Norderstedt. Die zweite Norderpride fiel zwar durch Regen und Ferien kleiner aus als erwartet, war aber trotzdem ein Erfolg. Wer was gesagt hat.
Ferien. Regen. Wind. Das alles verhagelte die zweite Norderpride. Statt der erwarteten 1500 Fans des Christopher Street Days (CSD) in Norderstedt kamen nur zirka 500. Die aber waren trotz des Wetters gut drauf und wollten nur eines: ihre bunte Community und sich feiern. Und das zu Recht.
Denn immer noch werden homo- und bisexuelle, queere, trans- und intergeschlechtliche Menschen von der Mehrheitsgesellschaft misstrauisch beäugt, beschimpft und – vor allem im Internet – voll Hass und Unverständnis beleidigt. Umso wichtiger ist jedes Fest, mit dem gezeigt wird, sie sind da, sie gehören dazu, sie präsentieren das ganze bunte Leben in all seinen Regenbogen-Farben.
CSD: Norderstedt demonstriert Vielfalt und gute Laune auf der Norderpride
Die zweite Norderpride stand unter dem Motto „Geeint für Vielfalt!“, und damit war auch ein einiges Europa gemeint, das seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine enger zusammenfindet. Doch offensichtlich war weder die Norderstedter Europa Union noch der Verein Europa-Netzwerk Norderstedt auf der Norderpride mit Schwerpunkt Europa vertreten.
Auch Norderstedts Politik machte sich rar bei den wichtigen Ansprachen in der Rathaus-Passage von Norderpride-Organisator Danny Clausen-Holm und Rasmus Andresen, Delegationssprecher der deutschen Grünen im Europa-Parlament. Von den Bewerberinnen und dem Bewerber um das neu zu besetzende Oberbürgermeisterin-Amt war offenbar nur Amtsinhaberin Elke Christina Roeder gekommen. Dafür wehten die Regenbogen-Fahnen weithin sichtbar über Norderstedt-Mitte.
CSD: In anderen Städten wurden Teilnehmende bespuckt
„Gleichgeschlechtliche Paare und auch queere Menschen ohne Partnerschaft leben in der Nachbarschaft, schwule, lesbische, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Kinder wachsen hier auf, es gibt mittlerweile an einigen Schulen gut besuchte queere Jugendgruppen“, sagte Danny Clausen-Holm vom Vorstand des Lesben- und Schwulenverbands Schleswig-Holstein in seiner Ansprache.
Er berichtete auch über die bitteren Erfahrungen bei Pride-Days in anderen Städten Schleswig-Holsteins (in Flensburg wurden Teilnehmende bespuckt, in Heide angepöbelt, in Rendsburg sogar geschlagen und mit Eiern beworfen) und beim Plakate-Aufhängen in Norderstedt. Sie seien erstmalig angepöbelt und mit Sprüchen attackiert worden wie „die AfD wird es schon richten, wenn die erst mal an der Macht sind“. Außerdem seien Plakate abgerissen worden.
Queerfeindliche Straftaten sind um 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen
Die neusten, Anfang Mai von Bundesinnenministerin Nancy Faeser veröffentlichten Zahlen hätten ergeben, dass queerfeindliche Straftaten um 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen seien. „Wir als Lesben- und Schwulenverband beobachten mit großer Sorge die gezielte, vor allem rechtsextreme Stimmungsmache gegen alle queeren Menschen und geschlechtliche Vielfalt“, sagte Clausen-Holm.
Rasmus Andresen, Schirmherr der Norderpride, setzt sich als Mitglied des Europäischen Parlaments für Vielfalt und Akzeptanz auf EU-Ebene ein und lobte: „Norderstedt lebt Vielfalt. Es ist schön, dass in immer mehr Städten in Schleswig-Holstein Menschen für gleiche Rechte für queere Menschen aufstehen.“
Norderpride: Viele Beifall für eine leidenschaftliche Rede in der Rathaus-Passage
Denn auch in vielen europäischen Staaten würden durch rechte und konservative Parteien queere Menschenrechte abgebaut. In Italien würden die Rechte von Regenbogenfamilien eingeschränkt und die Arbeit von queeren Organisationen behindert. In Polen und Ungarn würde die queere Gemeinschaft vom Staat drangsaliert. „Ungarns Regierungschef Viktor Orban hat sogar Buchläden verboten, queere Bücher zu verkaufen. Aber Bücher sind Meinungsfreiheit. Wir schützen unsere Demokratie und müssen laut werden gegen den Hass, der von Extremisten verbreitet wird“, sagte Andresen und erhielt für seine leidenschaftliche Rede in der Rathaus-Passage viel Beifall.
Auf dem Rathausmarkt ließen es sich die letzten hundert „Aufrechten“ durch den Regen nicht verdrießen und tanzten zu „Singing in the Rain“ aus der „Spotify-Dukebox“. Schlangen indes konnte nur die „Himmlische Wurstbude“ der Vicelin-Schalom-Kirche registrieren, und das auch nur für kurze Zeit. „Wir haben uns auf mehr Pommes- und Wurst-Fans eingerichtet, aber der Regen, die Ferien – trotzdem ist es wichtig, hier zu sein“, sagten die vier Männer am Grill Uwe Schulz, Udo Bialas, Thomas Kirch und Michael Mieding.
Vielfalt und Europa sind wichtige Themen für die ganze Gesellschaft
Auch aus Norderstedts Nachbarschaft kamen die Prideday-Fans, beispielsweise Jessica aus Emden, Patricia und Lolli aus Osterholz-Scharmbeck in Niedersachsen: „Wir sind hierher gekommen, weil die Themen Vielfalt und Europa für die ganze Gesellschaft sehr wichtig sind.“
Eine ganz lustige Mischung versammelte sich mit Arko, Plenty und Noah, Dex, Jannik, Tiger von Unfug und Aquarius aus Hamburg und Halstenbek, Pritzwalk und Greifswald, Itzehoe, Stade und Norderstedt. Sie vermissten nur eines: den Zugang zu den Toiletten im Rathaus. Alle Türen waren verschlossen.
Die Stände auf den Rathausmarkt hatten dafür geöffnet, darunter der Landesverband der Lesben und Schwulen in Schleswig-Holstein mit der Geschäftsstelle Echte Vielfalt als zentrale LSBTIQ*-Netzwerkstelle in Schleswig-Holstein, die Partei der Humanisten und die Landespolizei.
Hauptmeister Florian Eggers und Hauptkommissar Dirk Hoppe aus Neumünster hatten ihr Polizei-Fahrzeug mit Magnetschilder in Regenbogenfarben fit gemacht und zeigten mit dem Schild „Im Einsatz für Vielfalt“ die Regenbogen-Flagge.