Kaltenkirchen/Wacken. Kaltenkirchener Retter sind ehrenamtlich für 120.000 Metal-Fans im Einsatz – auch bei Geburten. Besuch im Krankenhaus der Zeltstadt.

Nur wenige Tage hat es gedauert, dann stand Schleswig-Holsteins drittgrößte Stadt. Bis zu 120.000 Menschen zieht das größte Heavy-Metal-Fest der Welt in Wacken in diesen Tagen an, und auch diese „Metal-Stadt“ braucht ein Krankenhaus.

Ob für beim Grillen verbrannte Finger, die feierbedingte Alkoholvergiftung oder der beim Moshen oder Luftgitarre spielen ausgelöste Herzinfarkt – traditionell übernimmt das Rote Kreuz aus Kaltenkirchen die Versorgung von Kranken und Verletzten bei dem Open-Air-Spektakel, das bis zum Wochenende dauert.

„Klinikum Wacken“: Kaltenkirchener Retter heilen Metal-Heads

Zwei 40-Tonner waren notwendig, um das Material nach Wacken zu schaffen. Der Ortsvorsitzende Jürgen Schumacher und Bereitschaftsleiter Nils Bade leiten mit ihrem 40-köpfigen Kaltenkirchener Team den Großeinsatz, 650 Helfer inklusive 26 Ärzte aus ganz Deutschland unterstützen sie dabei. Alle arbeiten ehrenamtlich – abgesehen von der Aufwandsentschädigung von einem Euro die Stunde. Und nehmen Urlaub für die Tage zwischen Zelten, Bühnen und einem Feldbett in einer Turnhalle.

Warum tun sich die Helfer den Stress an, bei Staub, Hitze und Dauerbeschallung die durchweg schwarz gekleideten Metaller mit Pflastern zu versorgen oder notfalls auch zu reanimieren?

„Das ist wie eine große Familie hier“, sagt die Kaltenkirchenerin Silke Ollendorf, die zum achten Mal in Wacken im Einsatz ist. Ihre Arbeit in Wacken hat sie motiviert, den Job der Rettungssanitäterin zu lernen. Ja, der Job sei anstrengend, Auch zum Schlafen komme sie nur selten. „Aber die Menschen schätzen die Arbeit sehr“, sagte Silke Ollendorf. Kein Stress mit aggressiven Patienten – das unterscheidet Wacken vom Alltag im Rettungs- und Sanitätsdienst.

Der „Geist von Wacken“ motiviert die Helfer, immer wiederzukommen

Der „Geist von Wacken“ motiviert auch andere Retter, sich immer wieder für dieses Extremfestival zu melden. Hier feiern 120.000 Menschen und wollen vor allem eines: Spaß haben. Das fing am Mittwoch gegen 11 Uhr beim Warm-Up vor einer Bühne an, als die Kaltenkirchener Sanis etwa 2000 zünftig gekleidete Metall-Fans beobachteten. Es spielte traditionell der Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr Wacken, die Fans zogen mit einer Polonaise über den staubigen Acker.

Der Kaltenkirchener Nils Bade hat seit 2004 alle Wacken-Open-Airs mitgemacht. „Alles ist superfriedlich und sehr entspannt“, sagt auch er. Vor dem Zelt stehen Rettungsfahrzeuge – einige sind geländegängig - und Quads mit Blaulicht, mit denen sich Notarztteams ihren Weg durch die riesige Zeltstadt bahnen. Für extreme Wetterlage steht ein Argo 8x8 bereit – ein Amphibienfahrzeug und eingebauter Trage.

"Klinikum Wacken": In der Notaufnahme des provisorischen Krankenhauses versorgt das DRK Kaltenkirchen Kranke und Verletzte. © Wolfgang Klietz

„Wir können hier mit vielen tollen Menschen eine tolle Zeit verbringen“, sagt Nils Bade. Dabei gewährleiste der Sanitätsdienst ein hohes Maß an Sicherheit für die Besucher.

„Klinikum Wacken“ nennt Jürgen Schumacher das Krankenhaus mit 40 Betten, das er mit seinen Rot-Kreuz-Helfern in Zelten aufgebaut hat. Dazu gehören Notaufnahme, Apotheke und Intensivstation ebenso wie eine ZAB, eine Zentralambulanz für Betrunkene. Doch hier ist weniger los, als es der Besucher angesichts der Tausenden Hektoliter Bier glauben kann, die auf dem Festivalgelände getrunken werden.

Wacken: 4500 Patienten versorgt das Team aus Kaltenkirchen

„Die Leute lechzen danach zu feiern“, sagt Schumacher. Nach den Absagen des Festivals wegen Corona ist der Andrang in Wacken so groß wie immer. Darauf haben sich die Retter eingestellt und versorgen von der größten Rettungswache Schleswig-Holsteins gleich die Wackener und die Bewohner im Umland mit. So schnell wie beim Festival trifft hier nur selten ein Rettungswagen bei einem Notfall ein.

4500 Patienten versorgt das Team bei jedem Festival, jeder zehnte muss stationär behandelt werden. Ein Andrang, der das nahe gelegene Krankenhaus in Itzehoe binnen kurzer Zeit fluten würde.

In Wacken gibt es nur zwei Arten von Wetter: Hitze oder Dauerregen

Die erfahrenen Retter wissen, wie sehr das Wetter die Arbeit beeinflusst. Dabei scheint es in Wacken nur zwei Varianten zu geben: Dauerregen mit tiefem Schlamm oder Hitze mit Staub wie in einem Italo-Western. Steht das Festivalgelände unter Wasser, kommen viele Patienten mit Unterkühlungen. Brennt die Sonne wie in diesen Tagen, sind im Krankenhaus auf dem Acker Sonnenstich und Dehydrierung die größten Probleme.

Hinzu kommen manche Probleme, auf die die Retter nicht immer vorbereitet sind. Vor Jahren tauchte ein Australier im Wackener Behelfskrankenhaus auf und fragte nach einer Dialyse. Das Team fand ein Krankenhaus, das den Job übernahm. Auch bei Geburten haben die Sanis in Wacken schon geholfen.

Jürgen Schumacher, Vorsitzender des DRK-Ortsverbands, leitet den Sanitätsdienst mit mehr als 600 Helfern aus ganz Deutschland.
Jürgen Schumacher, Vorsitzender des DRK-Ortsverbands, leitet den Sanitätsdienst mit mehr als 600 Helfern aus ganz Deutschland. © Wolfgang Klietz

Fachkrankenpfleger Lars Garreis gehört auch zu denen, die jedes Jahr dabei sind. Ihn lockt nicht nur die Chance, Menschen an einem ungewöhnlichen Einsatzort zu helfen. Der baumlange Helfer mit dem blauen Bart geht in seiner Freizeit zu den Bühnen. „Ich bin Metal-Fan“, sagt er.

Wacken: Helfer werden rund um die Uhr im Verpflegungszelt versorgt

Die meisten Einsätze, etwa 60 Prozent, müssen die Helfer nachts abarbeiten. Für den Rund-um-die Uhr-Betrieb müssen die Sanis bei Kräften bleiben, sodass das Kaltenkirchener Team auch für die Verpflegung sorgt. Kostenlos können sich die Sanis jederzeit mit Getränken und Snacks versorgen. Tagsüber gibt es nach dem Frühstück energiereiche Hausmannskost: Schnitzel und Currywurst, Salzkartoffeln und Gemüse.

In der Nacht zum Sonntag endet das Festival. Dann beginnt der große Aufbruch der Metaller. Für die Sanis ist aber noch lange nicht Feierabend. Ein Team steht bereits, bis alle Bühnen abgebaut und abtransportiert sind.

Auch DRK-Chef Schumacher bestätigt, dass auf dem Festival die friedlichen Besucher die größte Freude sind. „Die kommen sogar bei einem Einsatz auf uns zu und fragen, ob sie beim Tragen helfen sollen.“