Norderstedt. Eine Million Euro steht bereit, um Geringverdiener zu unterstützen. Gegner des Fonds sprechen von „unanständigem Wahlkampf“.
Die Stadt Norderstedt wird einen „Härtefallfonds Energienotstand“ auflegen. Das hat die Stadtvertretung am Dienstag mit den Stimmen von Die Linke, SPD, Grünen und Freien Wählern beschlossen. Der Fonds soll eine Höhe von zunächst einer Million Euro haben und bis Ende 2023 zur Verfügung stehen.
Laut dem Beschluss soll der Fonds Privatpersonen oder Gewerbetreibende vor der Sperrung ihrer Gas-, Strom- oder Wasseranschlüsse durch die Stadtwerke schützen. Wenn die Norderstedterinnen und Norderstedter aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage sind, ihre Energie-Rechnungen zu bezahlen, soll der Fonds einspringen.
Energiepreise: „Energienotstand!“ – Norderstedt beschließt Härtefallfonds
Gefördert werden ausschließlich Bürgerinnen und Bürger mit Wohnort Norderstedt – also ausdrücklich keine andere Kundinnen und Kunden der Norderstedter Stadtwerke. Wer darunter als Härtefall eingestuft wird und wer nicht, dass soll vom Sozialamt der Stadt Norderstedt ermittelt werden. Dafür soll das Amt mit zwei zusätzlichen Stellen ausgestattet werden.
Im Austausch mit den Stadtwerken soll das Sozialamt dann nicht die kompletten Rechnungen säumiger Kundinnen und Kunden übernehmen, sondern nur einen zu definierenden Teil der erhöhten Kosten in der Rechnung. Der Fonds entbindet also die säumigen Betroffenen nicht von der kompletten Zahlung.
Gefördert werden nur Bedürftige mit Wohnsitz Norderstedt
Angesichts der Planungen im Bund, Unterstützungspakete für Bedürftige auf den Weg zu bringen, soll auch beachtet werden, dass Bezugsberechtigte nicht doppel gefördert werden. Wer schon Geld vom Bund erhalten hat, bekommt kein Geld mehr aus dem Norderstedter Härtefallfonds.
Was genau die Stadt Norderstedt an sozialen Härten in diesem Herbst und Winter in Sachen Energiepreise erwartet, kann noch niemand absehen. Doch die Initiatoren des Antrags von der Fraktion Die Linke sehen in Norderstedt die Gefahr einer zunehmenden „Energiearmut“ bei Geringverdienern.
Sozialamt Norderstedt definiert, wer ein Härtefall ist
„Bei dem Fonds handelt es sich nicht um Almosen, sondern um gezielte Hilfen in der Not“, sagt Linken-Chef Miro Berbig. „Wer Hilfen aus dem Fond bekommen wird, ist noch gar nicht klar. Die Verwaltung ist beauftragt, Förderkriterien zu entwickeln, um zu verhindern, dass Menschen in Norderstedt in vermeintlich ausweglose Situationen geraten.“
Das könne das Rentnerpaar sein, das ihr altes Siedlungshaus, aufgrund der Vervielfachung der Energiekosten mit ihrer geringen Rente nicht mehr betreiben kann. Oder alleinerziehende Eltern, die bisher gerade genug verdienten, um ohne „Stütze“ vom Amt zurecht zu kommen, die aber nun „zwischen Waschmaschine oder Heizen“ entscheiden müssen.
Kritik der Gegner: „Aktionismus“ und „unanständiger Wahlkampf“
„Wichtig ist das Signal“, sagt Berbig. „Politik lässt die Menschen in dieser Stadt nicht allein!“ Die Hilfen müssten grundsätzlich aus Berlin und Kiel kommen. „Aber wenn da nichts passiert, können wir doch nicht mit den Achseln zucken.“
Gegen den „Härtefallfonds Energienotstand“ stimmten die Fraktionen von CDU, FDP und Wir in Norderstedt (Win). Für CDU-Fraktionschef Peter Holle handelt es sich bei dem Fonds um bloße Symbolpolitik. „Mit diesem Antrag suchen die befürwortenden Parteien doch nur nach Wählerstimmen“, sagt Holle.
CDU fordert die genaue rechtliche Prüfung
Gegen eine Unterstützung möglicher Härtefälle, um Energiesperren zu vermeiden, wehre sich niemand in der CDU. „Doch der jetzt beschlossene Antrag ist handwerklich so schlecht, dass wir dem so nicht zustimmen konnten.“ Zum Beispiel würden Gewerbetreibende zwar in der Erläuterung, nicht aber im konkreten Antrag als Zielgruppe vorkommen. Und bei der Doppelförderung sei explizit nur die des Bundes, nicht aber die des Landes ausgeschlossen.
Die CDU pocht auf die Beschlüsse, die bereits im Hauptausschuss zu dem Thema gefällt wurden. Dort war der Härtefallfonds gescheitert, aber man einigte sich auf die Einführung eines Runden Tisches gegen Energiearmut und zur Verhinderung von Strom-, Gas- und Wassersperren und der Einrichtung einer Stabsstelle bei den Stadtwerken, die individuelle Lösungsangebote bei Energieschulden entwickelt. „Wir müssen doch zunächst rechtlich prüfen, wie und ob das alles umsetzbar ist“, sagt Holle.
Wir in Norderstedt (WiN) ist für Abwarten
Reimer Rathje, Fraktionschef von WiN, sieht in dem Antrag einen „unanständigen“ Wahlkampf auf Kosten bedürftiger Menschen. „Das ist Aktionismus“, sagt Rathje. „Es ist doch klar, dass wir Menschen helfen wollen. Aber doch nicht blind und ohne Verstand.“
Ministerpräsident Daniel Günther habe gerade sein Hilfspaket geschnürt, der Bund diskutierte weitere Hilfen und im Gespräch sei auch eine Freimenge von 80 Prozent des Energieverbrauchs, auf den der Preis gedeckelt werde. „Jetzt schütten wir in Norderstedt unsere Verwaltung mit zusätzlicher Arbeit zu und bezahlen zwei zusätzliche Stellen, und dann kommen Bund und Land und übernehmen.“
Energiepreise: Härtefallfonds gegen Energiesperren entstehen in ganz Deutschland
Rathje ist für Abwarten. „Die Rechnungen kommen doch erst im Frühjahr. Wenn es dann von Sperren bedrohte Härtefälle gibt, finden wir einen Weg der Unterstützung. Das ist nicht das Problem.“
Der Blick über die Stadtgrenzen Norderstedts hinaus zeigt: Härtefallfonds werden derzeit überall in Deutschland eingerichtet. Hannover und Bremen haben bereits Fonds, Niedersachsen, Berlin, Thüringen und Sachsen wollen sie einrichten. Das Land Niedersachsen hat angekündigt, gemeinsam mit Kommunen und Energieversorgern 150 Millionen Euro für lokale Härtefallfonds bereitzustellen. Der Verband der Energie- und Wasserwirtschaft (VSHEW), der die Stadtwerke im Norden vertritt, hatte einen Härtefallfonds gegen Energiesperren von der schleswig-holsteinischen Landesregierung gefordert.