Norderstedt. Brennpunkte, Flüchtlinge, Wohnen: Vor der Stichwahl erzählen Katrin Schmieder und Robert Hille, was sie in Norderstedt anpacken wollen.
- Am Sonntag, 5. November, ist Stichwahl in Norderstedt. Katrin Schmieder (unabhängige Kandidatin) und Robert Hille (CDU) wollen Oberbürgermeisterin bzw. Oberbürgermeister werden.
- Das Abendblatt hat die Kandidaten zum Doppelinterview in der Norderstedter Redaktion getroffen.
- Sie sprechen unter anderem über die Flüchtlingspolitik, Brennpunkte in der Stadt und die Rolle im Wahlkampf von Ex-Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote.
Katrin Schmieder (55) ist Ur-Norderstedterin und Sozialdezernentin der Stadt. Zwar ist sie Parteimitglied der Grünen, tritt aber als unabhängige Kandidatin im Kampf um das Amt als Oberbürgermeisterin an. Robert Hille (47) arbeitet als Prokurist eines Theaterbetriebs, gehört der CDU an und ist zu Hause in Hamburg-Eimsbüttel. Beide haben ein Ziel: die Stichwahl am 5. November zu gewinnen.
Das Hamburger Abendblatt hat Schmieder und Hille zu einem Interview in die Norderstedter Redaktion eingeladen. Wir haben mit ihnen darüber gesprochen, wie sie Norderstedt sicherer machen wollen, wo sie die größten Herausforderungen der Flüchtlingspolitik sehen und warum die Menschen ausgerechnet sie wählen sollten.
Norderstedt: So wollen Schmieder und Hille OB-Wahl gewinnen
Frau Schmieder, Herr Hille, Sie kämpfen nun seit vielen Wochen um das höchste Amt im Rathaus, nun geht es in den Endspurt. Wie anstrengend ist so ein Wahlkampf? Gab es Momente, in denen Sie sich gefragt haben: Warum tue ich mir das eigentlich an?
Robert Hille: Es ist eine Herausforderung, aber es geht ja auch um etwas. Ich fühle mich sehr gut, bin motiviert, das Team auch, die Rückmeldungen aus der Stadt sind toll. Ich fühle mich wunderbar.
Katrin Schmieder: Ich auch. Manche sagen, es muss ja stressig sein. Ich finde es herausfordernd und spannend, die Gespräche der letzten Wochen im Endspurt sind beflügelnd.
Der erste Wahlgang war sehr ausgeglichen zwischen Ihnen. Frau Schmieder bekam 36,7 Prozent der Stimmen, Herr Hille 35,6 Prozent. Woher sollen nun die Stimmen für die nötige Mehrheit kommen?
Schmieder: Ich hatte ja zumindest die meisten Stimmen. Von daher wäre es schon eine Mehrheit gewesen. Mir ist wichtig, dass diejenigen, die sich für mich entschieden hatten, ein weiteres Mal zur Wahl gehen. Darüber hinaus bin ich viel unterwegs im Stadtgebiet, an Ständen, an Haustüren, damit ich Menschen gewinne und überzeuge, die vielleicht noch gar nicht wählen gegangen sind.
Hille: Es wird bereits die dritte Wahl in diesem Jahr sein nach der Kommunalwahl und dem ersten Wahlgang. Es ist auch für die Bürger eine Herausforderung. Die Norderstedter mussten sich jedes Mal ihr Bild machen. Ich wünsche mir eine sehr hohe Wahlbeteiligung, da sind wir auf einem guten Weg im Vergleich zur letzten OB-Wahl. Meine Motivation ist, die Stammwähler an die Urne zu bringen und dann vielleicht in Teilen die Nichtwähler und SPD-Wähler.
Warum Katrin Schmieder als unabhängige Bewerberin antritt
Für Frau Schmieder gibt es online eine Liste, in die sich öffentlich Unterstützerinnen und Unterstützer mit ihren Namen eintragen, teils in Norderstedt bekannte Personen. Auch trat sie mit dem immer noch beliebten Ex-Oberbürgermeister und CDU-Mann Hans-Joachim Grote auf, es gab sogar gemeinsame Plakate. Herr Hille, was ist Ihnen dabei durch den Kopf gegangen?
Hille: Herr Grote hat eine sehr klare Vorstellung, wie diese Stadt zu führen ist, die Zukunft liegt ihm sehr am Herzen. Wir sind gleichermaßen mit ihm im Gespräch, Frau Schmieder hat mit ihm eine Veranstaltung gemacht, er hat mich – oder ich ihn – auf einer Radtour begleitet. Die war sehr politisch. Mir ist sehr klar geworden, dass seine Konzepte und meine Ideen für die Stadt durchaus deckungsgleich sind. Ich bin Christdemokrat, die CDU ist eine Volkspartei, da gibt es aber natürlich unterschiedliche Schattierungen.
Dafür wirbt nun die SPD für Robert Hille. Frau Schmieder, denken Sie trotzdem, das Lager von der scheidenden Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder von sich überzeugen zu können?
Schmieder: Ich sehe das differenzierter. Der Vorstand eines Ortsverbandes hat sich ohne Votum seiner Mitglieder geäußert. Ich erlebe Anrufe und Chats sowohl von der einen als auch von der anderen Partei, die sich damit nicht identifizieren können. Und die Wähler von Frau Roeder sind ja nicht alle SPD-Mitglieder. Ich denke, dieses Commitment wird viele in den Parteien noch einmal zum Umdenken bewegen, aber in eine ganz neue Richtung.
Sie selbst sind seit vielen Jahren Mitglied der Grünen. Warum treten Sie dennoch bewusst als unabhängige Bewerberin an?
Schmieder: Für mich war es eine klare Entscheidung. Als ich darüber nachdachte zu kandidieren, war ich in sehr engem Austausch mit der CDU in Norderstedt. Es gab Gespräche, sie sagten, sie könnten auch eine „Nicht-CDU-Frau“ unterstützen, aber keine grüne Kandidatin. Ich war auch mit anderen Parteien, anderen Menschen in der Stadt im Austausch. Da zeichnete sich ab, dass das Amt der Oberbürgermeisterin frei von einer Parteipolitik gestaltet werden sollte. Ich habe im Wahlkampf die Überparteilichkeit in den Fokus gestellt. Ich kann für mich sagen: Ich konnte mein Wahlprogramm selber schreiben, mir meine Kampagne ausdenken, meine Ziele formulieren.
Stehen Sie denn hinter der Bundespolitik Ihrer Partei?
Schmieder: Es gibt Dinge, die gefallen mir auch nicht, das geht jedem Parteimitglied so. Mir ist es wichtig, dass man sich in der Sache streiten kann. Das mache ich auch mal mit der Sozialministerin im Land oder, bei Kürzungen im sozialen Bereich, mit der Finanzministerin.
Herr Hille, Sie wurden von der CDU nominiert. Im Wahlkampf fordern Sie: kein „Weiter so“. Braucht Norderstedt eine konservative Wende?
Hille: Die Stadt steht vor immensen Herausforderungen. Die Fragen der Zukunft, Wohnungsbau, Energie, Migration, prasseln auf diese Stadt ein. Sie spielen auf bestimmte Themen an, die ‚typisch CDU‘ sind, Wirtschaftsförderung, öffentliche Sicherheit. Ja, die sind drängend, weil sie auf der Straße liegen. Meine feste Überzeugung ist, dass man es nur überparteilich hinbekommt. Aber ein OB ist auch aufgerufen, eigene Impulse einzubringen, bestimmte Beschlüsse zu antizipieren. Das schafft er nicht, wenn er nur eine Klientel bedient. Er muss gucken: Aus wem besteht die Stadtvertretung, was sind die Herausforderungen, mit wem lässt sich das umsetzen? Und so sind wir in das Gespräch mit der SPD gegangen.
Hille zum Gendern: Es braucht keine „Schluckauf-Radiomoderation“
Ihr Hamburger Landesverband hat die Volksinitiative gegen Gendersprache in Verwaltung und Bildung maßgeblich unterstützt. Würden Sie als Oberbürgermeister in Norderstedt Sternchen & Co. abschaffen? Wie halten Sie es privat?
Hille: Ich gendere nicht. Wer mich kennt, weiß, dass mein Herz weit ist und mein Respekt vor jeglicher Lebensform gleich. Da braucht es diese Verhunzungen der deutschen Sprache nicht, es braucht keine Sternchen, keine Großbuchstaben, keine Schluckauf-Radiomoderation. Aber wir leben in einer freien Welt, jeder kann das machen. Diese Initiative kann man so oder so sehen. Man darf nicht den Fehler machen, in reine Symbolpolitik abzurutschen. Das tue ich nicht. Ich werde keine Initiative wie in Hamburg in Norderstedt starten. Eines ist mir wichtig, wenn es um Verwaltungssprache geht: Die muss klar und deutlich sein. Ich würde Pressemitteilungen nicht mit Sternchen hinaussenden.
Wie stehen Sie zu dieser Debatte, Frau Schmieder?
Schmieder: Ich nutze überwiegend die männliche und die weibliche Sprachform, das ist für mich geschmeidig in Sprache und Schriftbild. Ich nutze Wörter, die es umschreiben, wie ‚Erziehende‘ oder ‚Mitarbeitende‘, das ist heute gängig. Aber wichtiger als die Wortwahl ist, dass wir wieder mehr miteinander sprechen. Die Norderstedterinnen und Norderstedter haben eine klare Kommunikation aus dem Rathaus vermisst. Ich werde als OB beschreiben, was wir tun, warum Beschlüsse so gefallen sind. Wir müssen besser in den Dialog gehen, sonst entfremden wir uns immer weiter.
Herr Hille, Sie bieten im Wahlkampf an, auf Kaffee und Kuchen bei den Menschen zu Hause vorbeizukommen. Wie viele haben das Angebot angenommen, und was bekommen Sie dort zu hören?
Hille: Ich bin fast jeden Nachmittag zum Kaffeetrinken verabredet. Das geht dann so eine Stunde. Die Themen sind die gleichen, die mir schon zuliefen, aber in neuer Ausprägung. Kommunikation, offenes Rathaus, die Sicherheit, und das generationenübergreifend. Das ist eine gute Gelegenheit, um in die Tiefe zu gehen und sich persönliche Nöte anzuhören.
Schmieder: Ich musste schmunzeln, da ich das Format auf meiner Homepage von Anfang an beworben hatte. Ich hatte viele Einladungen von Vereinen, Verbänden, von Gruppen, von Frauen, die sich zusammengeschlossen haben und richtige Fragenkataloge hatten. Das ist ein tolles Erlebnis, wenn Menschen sich die Mühe machen, uns zu schreiben, uns anzurufen, mit uns in den Austausch zu gehen.
Und was hatten die Menschen für Anliegen?
Schmieder: Mal ist es die Kommunikation, mal das Strandhaus und wann es da weitergeht. Dann ist es mal die Wärmeplanung, mal ‚Ich suche für meine Mutter einen Pflegeplatz‘, mal die Baustellenplanung. Da bin ich in der glücklichen Lage, weil ich schon zwei Jahre im Rathaus arbeite, zurückspiegeln zu können. Ich habe die Chance, kritisch auf die Prozesse gucken zu können.
So soll Norderstedt sicherer werden
Kürzlich hat es einen politischen Beschluss zur öffentlichen Sicherheit gegeben: Mehr Kameras an den Brennpunkten, möglicherweise ein privater Sicherheitsdienst – wie schnell muss das umgesetzt werden, und reicht das?
Schmieder: Am 6. November wird die Verwaltung im Hauptausschuss berichten – und das bin jetzt nicht ich –, dass es nicht umgesetzt wird, weil der Beschluss ungültig ist. Ich finde, das ist überhaupt nicht das richtige Vorgehen. Sobald wir die technischen Möglichkeiten in den Händen haben, um es zu montieren, sollte es gemacht werden. Als Oberbürgermeisterin würde ich dafür sorgen, dass die nötigen Ausschreibungen auf den Weg gebracht werden. Die Kommunalpolitik hat eine Zusage gemacht, und es ist eine Aufgabe der Verwaltung, Beschlüsse zügig und zeitnah umzusetzen und den Bürgern transparent zu erklären. Ich glaube, es wird erst im neuen Jahr unter neuer Rathausspitze umgesetzt.
Hille: Ich sehe die Notwendigkeit, das habe ich immer gesagt. Das Thema der inneren Sicherheit ist an mehreren Brennpunkten vorhanden. Da ist die Videoüberwachung selbstverständlich nicht die einzige Maßnahme. Die Delikte werden sie nur mit einem klaren Rechtsstaat beantworten. Aber es gehört mehr dazu: der kommunale Ordnungsdienst, Beleuchtung, bauliche Maßnahmen, der soziale Sektor mit Sozialarbeitern, Streetworkern, der ausgebaut werden muss. Es ist ein riesiges Thema, das wachsen und uns lange beschäftigen wird. Migration ist eine Ursache, aber nicht die einzige. Als Oberbürgermeister werde ich sehr klare Vorstellungen in die Politik einbringen.
Sprechen wir über die Entwicklung der Stadt Norderstedt: Die Wohnungsunternehmen beklagen die Kostenexplosion, nur noch Sozialwohnungsbau funktioniert. Was bedeutet es für die Quote, dass 50 Prozent bei neuen Projekten gefördert sein müssen?
Schmieder: Die aktuelle Situation lässt insbesondere die Investoren umdenken. Früher wurde in Norderstedt kritisiert, dass mindestens 50 Prozent des Wohnungsbaus gefördert sein müsste. Gerade letzte Woche habe ich mit einem Investor gesprochen, der fragte: Kann ich nicht auch 100 Prozent oder 75 machen? Ich glaube, der Trend wird dahin gehen, weil es die einzige Chance ist, die Zinsen und die Baukosten in den Griff zu bekommen.
Hille: Die 50-Prozent-Quote ist Realität. Die Kostensteigerung ist klar. Ein entscheidender Faktor kommt hinzu: Die Genehmigungsverfahren in dieser Stadt sind viel zu träge. Die Entwicklung ist dramatisch. Es geht mir um Bürokratieabbau, um die Verkürzung der Verfahren. Die Investoren sind bereit, vieles zu tun. Aber die Stadt ist zu langsam. Als Chef der Verwaltung werde ich da durchgreifen. Wenn bei einem Projekt mit 40 Wohnungen von der ersten Idee bis zum Spatenstich Jahre vergehen, ist das ein Unding.
Arbeitet das Bauamt also zu langsam?
Hille: Es arbeiten sehr gute Leute in der Verwaltung. Strukturfehler kann man den Mitarbeitern nicht vorwerfen, das ist eine Führungsfrage. Die Stadt wächst. Und weil das so ist, müssen wir uns doppelt Mühe geben, gemeinsam mit der Bauwirtschaft. Das ist beispielsweise ein Thema, das ich mit der SPD intensiv besprochen habe – die langfristigen Ziele, für die wir die handwerklichen Instrumente verbessern.
Schmieder: Das ist ja spannend, weil CDU und SPD gerade zum Thema Bauen in den letzten fünf Jahren überhaupt nicht zueinandergekommen sind. Das wäre eine Überraschung, wenn es an der Stelle voranginge. Aber was die Unternehmen gerade in den letzten 20 Monaten am meisten drückt, ist nicht, dass wir zu langsam sind, sondern, dass die Baukosten so sehr gestiegen sind. Die Zahl der Anträge ist zurückgegangen. Und wir brauchen qualifiziertes Personal im Baudezernat, um diese bearbeiten zu können. Ich erlebe im gesamten Haus, dass es keine Idee dafür gibt, wer denn in 15 Jahren diese Arbeit machen soll. Ein Drittel des Rathauses geht vor mir in den Ruhestand. Das betrifft alle Bereiche. Wir werden in Engpässe laufen, wenn wir nicht zügig eine andere Strategie entwickeln, Mitarbeiter zu motivieren, zu gewinnen, bei uns zu halten.
Hille: Sehr interessant. Gerade im Sozialdezernat ist diese Problematik eklatant. Sie stehen diesem Dezernat vor. Ich frage mich, warum so viele Stellen frei sind, die Fluktuation und die Krankenstände so hoch sind. Das sagt ja etwas über Ihre Führung aus.
Schmieder: Da haben wir viel getan, haben die Vergütung der Erzieherinnen zum Januar angehoben, haben Springerpools eingerichtet, noch nie haben wir so viele Erzieherinnenstellen besetzt wie in den letzten fünf Jahren. Ich weiß nicht, wo Sie diesen Vorwurf herhaben. Im Jugendamt fehlt uns Personal, aber da kann man bundesweit gucken, es wird überall berichtet, dass es keine Fachkräfte gibt. Und deswegen fangen wir an, den Studiengang Soziale Arbeit anzubieten. Wir haben ohne die Führung aus der Hausspitze geschafft, meine Ansätze umzusetzen.
Flüchtlingspolitik: Norderstedt kommt an seine Grenzen
Ein Thema, das die Menschen nicht nur in Norderstedt, sondern in ganz Deutschland bewegt, ist die Flüchtlingspolitik. Norderstedt unternimmt bereits viel, um Geflüchtete unterzubringen und zu integrieren. Am Henstedter Weg entsteht eine weitere Unterkunft für bis zu 200 Menschen. Hat die Stadt noch genügend Flächen? Wann stößt sie an ihre Grenzen?
Schmieder: Alle Kommunen, nicht nur Norderstedt, sind hinter der Welle. Wir haben die klare Perspektive, dass noch mehr Menschen kommen werden. Zum Glück haben wir in Norderstedt noch kein Finanzierungsproblem. Es gibt genügend Grundstücke, auf denen wir Unterkünfte bauen können. Aber: Wir bekommen die Menschen nicht mehr aus den Unterkünften heraus. Wir haben keinen Wohnraum. Wenn dann noch – und das zeichnet sich ab – die Wohnungswirtschaft nicht mehr in dem Umfang bauen wird wie bisher, haben wir nicht nur heute ein Problem, sondern in absehbarer Zeit noch ein viel größeres.
Was kann eine Oberbürgermeisterin bzw. ein Oberbürgermeister ausrichten, um die angespannte Lage vor Ort zu entschärfen?
Schmieder: Es ist wichtig, eine klare Haltung zu haben und gegenüber dem Kreis und dem Land deutlich zu formulieren, was wir noch bewältigen können und was nicht. Wir verwehren uns nicht, das zu leisten, was wir können. Aber wir kommen gesellschaftlich, in den Schulen und der Bildung an unsere Grenzen. Was die Integration der Menschen angeht, sind wir weit weg von dem Niveau, was wir uns wünschen würden. Wenn der normale Bürger Unterkünfte von drinnen sehen würde, wüsste er, warum wir sie eigentlich lieber schließen würden.
Wie nehmen Sie die Stimmung gegenüber Geflüchteten in der Stadt wahr, Herr Hille? Was kommen für Herausforderungen auf Kommunen wie Norderstedt zu?
Hille: Die deutsche Sprache ist der Schlüssel für alles. Wie lange bleiben die Menschen? Soll und muss man sie in den Arbeitsmarkt bringen? Geht es um Fachkräfte? Oder Hilfsarbeit? Das Bürgergeld führt nicht dazu, dass die Menschen wirklich integriert werden. Das Thema Integration wird sehr viel Ressourcen und Geld kosten. Das ist wahrscheinlich in diesem Zusammenhang die größte Aufgabe. Wir müssen transportieren, dass wir jenseits unserer Möglichkeiten sind. Das betrifft letztendlich alle Kommunen in Deutschland. Und das muss man als Oberbürgermeister unabhängig von politischen Farben derartig klar an das Land und den Bund kommunizieren. Wir werden bereits im nächsten Jahr dramatische Entwicklungen im Haushalt haben. Und Norderstedt geht es ja noch relativ gut.
Schmieder: Ich denke, der Haushalt ist für die nächsten zwei Jahre nicht die größte Herausforderung. Ich sehe vor allen Dingen die gesellschaftliche Herausforderung. Wir haben jeden Raum in den Schulen genutzt, um DaZ-Klassen (Deutsch als Zweitsprache, Anm. d. Red.) anzudocken. Wir haben die Klassenstärken von 24 auf 29 Kinder erhöht, weil die DaZ-Kinder nach zwei Jahren in den Regelunterricht gehen. Wir haben überall Engpässe. Die Bereitschaft der Norderstedterinnen und Norderstedter lässt nach, weil sie das Gefühl haben – und das begegnet uns sicherlich beiden während des Wahlkampfes an den Haustüren –, dass für die einen mehr als für die anderen getan wird. Wir müssen viel investieren für das Verständnis miteinander, uns vernetzen, damit wir in Norderstedt gut, sicher und friedlich miteinander leben können. Das Willkommen-Team leistet dabei einen sehr großen Beitrag.
Schmieder und Hille – Was sie für das höchste Amt im Rathaus qualifiziert
Herr Hille, Sie arbeiten als Prokurist eines Theaterbetriebes. Was qualifiziert Sie für den Posten als Oberbürgermeister?
Hille: In meiner Tätigkeit jetzt und auch schon in den Tätigkeiten davor als Geschäftsführer in Institutionen geht es um eine Handvoll Eigenschaften, die man erfüllen muss: ordentlich haushalten, Mitarbeiter gut führen, Ziele verfolgen, die man sich selbst oder im Führungsteam gesetzt hat, Krisenmanagement betreiben und gut kommunizieren nach innen und nach außen. Übrigens war meine erste Position, das ist nun schon 20 Jahre her, in einer öffentlichen Verwaltung. Ich kenne beide Seiten. Voller Respekt weiß ich, was ich da vorhabe.
Frau Schmieder, Sie durften als Sozialdezernentin die Stadt an der Seite von Oberbürgermeisterin Roeder bereits mitgestalten. Was wollen Sie anders machen? Warum sollten Sie gewählt werden?
Schmieder: Ich bringe einfach Erfahrung mit: mit einem abgeschlossenen BWL-Studium, mit meiner Tätigkeit der letzten 18 Monate in der Verwaltung. Ich komme aus einem Haus (DAK-Gesundheit, Anm. d. Red.), wo ich 25 Jahre lang Erfahrung mit professioneller Personalführung und Managementkompetenz gesammelt habe. Dann bringe ich noch ein ganz anderes Paket als Herr Hille mit: Ich habe Kommunalpolitik gemacht, ich komme aus der Elternarbeit, war zehn Jahre als Elternvertreterin im Jugendhilfeausschuss tätig, bin dann in die kommunale Politik gewechselt, habe auch fünf Jahre in der Stadtvertretung gesessen. Daher weiß ich, was die Kommunalpolitik braucht. Ich kenne die Menschen, die Politik in Norderstedt schon gestalten, da kann ich sofort ins Tun kommen. Und daraus mache ich ja keinen Hehl: Ich kenne einfach auch diese Stadt sehr gut. Und das finde ich bei der Position nicht ganz unwichtig.
Herr Hille, wo sehen Sie den größten Unterschied zwischen Ihnen beiden?
Hille: Ich würde das Amt ohne Betriebsblindheit ausführen. Das ist etwas, das mir die Bürger sehr klar zurückspiegeln, was sie sich für die Stadt wünschen: Sie wollen, dass die Dinge von einer Person angegangen werden, die ohne Betriebsblindheit handelt – und dennoch sehr wohl in Norderstedt verortet ist. Ich habe einen Lions Club mitgegründet, meine Firma bringt oft Kultur in die Stadt, ich habe Freunde hier. Ich komme aus der direkten Umgebung, Norderstedt hat viel mit Hamburg zu tun. Aber ich komme von so weit außen, um an die Dinge neu heranzugehen. Norderstedterin zu sein, nehmen Sie für sich in Anspruch, Frau Schmieder. Aber das ist kein politisches Argument.
Sollte die Wahl nicht für Sie ausgehen, Herr Hille, was würden Sie dann machen? Wären Sie auch am Kulturdezernat in Norderstedt interessiert?
Hille: Ich stehe mit beiden Beinen auf dem Boden und weiß in meinem Leben grundsätzlich mit Siegen und Niederlagen umzugehen. Ich gehe fest davon aus, dass ich am 5. November diese Wahl für mich entscheide und ab Januar Oberbürgermeister werde. Ich bin charakterlich aber so gefestigt, dass ich ansonsten weiterhin die Position wahrnehme, die ich im Moment habe. Der springende Punkt sind die Wähler. Sie weisen mir am Ende meinen Platz zu. Dass die Entscheidung klar gefällt werden kann, dazu trage ich in diesen Wochen einmal mehr bei.
Frau Schmieder, wenn Sie die Wahl gegen Herrn Hille verlieren sollten, wollen Sie dann trotzdem als Sozialdezernentin unter ihm weiterarbeiten?
Schmieder: Erst einmal gehe ich natürlich davon aus, dass sich die Norderstedterinnen und Norderstedter am 5. November für mich entscheiden. Das ist mein Ziel. Aber ich bin für sechs Jahre als Sozialdezernentin gewählt, auch mit Stimmen der CDU, das Amt würde ich auf jeden Fall weiter ausführen. Ich habe da keine Berührungsängste. Ich denke, wir sind im Wahlkampf zu jeder Zeit fair miteinander umgegangen, das ist immer ein guter Einstieg und würde für mich ganz klar eine Tür für eine professionelle Zusammenarbeit offenlassen. Dann ist das der Wähler-Wille.
Hille: Mir hat der Wahlkampf Spaß gemacht. Immerhin ist dies die größte Bewerbungskommission, die ich in meinem Leben hatte (lacht). Das ist wirklich spannend und dem stelle ich mich gerne.
Vielen lieben Dank für das interessante Gespräch.