Norderstedt. Eine Seite setzt auf „Norderstedter Modell“ im kommunalen Wohnungsbau – die andere will keine Projekte ohne Einbindung der Wirtschaft.
Viele Norderstedter erinnern sich: Im Juli 2021 brannte an der Lawaetzstraße die damalige Unterkunft für Geflüchtete und Wohnungslose aus, wenige Monate später wurde die Ruine abgerissen. Seitdem tut sich auf der Fläche nichts. Sie steht vielmehr beispielhaft für eine Richtungsdiskussion in der städtischen Politik über die grundsätzliche Strategie im sozialen Wohnungsbau.
Das Abendblatt hat mit Tobias Schloo (SPD), dem Vorsitzenden des Sozialausschusses, und dem CDU-Fraktionschef Peter Holle gesprochen. Denn es haben sich zwei Lager gebildet. SPD, Grüne und Linke wollen kommunalen Wohnungsbau unter Leitung der Entwicklungsgesellschaft Norderstedt (EGNO) sehen, sie setzen auf das „Norderstedter Modell“, also zu 100 Prozent geförderte Wohnungen, jeweils zur Hälfte für Flüchtlinge und für andere Menschen mit entsprechenden Berechtigungen.
Auf der Gegenseite: CDU, FDP, WiN und Freie Wähler. Sie sind gegen kommunalen Wohnungsbau, wollen, dass sich die EGNO eher um Gewerbeentwicklung kümmert. Sie haben für die Lawaetzstraße mit knapper Mehrheit dafür gesorgt, dass hier erst einmal kein „Norderstedter Modell“ geplant wird. Vielmehr forcieren sie ein Projekt zusammen mit der Wohnungswirtschaft, das auch Wohnungen für den freien Markt beinhaltet. Wir baten Tobias Schloo und Peter Holle stellvertretend darum, die Positionen der jeweiligen Seite zu erläutern.
An der Lawaetzstraße waren 100 Wohnungen geplant
„Hier an der Lawaetzstraße wäre ein guter Standort gewesen, um Integration zu leben“, sagt Tobias Schloo. Die geplanten rund 100 Wohnungen wären „dringend gebrauchte Unterbringungsmöglichkeiten“ gewesen. Auch, um auf Sicht die marode Flüchtlings-Unterkunft Fadens Tannen schließen zu können. „Nur mit Containern ist das im Zweifel nicht zu machen. Und es ist nicht auch die würdevollste Art der Unterbringung. Es ist keine Wohnumgebung, in der man sich langfristig gerne aufhalten möchte, um sich gleichberechtigt zu fühlen in der Gesellschaft. Und hinzu kommt: Mit dem Norderstedter Modell sind nicht nur Unterkünfte für Geflüchtete weggebrochen, sondern günstige, geförderte Wohnungen – in diesem Fall zu 100 Prozent. Es ist sehr problematisch: Auszüge aus dem Frauenhaus sind nicht möglich, Alleinerziehende sind weiter auf der Suche…“
Peter Holle sagt, die Lawaetzstraße sei „nur ein Standort von vielen“. Er verweist auf einen Beschluss des Sozialausschusses vom 16. Mai 2019. Damals seien bis zu vier Unterkünfte mit jeweils 60 Wohneinheiten nach Vorbild des Gebäudes an der Segeberger Chaussee beschlossen worden. Drei mögliche Standorte nannte die Verwaltung: Am Harkshörner Weg und am Buschweg wird bereits gebaut, der dritte war an der Lawaetzstraße. Aber, so die CDU, es habe nie einen konkreten Beschluss für diesen Standort gegeben.
CDU: „Hat nicht im Ansatz etwas mit Integration zu tun“
Trotzdem plante die EGNO, stellte im letzten Herbst dem Sozialausschuss den Sachstand vor: rund 18,8 Millionen Euro Investition, rund 6000 Quadratmeter Wohnfläche. Als dann aber Anfang 2022 der Doppelhaushalt 2022/2023 beschlossen wurde, sorgten CDU, FDP, WiN und Freie Wähler dafür, dass im Etat kein Geld mehr für dieses Vorhaben ausgewiesen war. Holle: „Das Konzept der EGNO sah vor, in einem Gebäude jeweils zur Hälfte ausschließlich Personen mit Anspruch auf den ersten Förderweg und geflüchtete Menschen unterzubringen. Noch dazu zwischen einer bestehenden Flüchtlingsunterkunft und einem Industriekomplex. Das hat nicht im Ansatz etwas mit Integration zu tun.“
Welche Aufgabe hat die Entwicklungsgesellschaft?
Und das „Norderstedter Modell“? Das ist aus Sicht der vier Fraktionen quasi erledigt, seitdem der Hauptausschuss – unter Vorsitz von Holle – im Dezember 2021 einen von der Verwaltung beantragten Beschluss zur Gründung einer Gesellschaft für integratives Wohnen in Norderstedt (unter EGNO-Geschäftsführung) von der Tagesordnung genommen hatte. Dazu, so Holle: Der Zweck der EGNO seien Wirtschaftsförderung, der Erwerb, die Erschließung und der Verkauf von Grundstücken „zur Verbesserung der Wohnungssituation und der Ansiedlung von Gewerbebetrieben“.
Für Schloo ist das nicht schlüssig. „Die Hälfte der deutschen Bevölkerung ist anspruchsberechtigt auf eine Sozialwohnung, noch mehr sind es, wenn wir auch den zweiten Förderweg mit hineinziehen. Sozialwohnung heißt nicht, dass man nicht in der Mitte der Gesellschaft steht. Es hätte dadurch eine Durchmischung gegeben. Außer diesen Baubemühungen am Harkshörner Weg und am Buschweg gibt es derzeit keine Bewegung, dass die Stadt Wohnungsbau betreibt. Das ist von CDU, FDP, Freien Wählern und WiN blockiert worden. Sonst hätten wir die Wohnraumversorgung weiter sichern können. Die Privatwirtschaft brauchen wir auf jeden Fall, um den Markt zu regeln. Aber es wäre ein guter Deckungsbeitrag gewesen.“
Drei Wohnungsunternehmen erarbeiten Konzepte für die Lawaetzstraße
Peter Holle berichtet von Treffen mit den drei größten Wohnungsbauunternehmen auf dem Norderstedter Markt: Plambeck, Adlershorst und Neue Lübecker – potenzielle Käufer für das Grundstück Lawaetzstraße. „Alle drei haben die Planungsunterlagen erhalten und erarbeiten gerade ein Konzept.“ Er sagt, Norderstedt sei beim Neubau von gefördertem Wohnraum schon jetzt „ganz weit vorne“. Kaum eine Kommune in Deutschland habe eine politisch beschlossene Förderquote von je 25 Prozent für den ersten und zweiten Förderweg. „Noch schneller ginge es, wenn wir die Fehlbelegung unterbinden oder über eine Abgabe steuern würden.“ Die CDU schätzt, dass es rund 760 Wohnungen in der Stadt gibt, „die von Menschen bewohnt werden, welche aufgrund ihres Einkommens keinen Anspruch auf geförderten Wohnraum hätten.“
SPD: „Wir hätten noch deutlich mehr machen können“
Tobias Schloo stellt klar: „Die SPD will, dass wir eine Wohnungsbaugesellschaft gründen.“ Das ist unverändert. „Bei der Kommunalwahl können sich die Bürger entsprechend entscheiden. Wir werden das thematisieren. Als Stadt müssen wir mit im Wohnungsmarkt sein für den Versorgungsanspruch, den wir haben.“ Und was wird bis dahin an der Lawaetzstraße geschehen? „Es stand nie zur Disposition, sie zu veräußern. Die Fläche gehört der Stadt. Und diese besteht aus Politik und Verwaltung. Da muss man gemeinsam nach Lösungen suchen. Bis jetzt haben wir keine auf dem Tisch liegen.“ Das „Norderstedter Modell“ lasse sich wiederbeleben. „Wir müssen nur die Mittel wieder bereitstellen, dann kann es weitergehen. Die Pläne sind da, auch für die Gebäude. Wenn ich bedenke, dass eine Gesellschaft, die sich vorher um Gewerbe gekümmert hat, innerhalb von wenigen Jahren drei Projekte auf den Weg gebracht hat – zwei in der Realisierung, das dritte von der Politik gestoppt – so sage ich, dass wir noch deutlich mehr hätten machen können.“