Norderstedt. Unternehmerinnen und Unternehmer aus Norderstedt diskutierten über den Nachwuchs, dessen hohe Ansprüche – und Defizite.

Kaum ein Unternehmen in Norderstedt, bei dem der Fachkräftemangel nicht schon angekommen ist. Stellen zu besetzen, wird immer schwieriger. Und wenn man auf dem Arbeitsmarkt Nachwuchs gefunden hat, sind längst nicht alle Probleme gelöst. Denn die jungen Leute haben im Vergleich zu früher völlig veränderte und teils hohe Ansprüche an den Job, bringen aus Sicht der Unternehmen aber nicht selten Defizite mit, die im Arbeitsalltag ausgeglichen werden müssen.

„Als Arbeitgeber müssen wir heute fast doppelt so viel Zeit in die Betreuung und Begleitung unserer Mitarbeitenden, in Personalbelange insgesamt, investieren“, sagte Gaby Gaßmann, Geschäftsführerin der Magnus Mineralbrunnen in Norderstedt beim Business-Frühstück des Norderstedter Zukunftsdialogs, zu dem die Entwicklungsgesellschaft Norderstedt (EGNO) und die Stadtwerke eingeladen hatten. Die 40 Unternehmerinnen und Unternehmer bestätigten unisono jenen Trend, von dem Gaby Gaßmann sprach.

Fachkräftemangel: „Betriebe übernehmen, was Familie und Schule nicht leisten“

Betriebe müssten das übernehmen, was Familie und Schule nicht geleistet haben, sagt Jennifer Jacobsen, Geschäftsführerin beim Glas- und Metallbau-Unternehmen Kahrmann in Norderstedt, hier mit den Auszubildenden Florian Stumpe (l.) und Marc Rempelbauer.
Betriebe müssten das übernehmen, was Familie und Schule nicht geleistet haben, sagt Jennifer Jacobsen, Geschäftsführerin beim Glas- und Metallbau-Unternehmen Kahrmann in Norderstedt, hier mit den Auszubildenden Florian Stumpe (l.) und Marc Rempelbauer. © Burkhard Fuchs

Jennifer Jacobsen, Geschäftsführerin der Glas + Metallbau Kahrmann GmbH in Norderstedt berichtete: „Die jungen Menschen sind sehr unterschiedlich. Bei den meisten zeigt sich, dass sie eine große Unterstützung beim Einstieg ins Berufsleben benötigen – mehr als noch vor einigen Jahren.“ Kahrmann biete ihnen zunächst ein Praktikum an. Jacobsen: „Dort erfahren sie, dass sie gebraucht werden, dass sie etwas leisten können und zum Team gehören. Das sind für sie häufig neue Erfahrungen.“

Wenn die jungen Menschen dann im Betrieb anfangen, müsse man als Geschäftsleitung und Ausbilder all das übernehmen, was Familie und Schule bis dahin nicht geleistet haben, sagt Jacobsen. „Wir begleiten sie auf dem Weg ins eigenständige Leben. Diese Rund-um-Betreuung erfordert sehr viel Zeit.“ Doch das Engagement lohne sich am Ende für das Unternehmen. Denn es mache ja auch Spaß, die jungen Leute anzuleiten und die umfassende Ausbildung trage zu einer großen Bindung des Nachwuchses an das Unternehmen bei, sagte Jacobsen.

Rund-um-Betreuung kostet Zeit – bindet aber den Nachwuchs ans Unternehmen

Mitarbeiterbetreuung koste heute doppelt so viel Zeit wie früher, sagt Gaby Gassmann, Geschäftsführerin der Magnus Mineralbrunnen in Norderstedt, hier in der Abfüllhalle des Unternehmens an der Stormarnstraße.
Mitarbeiterbetreuung koste heute doppelt so viel Zeit wie früher, sagt Gaby Gassmann, Geschäftsführerin der Magnus Mineralbrunnen in Norderstedt, hier in der Abfüllhalle des Unternehmens an der Stormarnstraße. © Andreas Burgmayer

Nicht nur die Unternehmen in Norderstedt nehmen junge Menschen am Anfang ihres Berufslebens an die Hand. Seit Jahren ist auch die Norderstedter Bildungsgesellschaft (Nobig) ein bewährter „Kümmerer“. Nobig-Geschäftsführerin Marlen Reimers: „Wir begleiten vor allem Jugendliche, bei denen viele Grundlagen, sowohl schulische als auch lebenspraktische nur unzureichend vorhanden sind. Die meisten von ihnen können später in eine Ausbildung gehen. Reimers kann sich auch vorstellen, direkt auf Norderstedter Unternehmen zugeschnittene Lösungen anzubieten: „Wenn sich mehrere Unternehmen zusammentun, können wir auch Bedarfe für bestimmte Branchencluster definieren.“

Es sind Lösungsansätze wie diese, die sich EGNO und Stadtwerke von ihrem Norderstedter Zukunftsdialog und dem Business-Frühstück versprechen. Das Format soll die Norderstedter Unternehmerschaft vernetzen und den Austausch von gemeinsamen Lösungen für gemeinsame Probleme anstoßen.

Norderstedter Bildungsgesellschaft vermittelt Jugendlichen Lebenspraxis

Marlen Reimers, Geschäftsführerin der Norderstedter Bildungsgesellschaft (NoBig).
Marlen Reimers, Geschäftsführerin der Norderstedter Bildungsgesellschaft (NoBig). © Michael Schick

Beim Fachkräftemangel zeigen die blanken Zahlen, wie hoch der Handlungsbedarf und wie existenziell das Thema für den Wirtschaftsstandort Norderstedt ist. EGNO und Stadtwerke legten Zahlen vor: Danach seien über 15.700 Ausbildungsstellen derzeit allein in Schleswig-Holstein offen, so viele wie noch nie. Aktuelle Studien würden zudem einen demografisch bedingten Fachkräftemangel von rund 180.000 Menschen für das Bundesland voraussagen, so dass bereits zwischen 2030 und 2035 fast 13 Prozent aller Stellen nicht mehr besetzt werden könnten.

„Wenn das die Wirtschaftskraft in Norderstedt reduziert, ist das für uns als Wirtschaftsförderungsgesellschaft ein sehr ernstes Thema. Denn, so eine Umfrage, inzwischen sehen mehr als 50 Prozent der deutschen Unternehmen im Fachkräftemangel die größte Gefahr für ihre Geschäftsentwicklung“, sagte EGNO-Geschäftsführer Marc-Mario Bertermann.

Um junge Leute für die Unternehmen zu gewinnen, müssten völlig neue Wege gegangen werden – da waren sich die Teilnehmenden des Business-Frühstücks einig. Dabei stehen die Unternehmen vor Herausforderungen, die durch die Corona-Pandemie verschärft wurden.

Corona-Pandemie hat Einführung neuer Arbeitsplatzmodelle beschleunigt

Jens Seedorff, erster Werkleiter der Stadtwerke Norderstedt.
Jens Seedorff, erster Werkleiter der Stadtwerke Norderstedt. © Stadtwerke Norderstedt

„Vielleicht arbeiten demnächst – zum Beispiel in unserem IT-Bereich – Fachkräfte komplett remote“, mutmaßte Stadtwerke-Werkleiter Jens Seedorff. „Und das nicht nur, weil die Mitarbeitenden es wollen, sondern weil für uns Leistung und Ergebnis genauso gut sind wie bei einer Präsenz vor Ort. Und das zählt letztlich in einer sich stetig wandelnden Arbeitswelt.“

In der Energie- und Telekommunikationsbranche brauche es hoch qualifizierte Mitarbeitende. „Daher investieren wir seit Jahrzehnten in die eigene Ausbildung von rund 60 jungen Menschen, aber auch in neue Ansätze, um den Erwartungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Genüge zu tun. Und ich bin sicher, dass wir uns dafür noch stärker vernetzen und die Vorteile des Standortes Norderstedt nutzen müssen“, sagte Seedorff.

Die Konkurrenz unter Unternehmen vor allem technischer Branchen um junge, gutqualifizierte Menschen sei groß. Um auf sich aufmerksam zu machen, werde unter anderem in Social Media-Kommunikation investiert. „Wir haben 2017 mit Facebook angefangen, dann kam Instagram und nun sammeln wir Erfahrungen mit TikTok. Mittlerweile sagen uns Bewerberinnen und Bewerber, dass sie uns über die Videos auf den Social-Media-Kanälen und auf unserem YouTube-Kanal kennen gelernt haben“, berichtete Michael Grenz, Geschäftsführer der Hanseatic Power Solutions GmbH.

Betriebe müssen zunehmend in den Sozialen Medien aktiv sein

Junge Leute wurde sein Unternehmen auf YouTube oder Instagram entdecken, sagt Michael Grenz (l.), Geschäftsführer beim Norderstedter Unternehmen Hanseatic Power Solutions in der Norderstedter Oststraße, hier mit seinem Geschäftsführungskollege Bernd Mähnss.
Junge Leute wurde sein Unternehmen auf YouTube oder Instagram entdecken, sagt Michael Grenz (l.), Geschäftsführer beim Norderstedter Unternehmen Hanseatic Power Solutions in der Norderstedter Oststraße, hier mit seinem Geschäftsführungskollege Bernd Mähnss. © Burkhard Fuchs

Neben dem Werben um junge Arbeitskräfte in Deutschland, diskutierten die Unternehmer auch über das Anwerben von Fachkräften aus dem Ausland – und da gehe es nicht nur um junge Leute. Einig waren sich die Unternehmerinnen und Unternehmer, das es dabei wichtig sei, gut vorbereitet zu sein. Es bringe nichts, die Menschen einfach nur ins Land zu holen: Man benötige gute Rahmenbedingungen, also Sprachkurse, die Unterstützung bei der Wohnungssuche und selbstverständlich auch eine Willkommenskultur im Unternehmen.

Unterstützung komme dabei auch von der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck, die Willkommens-Lotsen für ausländische Fachkräfte und Recruiting Days zur Vermittlung anbiete. Beim Zukunftsdialog verständigten sich die 40 Unternehmerinnen und Unternehmer aber auch darauf, selbst gemeinsam aktiv zu werden: Angedacht ist, dass sich mehrere Unternehmen zusammentun, um gemeinsam eigene Sprachkurse anzubieten.

Fachkräftemangel: Norderstedter Unternehmen entwickeln gemeinsam Lösungen

Marc-Mario Bertermann, Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Norderstedt (EGNO).
Marc-Mario Bertermann, Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Norderstedt (EGNO). © Felix Matthies

Doch so sehr für die Aufnahme von Fachkräften aus dem Ausland geworben wurde, so groß sei auch das Plädoyer für die stärkere Förderung von Arbeitnehmenden am Standort gewesen. „Würde das Beschäftigungspotenzial von Frauen und älteren Beschäftigten ausgeschöpft werden, könnte der Fachkräftemangel in Schleswig-Holstein um Dreiviertel gesenkt werden“, teilte die EGNO mit.

Hinzu würden Menschen mit Behinderung kommen, von denen lediglich 50 Prozent in Beschäftigung sind, obwohl ein höherer Prozentsatz im ersten Arbeitsmarkt arbeiten wolle und mit der entsprechenden Unterstützung auch dort arbeiten könnte. Hier biete die Lebenshilfe Norderstedt über ihr Kooperationsprojekt „Netzwerk Inklusion und Innovation“ Austausch und Beratung für Unternehmen an, wie Menschen mit Behinderung im Unternehmen integriert werden können.

EGNO-Geschäftsführer Bertermann: „Wir haben in Norderstedt engagierte Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich aktiv und positiv den Herausforderungen stellen. Diese zusammenzubringen, den Austausch zu fördern, dazu werden wir weitere Zukunftsdialoge veranstalten.“

Norderstedter Zukunftsdialog: Am 16. November soll es einen Kongress für Nachhaltigkeits- und Zukunftsthemen und ihrer Relevanz für den Standort Norderstedt geben, initiiert von der EGNO und den Stadtwerken Norderstedt.

www.norderstedter-zukunftsdialog.de