildung gemacht. Schon damals dachte ich, das wäre eine gute Rolle für mich. Aber ich fand mich zu schlaksig für einen richtigen Weihnachtsmann“, sagt er. Schon immer wollte er „der Echte“ sein und keine „billige Kopie“, die mit Gummizug-Bart und Faschingskostüm über die Weihnachtsmärkte läuft.
Ingo Schikschneit lässt ab Juli seinen Bart wachsen
Ingo Schikschneit hat einige Jahre gebraucht, um das perfekte Outfit, das eines Weihnachtsmannes würdig ist, für sich zu finden. Zu Beginn seiner Karriere investierte er 400 Euro in einen Theaterbart, handgeknüpft von einer Maskenbildnerin. Doch nach einigen Stunden hängten sich die Locken aus, die Haare lösten sich von seinem Gesicht. „Das sah nicht gut aus, wenn der halbe Oberlippenbart plötzlich herunterhing“, sagt Schikschneit.
Er probierte eine neue Methode aus: Er ließ seinen eigenen Bart wachsen, rasierte die Borsten am Kinn bis zu den Mundwinkeln jedoch ab, um sich dort künstliche, lange Haare anzukleben. Auch das funktionierte nur bedingt. „Nun stellen Sie sich mal vor, wie ich aussah, wenn ich nicht der Weihnachtsmann war“, sagt er und lacht. Eine weitere Alternative musste her: Inzwischen lässt Schikschneit ab Juli seinen echten Bart stehen. So wie es sich für einen echten Weihnachtsmann gehört.
Weihnachtsmantel für 600 Euro, Handschuhe für 145 Euro
Für 600 Euro nähte ihm eine Schneiderin einen roten Mantel. Den trägt er schon seit vielen Jahren. Jede Weihnachtssaison kauft sich der 68-Jährige aus Norderstedt zudem neue, weiße Lederhandschuhe. Das Paar kostet 145 Euro. Er findet das sehr teuer, aber aus seiner Sicht muss er das Geld investieren, um angemessen auszusehen. Das ist ihm wichtig.
Aber noch viel wichtiger sind ihm die Kinder, die er nicht nur in Einkaufszentren, sondern vor allem Heiligabend zu Hause besucht. Ihr Strahlen ist der Grund, warum er seinen Job so liebt. „Ich mache das aus dem Herzen heraus“, sagt er. Doch auch Begegnungen mit Großvätern sind besonders für ihn. Wenn sich die Männer erst abwenden, weil sie dem Weihnachtsmann skeptisch gegenüberstehen, ihm am Ende zur Verabschiedung aber freundlich die Hand schütteln, ja dann ist Schikschneit zufrieden. „Dann habe ich einen guten Job gemacht“, sagt er.
Eltern wünschen sich Unterstützung vom Weihnachtsmann
Vor jedem Besuch füllen Eltern einen kleinen Fragebogen aus. Dort berichten sie von Ereignissen, die das Kind in dem Jahr besonders geprägt haben. Etwa die Geburt der kleinen Schwester oder der Tod der Oma. Aber auch von Fähigkeiten, die das Kind erlernt hat. All das trägt Schikschneit fein säuberlich in sein Goldenes Buch ein. Heiligabend erzählt er Geschichten daraus.
Oft wird der Weihnachtsmann von Eltern gebeten, ihnen bei der Erziehung ein wenig unter die Arme zu greifen. Wenn das Kind mit dem Fahrrad zu ungestüm auf die Straße rast oder einfach nicht im eigenen Bett schlafen will, dann hat das Wort des Weihnachtsmannes oft mehr Gewicht als das von Mutter und Vater. „Ich sehe den Weihnachtsmann auch als pädagogische Figur. Manchmal missbrauchen Eltern ihn vielleicht ein bisschen für ihre Zwecke, aber Familien benötigen auch mal externe Hilfe. Die Sozialisation von Kindern geht die ganze Gesellschaft etwas an“, findet Schikschneit.
Fünfjähriger Junge wollte nicht in eigenem Bett schlafen
Er erinnert sich noch gut an eine Begegnung mit einem fünfjährigen Jungen. Seine Eltern wünschten sich, dass ihr Sohn nicht mehr jede Nacht zu ihnen ins Bett krabbeln würde. Schikschneit überlegte sich einen Trick: „Wenn du aufwachst, zählst du bis eins, drehst dich wieder um und schläfst weiter. In der nächsten Nacht zählst du bis zwei und machst es genauso. Erst in der dritten Nacht gehst du rüber zu deinen Eltern. Du bist ein großer Junge und kannst allein in deinem Bett schlafen. Meinst du, das geht?“, sagte der Weihnachtsmann damals zu dem Fünfjährigen, der ihm voller Ehrfurcht ein Versprechen gab.
Und: Es hat funktioniert. Im darauffolgenden Jahr schrieben ihm die Eltern, dass ihr Sohn schon nach einer Woche in seinem eigenen Bett schlief. Wie Schikschneit auf diesen Trick gekommen ist? „Das weiß ich selbst nicht. Das fließt einfach durch mich durch. Die Idee kam einfach“, sagt er.
Heiligabend ist Weihnachtsmann von 12 bis 21 Uhr im Einsatz
Am Heiligen Abend beginnt sein Arbeitstag um 12 Uhr, den letzten Einsatz hat er um 21 Uhr. In diesem Jahr stehen 13 Familien auf seiner Liste, die er von Henstedt-Ulzburg bis Seevetal abfährt. Etwa 20 Minuten hat er pro Besuch eingeplant. 80 Euro nimmt er dafür. „Ich bin hoffnungslos zu günstig“, sagt Schikschneit, „aber ich möchte kein Weihnachtsmann nur für die Oberschicht sein.“
In dem Preis inbegriffen sind die Vorbereitungen und Fahrtkosten. „Es ist mir egal, ob ich fünf oder 45 Minuten fahre, ich bin ja kein Handwerker“, sagt er. Ungefähr eine Woche vor Weihnachten fährt er die gesamte Tour probeweise einmal ab. Für ihn gibt es nichts Schlimmeres, als am 24. Dezember nicht die richtige Adresse zu finden.
Als Kind fand Schikschneit den Weihnachtsmann furchteinflößend
Wie er selbst als Kind Weihnachten verbracht hat, davon erzählt er nicht viel. „Wir haben im kleinen Rahmen gefeiert. Ich war viel krank und oft im Krankenhaus“, sagt Schikschneit. Seine Mutter hätte sich bemüht, Weihnachten schön zu machen. „Ich dachte immer, unser Tannenbaum wäre riesig. Er kam mir so groß vor. Dabei stand er nur auf einem Nähmaschinentisch und war in Wahrheit ganz klein. Aber voller Lametta“, erinnert sich der gebürtige Hamburger, der in Bramfeld und Farmsen aufgewachsen ist. Der Weihnachtsmann kam nie zu ihm nach Hause.
Den Mann in dem roten Gewand fand er als Kind eher furchteinflößend. Mit sechs Jahren traf er auf einen Weihnachtsmann in Garmisch-Partenkirchen. „Er hatte einen mächtigen Wattebart, man konnte wenig Gesicht erkennen. Er hat mir Angst gemacht“, sagt Schikschneit. Angst machen. Das möchte er den Kindern als Weihnachtsmann auf keinen Fall. Deswegen hält er überhaupt nichts von dem Gedicht „Lieber, guter Weihnachtsmann“, das Kinder seit Generationen ehrfürchtig vortragen.
Rute war ursprünglich zum „Segensstreich“ gedacht
Darin heißt es „Schau mich nicht so böse an“ und „Stecke deine Rute ein“. „Dieses Gedicht impliziert, dass der Weihnachtsmann böse sein kann. Ich möchte nicht, dass Kinder so etwas glauben.“ Seine Rute hingegen würde Schikschneit gerne mit zum Weihnachtsabend nehmen. Denn was viele nicht wissen: Ursprünglich war sie für einen „Segensstreich“ vorgesehen – und ganz und gar nicht, um Kindern zu drohen oder ihnen weh zu tun.
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Es gab einmal ein Weihnachtsfest, in dem Ingo Schikschneit 24 Familien an einem Tag besucht hat. „Das ist Arbeit – aber sowas von schön“, schwärmt er. Im Dezember ist er als Weihnachtsmann sehr gefragt. Er tritt in Einkaufszentren, auf Firmenfeiern oder in Altenheimen auf. Doch als dies noch sein einziger Job war, fiel er nach Weihnachten in ein Loch. Danach interessierte sich plötzlich niemand mehr für ihn. „Das war mega schwer für mich“, sagt er.
Schikschneit spielt auch Nachtwächter auf St. Pauli
Inzwischen arbeitet er seit 14 Jahren als Nachtwächter auf St. Pauli. Dann tauscht er sein Weihnachtsgewand gegen einen Marinemantel. In dieser Rolle führt er Touristengruppen von den Landungsbrücken über den Kiez, erzählt ihnen Geschichten über die Reeperbahn und Herbertstraße.
Jetzt konzentriert er sich aber erst einmal auf Weihnachten. Vor ihm liegt ein langer Arbeitstag. Sollte er Heiligabend mit seiner Tour gut durchkommen, fährt er später noch zu seiner eigenen Familie – seinen zwei erwachsenen Söhnen und seiner Ex-Frau. So oder so: Am Abend fällt der Weihnachtsmann geschafft, aber glücklich in sein Bett.
Wer Ingo Schikschneit als Weihnachtsmann buchen will, kann zu ihm per Mail an i.schikschneit@kabelmail.de Kontakt aufnehmen.