Norderstedt. Berliner Kabarett rührte bei seinem Gastspiel im Kulturwerk genüsslich an Tabus. Über diese Politiker lästerte es besonders ab.
Die Wohnungsnot diente dem Berliner Kabarett „Distel“ als Vehikel, um so richtig über die Berliner Ampel samt Opposition abzulästern. Egal, ob Olaf Scholz, Robert Habeck, Annalena Baerbock oder Karl Lauterbach, ob Friedrich Merz oder Markus Söder, Christian Lindner oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann – sie alle gehören ins „Distel“-Programm „Deutschland sucht den Supermieter. Die Qual kommt mit der Wahl“ von Autor Thomas Lienenlüke und Regisseur Dominik Paetzholdt zur schrill-schrulligen Personnage des Kabaretts, das seit 1953 in bester Tradition über alles lästert, was nicht bei drei abgetaucht ist.
Beim Gastspiel im Norderstedter Kulturwerk bestach das Kabarett-Ensemble mit Nancy Spiller, Rüdiger Rudolph und Musiker Boris Leibold durch Bonmots und Sticheleien im Turbo-Tempo, durch raschesten Rollen- und Kostümwechsel, getoppt durch noch raschere Sprechtempi, wobei ihnen diese auch gut Gelegenheiten boten, Texthänger elegant wegzunuscheln.
Norderstedt: Publikum begeistert – „Distel“ hat keine Angst vorm „N-Wort“
Worum geht’s? In einer Altbauwohnung in Berlin-Mitte haust Marco Hilpers, missratener Sohn eines Selfmademan, der seine Millionen mit frisierten Quittungen gemacht hat. Das merkt die Steuerfahndung, und Hilpers Senior geht bankrott. Der Sohn nicht, der ist es schon. Nun wird aus der Idee, ein Zimmer in der feudalen Eigentumswohnung zu vermieten, ein Muss.
In diesem Plot führt das „Distel“-Trio alle vor, die in Berlin Namen, Rang und Ruf haben, garniert mit Frauen, die sich per Rolle vorwärts durchs Fenster zu ihrem Wohnungstraum abseilen, als Gelegenheitsgeliebte von Elon Musk aufkreuzen oder als geschniegelte Business-Coach.
Nancy Spiller macht das in allen Rollen sehr überzeugend, beispielsweise als gnadenlos berlinernde „Hetero-Frau mit solider Einkommensstruktur“. Mit dem Hinweis aufs „proletarische Du“ im Gegensatz zum „kommerziellen Du“ bei Friseuren und in Klamotten-Läden hebt sie auf den Verfall des respektvollen Umgangs miteinander ab. Oder sie steht stumm neben Rüdiger Rudolph als Elon-Musk-Kopie, der seine Gelegenheitsgeliebte in einem billigen Zimmer parken will.
Berliner Kabarett: Gelegenheitsgeliebte läuft zur Höchstform auf
Nach dessen Abgang läuft Spiller als Gelegenheitsgeliebte zur Höchstform auf, reißt sich ihre Schaumstoff-Brustschalen aus der Bluse und verteidigt Annalena Baerbock, die von Männern nur nach ihrem Äußeren abgeurteilt wird: „Warum ist die Stimme bei Frauen wichtiger als der Inhalt? Und warum müssen Frauen in der Politik erotisch sein?“ Im Gegensatz zu Friedrich Merz. Der würde nicht nach, sondern vor dem Sex einschlafen.
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Rüdiger Rudolph kommt unter anderem als Millionärssohn und Wohnungsbesitzer Marco auf die Bühne und fragt gleich provokant, ob Kabarett in diesen Sprachpolizei-Zeiten überhaupt noch erlaubt sei. Prompt fällt auch das „N-Wort“. Und ebenso prompt bekommt Dauer-Polit-Stehaufmännchen Merz als „Schmalspurwaggon auf breitem Gleis“ noch einen Stich ab.
Norderstedt: Publikum im voll besetzten Kulturwerk war begeistert
Es folgen Fragen über Fragen, darunter, von welchem Verbrecher wir unser Gas kaufen, und warum SUV-Fahrer mit Sonnenblumenöl fahren (um mit der Differenz zu Diesel oder Benzin dem Sohn die Cello-Stunden zahlen zu können).
Rüdiger Rudolph alias Marco läuft auch als eitler Robert Habeck und als Olaf Scholz auf, liefert einen Rundumschlag durch die Gesellschaft, mal im Schlagabtausch mit Nancy Spiller, mal mit Mitbewohner Lutz. Den spielt Boris Leibold mit viel beredter Mimik, mit Selbstironie und Witz. In den Gesangsnummern begleitet er am Piano. Auch als schwäbelnder Penner, der plötzlich 100.000 Euro erbt und sich dafür schämt, kam er gut an. Das Publikum im voll besetzten Kulturwerk war begeistert.