Bad Segeberg. Angeführt von FDP-Politikern aus dem Kreis will der „Weckruf Freiheit!“ ein Ende der Regierungskoalition herbeiführen.
Die FDP soll raus aus der Berliner Ampelkoalition und damit die Regierung platzen lassen. Mit aller Deutlichkeit zeigen die 26 Unterzeichner des bundesweiten „Weckruf Freiheit!“, dass sie den Kurs ihrer FDP nicht mehr mitgehen wollen. In einem offenen Brief an Parteichef und Finanzminister Christian Lindner, aber auch an die Minister Birgit Stark-Watzinger, Marco Buschmann und Volker Wissing, warnen die liberalen Politiker vor der existenziellen Bedrohung der Partei, wenn sie sich weiter „bis zur Unkenntlichkeit in der Koalition verbiege“.
Das Epizentrum der liberalen Widerstandsbewegung ist der FDP-Kreisverband Segeberg. Zehn der 26 Unterzeichner aus ganz Deutschland kommen aus dem Kreis. Der FDP-Ortsvorsitzende in Bad Segeberg, Uwe Henn, gehört dazu, ebenso Kreistagsfraktionschef Klaus Scheunert, der Ellerauer FDP-Ortsvorsitzende Axel Kamann und der Bundestagskandidat für Segeberg/Stormarn-Mitte bei der Bundestagswahl 2021, Jan Schupp.
„Die wollen den Zwergenaufstand lieber totschweigen“
Allen voran jedoch ging der Kreistagsabgeordnete Alexander-Georg Rackow. Der ehemalige Journalist („Focus“) und heutige Rechtsreferendar hatte in den vergangenen zwei Wochen mit den 25 anderen Erstunterzeichnern am „Weckruf“ gefeilt. Und er wird nun auch als Sprecher der Initiative vom „Spiegel“ und anderen überregionalen Medien zitiert.
Christian Lindner oder die anderen Spitzenpolitiker aus Berlin haben jedoch nicht das Gespräch mit ihm gesucht. „Die wollen den Zwergenaufstand offenbar lieber totschweigen“, sagt Rackow. Er fühle sich ein wenig so, wie früher die andersdenkenden Christdemokraten in ihrer „Merkel-CDU“. Es sei ein Aufstand der Basis gegen die Parteifunktionäre.
Wiedereinzug der FDP in den Bundestag sei gefährdet
Rackow und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter sehen die Gefahr, dass die FDP ein „Weiter so“ in der Koalition in Berlin nicht überlebt. Man werde aus allen Parlamenten fliegen. „Die letzten Wahlergebnisse in Bayern waren desaströs, die Umfragen sehen nicht besser aus“, sagt Rackow. Wenn man jetzt als FDP nicht aus der Koalition austrete, werde man den Wiedereinzug in den Bundestag bei den Wahlen in zwei Jahren sicher nicht schaffen. „Die Wählerinnen und Wähler der FDP nehmen den Liberalen die Ampel-Koalition zunehmend übel.“ Schuld seien zum einen das Agieren des FDP-Spitzenpersonals in Berlin, aber vor allem die unauflösbaren ideologischen Unterschiede mit den Grünen.
Vielleicht habe man gewisse Überschneidungen in der Gesellschaftspolitik. Aber: „Niemand, der FDP wählt, wünschte sich Robert Habeck als Wirtschaftsminister“, sagt Rackow. Kohlekompromiss? Absurd! Kernkraftwerke abschalten? Falsch, solange die Grundlastsicherheit nicht gewährleistet sei. Rackow und seine liberalen Kolleginnen und Kollegen stünden für den „bürgerlich-liberalen Markenkern“ der FDP: „Steuern runter! Bürokratieabbau!“, sagt Rackow. Und ein Umfeld schaffen, dass der Wirtschaft das konkurrenzfähige Agieren auf dem Weltmarkt ermögliche.
Die FDP-Kritiker wollen die „Deutschland-Koalition“ mit CDU und SPD
Für Rackow ist jetzt die Zeit gekommen, „ein Signal der Stärke“ zu zeigen. „Wir müssen den Wählern zeigen, dass wir uns nicht verbiegen lassen, dass wir die Kraft haben, rote Linien zu ziehen.“ Für ihn und seine Mitstreiter sei die Deutschland-Koalition mit CDU und SPD ein gutes Ziel. „Auch wenn uns CDU und SPD für eine Mehrheit gar nicht brauchen.“
Die Reaktionen aus Berlin auf den „Weckruf“ waren seitens des Parteichefs und Finanzministers schmallippig. Er stehe zur Koalition und zum Koalitionsvertrag. Außerdem hinter allen Kompromissen und Entscheidungen der Ampel. Nicht zu regieren, sei zwar immer noch besser, als falsch zu regieren. Aber das gelte nur, wenn keine vertretbaren Kompromisse mehr möglich seien.
Applaus kommt ausgerechnet aus Thüringen
Prominente FDP-Unterstützung für den „Weckruf“ fehlt derzeit. Applaus kommt lediglich und ausgerechnet vom umstrittenen Thüringer FDP-Chef Thomas Kemmerich, der sich 2020 mit der AfD als Steigbügelhalter zum Ministerpräsidenten wählen ließ und seither als Persona non grata in der Bundes-FDP gilt. Kemmerich sieht im „Weckruf“ ein „Alarmzeichen, vor dem die Bundesspitze nicht die Augen verschließen sollte“, wie er dem „Spiegel“ mitteilte.
Ebenso wie Kemmerich sieht auch Alexander-Georg Rackow eigentlich die Grünen als das Problem der Ampel. Da sei kaum noch Kompromissfähigkeit, sagt Kemmerich. „Die Grünen sollten eigentlich aus der Koalition raus. Wir könnten ja mal nett fragen, aber ich glaube, die wollen nicht“, sagt Rackow.
FDP-Kreisvorsitzender kritisiert den „Weckruf“
Auffällig ist, dass ausgerechnet der Vorsitzende des Segeberger FDP-Kreisverbandes nicht zu den Unterzeichnern des „Weckrufes Freiheit!“ zählt. Der ehemalige Landtagsabgeordnete Stefan Holowaty hat zwar seine Meinung zur Ampel-Koalition in den letzten Monaten geändert, wie er sagt. „Weil die Koalition nicht fähig ist, die brennenden Probleme des Landes zu lösen“, sagt der Henstedt-Ulzburger.
Doch den „Weckruf“ habe er trotzdem nicht unterzeichnet. „Das ist der falsche Blick, der geht nur zurück und nicht nach vorne.“ Man gräme sich zu Themen wie der Migrations- oder der Aufarbeitung der Corona-Politik. „Ich vermisse Aussagen dazu, was Deutschland jetzt braucht.“
A 20: „Zu wenig Unterstützung von Minister Wissing“
Ein Vorwurf, den er auch gegenüber der Bundes-FDP erhebt. „Die Minister der FDP hätten die Möglichkeit gehabt zu formulieren, was Deutschland jetzt nach vorne bringt“, sagt Holowaty. „Aber ich sehe zu liberalen Kernthemen wie der Digitalisierungsstrategie oder Wirtschaftspolitik keine Vorschläge.“ Ganz persönlich greift Holowaty Verkehrsminister Volker Wissing an. „Stichwort A 20. Da kam eindeutig viel zu wenig Unterstützung von Wissing.“
Wenngleich Holowaty die Abtrünnigen des „Weckruf“ nicht mit seiner Unterschrift unterstützt, so teilt er doch deren Forderung nach einem Ende der Koalition in Berlin. „Die Menschen haben kein Vertrauen mehr in die Ampel. Wer jetzt aus dieser Koalition herausgeht, wird für diesen Schritt belohnt, weil er dadurch den Neustart für Deutschland ermöglicht“, sagt der FDP-Kreisvorsitzende. „Unsere Partei sollte zurück zu ihren Idealen und diese vertreten. Und das ohne Rücksicht auf den Verlust von Mandaten.“